23°C, Bewölkt

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Fyre

Ich betrete die Zimmer, jene, welche immer meine gewesen sind, und der Geruch von Freude empfängt mich. Erinnerungen steigen in mir hoch, tausende, winzige, wundervolle Fetzen der Zeit, die ich am Sommerhof verbracht habe, und ein paar von den sogar noch schöneren Gedanken aus dem Frühlingsgarten und dem Herbstwald.

Sentimentales Zeug, spiele ich es herunter und werfe meine Tasche auf das mit rotem Satin bezogene Himmelbett. In diesem Moment will ich nichts außer meine Ruhe, Zeit zum Nachdenken, würde ich sagen, wenn ich das vor mir selbst zugeben dürfte. Ich möchte allein sein, die offizielle Version wird einfach lauten, dass ich mir meine Fußnägel lackieren musste oder so etwas in der Art.

Vorsichtig streiche ich über den hauchzarten Stoff des Lakens und atme den Geruch ein, den dieses Zimmer verströmt. Leicht muffig nach sieben Jahren ohne Benutzung, seltenem Putzen und so weiter, dennoch herrscht immer noch der Orangenduft vor. Ich öffne eines der drei riesigen, altmodischen Fenster und lasse mit mir den Winter Einzug nehmen in dieses Haus. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich die einzige Elfe in diesem ganzen Schloss bin, die das auch nur in Erwägung ziehen würde. Sommerelfen sind, wenn es um Kälte geht, im Großen und Ganzen ziemlich verweichlicht. Doch dank mir wagt sich der Schnee auf das fremde Territorium. Die Flocken wehen mit der klaren Winterluft herein, kämpfen sich durch das angestammte Territorium des Sommers, bahnen sich einen kleinen Weg durch den warmen Nieselregen zu mir, ihrer Königin. Sie setzen sich auf meine Hände, mein Haar und auf die Kommode vor dem Fenster, auf das kleine verzierte Holzkästchen darauf.

Mit gemischten Gefühlen nehme ich es in die Hand, ziehe den Schlüssel aus meinem Ausschnitt und öffne es. Inzwischen ist nicht mehr viel darin, eine Locke aus Passats Mähne und ein Ring, mit dem ich mich nun auf keinen Fall befassen werde. Ein paar Blumen, die Ciel mir geschenkt hat, und seine Botschaften, die er mir in Glas geschmolzen hat. Nichts Aufregendes, nur die Korrespondenz von zwei Kindern, die sich mehr als nur nahestanden. Ich habe für meine Botschaften Ewiges Eis verwendet. Das meiste, was an unsere Freundschaft erinnert, hatte ich jedoch ohnehin mit an den Winterhof genommen, nur dieses Kästchen ist noch übrig.

Obwohl ich weiß, dass es nie etwas bedeutet hat, habe ich kaum die Kraft zu tun, was notwendig ist. Ich nehme Passats Locke heraus und konzentriere meine Kraft auf das Kästchen. Wasser breitet sich darüber aus, drängt sich in jede kleinste Rille der Verzierungen, in das Kästchen hinein, über die nostalgischen Erinnerungen einer Zwölfjährigen. Ich will das Wasser vereisen, das Kästchen sprengen, die Einzelheiten unserer Beziehung zerstören. Doch irgendwie ... fühlt es sich nicht richtig an.

Seufzend schließe ich das Kästchen und stelle es zurück auf die Kommode. Ich werde eine Dienerin bitten, es in ein Feuer außerhalb meines nicht funktionierenden Kamins zu werfen.

Ich wende mich vom Fenster ab und blicke mich, wie zum ersten Mal, in meinen Räumlichkeiten um. Lenke mich ab und vergesse das Ganze, schiebe die Erinnerungen in die hinterste Ecke meines Gehirns zurück. Für sie ist nun kein Platz mehr.

Das Eckzimmer, das den Eingangsraum und gleichzeitig das Schlafzimmer darstellt, wird von meinem Bett dominiert. Links und rechts daneben erhellen zwei Fenster den Raum, unter denen jeweils ein Nachttisch und auf der anderen Seite die Kommode steht, der Nachttisch ist sogar mit Leselampe und bereitgelegter Lektüre ausstaffiert. In der linken Ecke steht ein dominantes, einnehmendes Bücherregal, mit meinen früheren Lieblingstiteln bestückt, daneben das dritte Fenster, unter dem ein goldenes Sofa auf Sitzbedürftige wartet. Sein Schnitt ist dem Rokoko nachempfunden und der Bezug, rote Seide mit aufgestickten Blüten und Vögeln, mutet chinesisch an. An der Wand steht ein Flügel, den ich so gut wie nie benutze. Der Boden wird größtenteils von einem riesigen flauschigen Teppich aus feinster schwarzer Baumwolle bedeckt. Die Decke, von Säulen an der Wand getragen, imponiert mit einem schlichten Fresko, welches den Himmel voller Kumuluswolken, ein paar vorbeiziehenden, filigranen Wintervögeln und verschneiten Baumwipfeln am Rand darstellt. Das Zimmer ist groß und überwiegend steht es leer. Ein Mensch könnte vermutlich eine eigene kleine Wohnung daraus machen. An den Wänden hängen einige Spiegel, abgewechselt von der kunstvollen Tapete, die mit Ölfarben direkt bemalt wurde, von den besten Malern der Elfenwelt, was den Raum noch überwältigender erscheinen lässt. Es ist eine seltsame Mischung aus vornehmem Mittelalter und schlichter Moderne, die aber dennoch perfekt harmoniert. Vier Türen gehen vom Raum ab, eine in ein luxuriöses Bad, eine weitere in den begehbaren Kleiderschrank, die dritte in die kleine Küche mitsamt Minibar und die letzte auf den Flur. Zumindest gibt es nur vier sichtbare Türen, eine weitere, unsichtbare Tapetentür für die Dienstboten verbirgt sich zwischen Spiegel und dem Zugang zum Bad.

Bedächtig stehe ich auf und betrete das Bad, betrachte mich selbst im Spiegel über dem Waschbecken. Ich bin immer noch klatschnass, die Haare kleben mir am Kopf, vereiste Wassertropfen kleben an meiner Wange. Ich hätte Schnee daraus machen können, bevor mich der Regen erreichte, obwohl es am Sommerhof als unhöflich erachtet wurde, ebenso wie die Aktion an meinem Fenster. Die Gewohnheit hat mich daran gehindert, heute bin ich nicht mehr so zimperlich wie früher und nehme auf die Gefühle anderer keine große Rücksicht. Aber ich habe schlicht nicht daran gedacht. Zu spät. Ich erinnere mich selbst an einen begossenen Pudel, allerdings verspüre ich nicht die geringste Lust, etwas daran zu ändern, selbst wenn ich in einer Stunde vor dem Sommerkönig und seinem gesamten Hofstaat auftreten werde.

Ich will gerade zurück in mein Schlafzimmer gehen, als daraus eine zwitschernde Stimme ertönt.

»Da bist du ja endlich!«, jubelt jemand euphorisch, »wir haben schon ewig auf dich gewartet!«


SnowFyre. Elfe aus EisWhere stories live. Discover now