Kapitel 40

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Mit fest zusammengekniffenen Augen stellte ich mir vor, wie ich langsam einschlief, wie vorhin, wie ich in den dunklen Zwischenzustand geriet, in dem ich nichts fühlte oder dachte. Ich sah wiederum die Rosensargkammer vor meinen Augen mit den zentimeterdicken Staubschichten. Die Zahlen, ich machte sie in meinem Kopf von einer 1940 zu einer 2015.

Vorsichtig blinzelte ich durch meine Augenlider. Immer noch war ich von Dunkelheit umgeben.

Und auch die Uhr war bei 1940 stehen geblieben. Na super. Ich seufzte.

Was brachte mir meine neue Fähigkeit, wenn ich sie nicht anwenden konnte? War sie überhaupt vorhanden oder hatte mich der Mann angelogen, um mich für seine Seite zu gewinnen? Resigniert rollte ich mich auf die Seite, so gut es ging.

Ich starrte in die Dunkelheit und Kälte kroch mir die Wirbelsäule hoch. Fast so, als würde mich die Totenstarre ergreifen. Auch wenn das völliger Blödsinn war, ich fühlte mich sehr unwohl. Vor allem jetzt, nachdem meine letzte Fluchtmöglichkeit unerreichbar schien. Ich hatte nämlich keine Ahnung, wie ich es noch probieren sollte. Mit den verstreichenden Sekunden schien es mir immer wahrscheinlicher, dass der Mann mich nur angelogen und ausgenutzt hatte. Und ich war darauf hereingefallen.

Umständlich, in den Bewegungen eingeschränkt, strich ich mir eine Locke aus dem Gesicht.

Schließlich konzentrierte ich mich nur noch auf meinen Atem, tief in den Bauch, tief aus dem Zwerchfell. Der Platzmangel machte mich verrückt, selbst wenn ich normalerweise keine Platzangst hatte. Es gibt manche Situationen, die kein Mensch ertragen könnte. Dazu gehörte wohl auch in einem Sarg eingesperrt zu sein, darauf wartend, dass einen Verfolger, die einen für einen Dieb hielten, hoffentlich nicht entdecken würden.

Wie auf Kommando nahm ich ein Geräusch außerhalb des Sargs war. Alarmiert hielt ich die Luft an, mein Körper versteifte sich in einer eher ungemütlichen Position.

Gedämpft hörte ich, wie sich die Tür mit einem Klacken öffnete.

„Zeige dich, Diebin!", rief eine männliche Stimme. Das Herz rutschte mir in die Hose.

„Bei wie vielen Räumen willst du das eigentlich noch sagen, Gerald?", antwortete eine genervte, ebenfalls männliche Stimme.

„Ach komm, wir sollten doch auch endlich einmal unseren Spaß haben dürfen, und eine Geisterjagd macht doch bestimmt Spaß", erwiderte „Gerald", ich bemerkte den ironischen Unterton in seinem Lachen.

Mit einem Klicken erschien ein heller Spalt im Sarg, durch den endlich Licht floss.

„Warst du überhaupt schon einmal in diesem Raum?", fragte die zweite Stimme nun bedächtig.

„Einmal." Gerald schien ob des Anblicks des Sarges ein bisschen sprachlos.

„Dann lass uns bitte wieder verschwinden. Mir ist dieser Saal nicht ganz geheuer", erklärte der zweite Mann, den ich insgeheim Memme taufte. Ich hingegen hatte mich immerhin in einem Sarg versteckt. Das musste ja von Mut zeugen. Oder von unendlicher Dummheit.

„Warte noch kurz, Marcus", meinte Gerald und schien zu überlegen.

Oh Gott, bitte nicht den Sarg öffnen, flehte ich innerlich.

„Wäre dieser Sarg hier nicht das perfekte Versteck?", äußerte sich Geralds Stimme.

Vor Schreck hätte ich fast aufgeschrien, ich schaffte es aber gerade noch, eine Hand auf meinen Mund zu legen und ihn somit zu verschließen.

„Niemals, das glaube ich nicht. Niemand wäre so bescheuert...", wandte die Memme ein, ohne den Satz zu beenden. Beide schienen zu wissen, was gemeint war.

Zeitlos - Ein Sommer auf Hawthorne ManorWhere stories live. Discover now