Prolog

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Die dunklen Gassen Londons lagen still da. Nebel lag auf ihnen und der ganzen Stadt. Die Themse war in eine dichte milchige Suppe getaucht und die Schiffe lagen da wie Leichen auf einem verlassenen Schlachtfeld. Es war totenstill in den Whitehall Gardens, die nicht unweit des kaum sichtbaren Flusses lagen, als zwei Personen den Park betraten. Sie schritten bedächtig einen der Wege entlang. Ihre Schritte waren leicht, elegant und beinahe katzenhaft. Sie bewegten sich geschmeidig und lautlos. Sie waren unverkennbar keine normalen Menschen. Sie waren Krieger, halbe Menschen, denn sie trugen Engelsblut in ihren Adern. Und doch waren sie keine Engel oder geschweige denn so etwas wie Nephilim. Nein, diese Kreaturen waren abartige Experimente.

Einer von ihnen schwenkte seine Laterne in Richtung eines Baumes. Kaum zu sehen blitzte ein Augenpaar auf. Es waren die Augen eines sibirischen Tigers, in dem Gesicht eines Menschen. Seine Gesichtszüge hatten etwas wölfisches und in seinem breiten, hämischen Grinsen blitzten scharfe Reißzähne.

„Wer ist da?", rief einer der Männer in den Nebel.

„Dummes Geschöpf...", kam mehr Knurren als Worte zurück. „Wenn ihr jetzt verschwindet, töte ich euch vielleicht nicht." Wie ein Donnergrollen zogen die Worte durch die feuchte, kühle Luft. Die Gestalt in der Dunkelheit bewegte sich langsam auf die beiden Menschen zu. Er konnte den Angstschweiß der beiden Geschöpfe bereits wittern, doch er wusste auch, dass das Engelsblut in ihnen zu törichten Taten verleiten konnte.

Kaum hatte er diesen Gedanken zu Ende gebracht, riss der erste von ihnen auch bereits seinen Engelsdolch von seinem Gürtel und stürmte brüllend auf den Engel zu. Die Raubkatzenaugen fixierten den Menschen, analysierten seine Bewegungen und der Körper des Engels wich gekonnt zwei Stichen aus. Eine mit Klauen bestückte Hand wischte ihm mit Leichtigkeit den Dolch aus der Hand, die andere umschloss seine Kehle. Die Klauen bohrten sich in das zarte, weiche Fleisch seines Opfers. Ein wohliger Schauer erfasste den Körper des Engels. Das war es, was er wollte – Blut und Tod. Nein, das war es was sie wollten. Sie, die Seelen der Tiere, mit denen er sich die Körper teilte. Sie waren eine Gottgegebene Gabe und ein Fluch zu gleich. Sie gaben ihm ihre Stärke und standen ihm treu zur Seite, doch im Gegenzug forderten sie auch ihren Lohn. Und der war das Töten.

Mit einem Ruck packten die Klauen zu, der Engel trat gegen die Körpermitte des Menschen und riss ihm die Kehle heraus. Röchelnd und gurgelnd ging der Mann zu Boden. Verächtlich warf er das Stück Fleisch zu der Leiche. Aber umso genüsslicher leckte die raue Raubtierzunge das Blut von seinen Fingern.

Verstört und verängstigt sackte der zweite seiner Angreifer zu Boden. Der Blick des Tigers fixierte ihn, der Engel legte seinen Kopf leicht zur Seite und schritt langsam auf ihn zu.

„Bitte...", wimmerte das armselige Geschöpf zu ihm hinauf. Es hatte Tage gegeben, an denen hätte er ihn leben lassen. Doch diese Tage, die Tage an denen er an Michaels Seite gestanden hatte, waren längst vorbei. Heute verachtete man ihn für das, was er war. Für etwas, für das er keine Schuld trug.

Mit federnden Schritten entfernte sich ein riesiger weißer Wolf von den beiden Leichen. Seine Lefzen waren voller Blut, in seinen Augen lag noch immer der Blick des Tigers. Und in seinem inneren schlug das Herz eines Engels. Des Engels, der sich nun nur noch Chernobog nannte, der Gott der Dunkelheit.

The Black GodWhere stories live. Discover now