Im hellen Licht

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Im hellen Licht der Sonne standen sie da. Drei Erzengel – Gabriel, Michael und Uriel. Einer strahlender und mächtiger als der andere. Die Luft um sie herum schien durch die geballte Macht wie an einem heißen Sommertag zu flirren. Neugierige Augenpaare starrten zu ihnen hinauf. Alle Engel des Himmels, der Erde und Edens hatten sich hier versammelt, um den Worten der Erzengel zu lauschen. Sie würden an diesem Tage verkünden, wen sie in ihre himmlische Garde einberufen würden. Die Liste wurde durch eine wunderschöne Engelskriegerin verlesen.

Ihre Stimme waren hell und frisch wie ein Frühlingsmorgen, doch er war sich sicher, dass sie ebenso kalt wie eine Winternacht sein konnte, wenn jemand ihrem Befehl widersprach. „Hismael, Ariel, Bariel..."

„Chernobog!", brüllte eine raue weibliche Stimme ihn aus dem Schlaf. Fauchend fuhr der Engel hoch. Reißzähne ragten aus seinem Mund und seine Haut war mit der Fellzeichnung eines Tigers überzogen.

Ein schlankes junges Mädchen stand vor ihm. Sie hatte dunkles Haar wie die Nacht, das zu einer hübschen Frisur hochgesteckt war. Ihr hellblaues Kleid unterstrich die Alabasterhaut, die selten die Sonne sah. Über ihre Augen war ein zum Kleid passendes hellblaues Seidenband gebunden. Und, auch wenn man es nicht sah, ihre Füße waren nackt.

„Ich hasse dich, Charlotte!", knurrte er ihr entgegen und wischte sich mit der Hand übers Gesicht. Mehr und mehr verschwanden die animalischen Einflüsse an seinem Körper und hinterließen den Körper eines jungen Mannes, der vielleicht wie Mitte Zwanzig wirkte und unter den Menschen als durchaus gutaussehend durchgehen konnte. Chernobog besaß hohe ausgeprägte Wangenknochen, eine gerade Nase und dunkelbraunes, fast schwarzes Haar, das kurz getragen leichte Locken warf.

Langsam wurde er auch wacher und ihm wurde klar, was er geträumt hatte. Oder vielmehr hatte er sich erinnert. Er war damals einer der Namen gewesen. Michael hatte ihn zu sich geholt, ihn auserwählt. Ja, damals. Er war jemand anderes gewesen. Zu der Zeit war nur eine seiner beiden göttlichen Fähigkeiten ausgeprägt gewesen. Und die zweite hatte ihn schließlich alles gekostet, weil er sie nicht hatte kontrollieren können. Es hatte Jahrhunderte gedauert bis sich nun Charlotte hier hineinschleichen konnte und nicht als sein Frühstück endete.

„Vater und Mutter sind zu ihrem Sonntagsspaziergang. Du solltest aufstehen und dir die Reste des Bratens holen.", teilte Charlotte mit ihrer für ein Mädchen ihrer Gestalt wirklich rauen Stimme sachlich mit. Sie war bereits 20 Jahre alt, doch ihre elfenhafte Gestalt ließ sie jünger wirken. Und durch ihre Blindheit wirkte sie hilfloser als sie war.

Kennengelernt hatten sie sich in einer ebenso nebligen Nacht wie der letzten. Damals hatte er sie vor irgendwelchen Gaunern gerettet und so half sie heute ihm, indem sie ihm ein Lager im Stadthaus ihrer Eltern zur Verfügung stellte. Es war alt und roch muffig, aber es war besser als die Kanalisation. Charlottes Blindheit spielte ihm in die Hände. Es war deutlich schwieriger das Vertrauen eines Menschen zu gewinnen, wenn sie sahen, dass man ein Ungeheuer war. An das Knurren und Fauchen hatte sie sich mittlerweile gewöhnt. An einen Anblick wie seinen, wenn die Tiere versuchten, die Überhand zu gewinnen, gewöhnte man sich weniger leicht.

Unter Stöhnen raffte Chernobog sich auf und wechselte sein dreckiges, blutiges Hemd gegen eines, das nur dreckig war. Lustlos stopfte er es in die schwarze Hose, die er trug und zog eine bereits mehrmals gestopfte Jacke darüber. Sie sah schäbig aus mit den ganzen nicht ganz zur Grundfarbe passenden Flicken, doch das machte nichts. Er war eben keiner der prächtigen Engel, schon lange nicht mehr.
"Und was machen wir heute, liebste Charlotte? Du weckst mich niemals ohne Grund so früh.", fing er mit beinahe charmantem Ton eine Unterhaltung an.
"Ich spiele definitiv zu oft alte Verhaltensmuster ab, du durchschaust mich zu schnell." Sie kicherte und strich sich eine Locke aus dem Gesicht. "Nun ich möchte die Stadt sehen. Ich will am Victoria Enbankment ein wenig flanieren und den Trubel und die Menschen in mich aufnehmen. Ich vermisse es, dort zu sein. Vater und Mutter gehen so selten mit mir dort hin."
Manchmal wirkte die junge Frau wirklich so sehnsüchtig, als hätte sie noch nichts von der Welt gesehen. Bevor sie jedoch vor 5 Jahren erblindet war, war ihr Vater viel mit ihr auf Reisen gewesen. Aber die Sehnsucht war auch verständlich, denn sie durfte nicht allein auf die Straße und selten hatte jemand Zeit, sie zu begleiten. Er war da für sie ein wahrlich gefundenes Fressen. Er schuldete ihr etwas für ihre Schweigsamkeit und diese Schuld zu begleichen fiel ihm nicht schwer. Auch er mischte sich manchmal gern unter die einfältigen dummen Kreaturen, die sein Vater geschaffen hatte. Genau jene, die ihn wie einen Gott verehrt hatten. Vor vielen vielen Jahrhunderten hatten sie ihm sogar Opfer dargebracht. Doch diese Zeit hatten die Menschen lange vergessen. Höchstens einige wenige erinnerten sich noch an die alten Bräuche, doch nicht hier in England, wo die Welt schon seit langer Zeit neben den heidnischen Göttern und Gestalten nur den einen christlichen Gott kannte.

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⏰ Letzte Aktualisierung: May 26, 2018 ⏰

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