XXXV

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Als ich nachhause komme, ist es nicht mal zehn. Mein Kopf fühlt sich gleichzeitig leer und überladen an, mein Körper wie in Schockstarre, als fehlen noch ein paar Minuten oder Stunden, bis ich realisiere, was eben passiert ist und vor allem: was heute Abend passiert. 

Es dauert genau zwei Stunden. Nachdem ich eine Zeit lang apathisch vor dem Fernseher auf meinem Sofa sitze und Cartoons ansehe, explodiert etwas in mir und ich zucke zusammen, spüre mein Herz rasen, meine Hände schweißig werden, spüre wie mir heiß und kalt wird. 

Ich sehe heute Louis.

Was früher so normal war wie Kaffee am Morgen scheint jetzt so außergewöhnlich, als würde ich den Präsidenten von Amerika treffen, und je mehr ich darüber nachdenke, desto verrückter mache ich mich. Was wenn wir uns nichts zu sagen haben? Was wenn er noch sauer ist, weil ich es den anderen erzählt hab? Wenn wir wieder anfangen, uns zu streiten? Oder noch schlimmer, wenn er überhaupt nicht reden will sondern so wie die letzten Male als wir allein waren in alte Muster fällt und mir wieder ohne jegliche Begründung nahe kommt? 

Mein Herz rast bei dem Gedanken. Was wenn sich überhaupt nichts verändert hat? Wenn wir genauso sind wie vorher. Wie am Ende der Tour, als es mit dem Reden überhaupt nicht funktioniert hat. Wenn wir wieder nur streiten. 

Ich merke erst nach einigen Minuten, dass ich nur reglos dasitze und mir mit meinen Gedanken das Gehirn zermartere, und als mir das klar wird, springe ich auf. Dieses Nachdenken bringt mich irgendwann um. Es verfolgt mich schon viel zu lange und wenn ich eins gelernt habe, dann, dass es nichts bringt. Ich muss die Dinge auf mich zukommen lassen. Ich atme tief ein und aus und beginne dann, unruhig durch meine Wohnung zu laufen, auf der Suche nach etwas, das mich ablenken könnte. Mir kommt der Gedanke, mich einfach so sehr zu betrinken, dass mein Körper nicht mehr weiß, was Nervosität überhaupt ist, aber betrunken mit Louis allein zu sein hat noch nie sonderlich gut funktioniert. 

Stattdessen entscheide ich mich für das andere Extrem: Ich rufe meine Mutter an. 

Sie hebt sofort ab und ihre Stimme beruhigt mich auf Anhieb. Sie freut sich über die Nachrichten, klingt euphorisch, dass „Louis und ich wieder Freunde werden" und hält meine Zweifel für vollkommen unbegründet.

„Kannst du nicht mitkommen?", frage ich in meiner Verzweiflung, auch wenn ich das nicht wirklich zulassen würde. 

Sie lacht. „Ach Schatz. Es ist nur Louis. Ich weiß, es ist gerade schwer vorzustellen, aber ihr zwei kennt euch, wie sonst kaum jemand. Es ist derselbe Louis, mit dem du schon alles mögliche durchlebt hast. Niemand bei dem du nervös sein musst."

„Ich weiß", murmele ich, auch wenn ich glaube, dass ich momentan bei keinem Menschen der Welt nervöser sein könnte. „Es steht einfach ... so viel auf dem Spiel." 

Ich höre wie sie lächelt. „Tut es das?", fragt sie, auf diese Art, als wäre die Antwort klar, nur ich hätte es noch nicht kapiert. „Also wenn ich aus meinen Erfahrungen sprechen darf, gibt es immer eine zweite, oder dritte Chance. Kann es denn schlimmer werden als jetzt? Also ich denke nicht. Und wenn es heute Abend mit der Aussprache nicht klappen sollte und deine Zweifel wahr werden, wird es immer noch andere Tage geben, an denen ihr es nochmal versuchen könnt. Es ist nur ein Treffen. Nichts Endgültiges."

Ihre Worte machen Sinn, aber ich kriege sie trotzdem nicht in meinen Kopf. Mit einem hat sie definitiv recht. Dass es nicht schlimmer kommen kann, als jetzt. Jetzt sind Louis und ich gar nichts. Keine Freunde. Keine Bekannte. Es ist, als würden wir uns gar nicht kennen. „Danke Mama", murmele ich. 

„So Harry, und jetzt nutz die nächsten Stunden und tu etwas, das dir Spaß macht. Etwas, das dich beruhigt. Sieh dir deinen Lieblingsfilm an, mach dir einen Tee ... Was immer du willst."

I want all that is not mineWhere stories live. Discover now