13. Türchen

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Emotionslos blickte ich in den Spiegel, die Hände auf dem Waschbecken abgestützt. Mein Gesicht wurde von vielen als attraktiv angesehen, von noch mehreren angehimmelt. Klar, es war in so gut wie jeder Modezeitschrift meines Vaters zu sehen. Dabei wollte ich dieses blöde Leben gar nicht!
Natürlich machte es auch manchmal Spaß zu modeln und begehrt zu werden, aber würde man mich fragen, ob ich mein Leben gegen das eines normalen Jungen eintauschen wollen würde, der Eltern hatte, die ihn liebten, ich hätte sofort zugestimmt. Denn die Schattenseite meines Lebens kam mir bis vor kurzem noch größer vor, als die Sonnenseite. An meinen Geburtstagen wie an sogut wie jedem anderen Tag aß ich alleine an der riesigen Tafel. Meinen Vater bekam ich kaum zu Gesicht und meine Mutter war spurlos verschwunden. Sie vermisste ich am allermeisten, den vor ihrem Verschwinden war alles noch gut gewesen. Meine Welt war noch heil.
Doch genau heute vor ein paar Jahren war sie plötzlich weg gewesen und mein schönes Leben wie eine Seifenblase zerplatzt. Vater zog sich immer mehr zurück, wurde immer mürrischer und abweisender. Ich hatte sogar den Klang seines Lachens vergessen.
Ich starrte mir selbst in die Augen, die zu wütenden Schlitzen verengt waren. Waren sie der Grund? Die grünen Augen, die blonden Strähnen, alles, was die Ähnlichkeit zu meiner Mutter ausmachte. War Vater vielleicht deshalb so kalt zu mir? Weil ich ihn so sehr an sie erinnerte?
Mich erinnerten sie auch an sie... sehr. Deswegen ertrug ich es an manchen Tagen kaum, in einen Spiegel zu sehen. Oder an eine der vielen Littfasssäulen, an denen mein Gesicht prangte.

Das Klingeln riss mich aus meinem Selbstmitleid und seufzend stieß ich mich vom Becken ab, warf mir meine Tasche über die Schulter und verließ die Toiletten. Sogleich liefen mir Alya und Marinette, welche mich freundlich begrüßten, über den Weg, doch ich ignorierte sie und lief einfach an ihnen vorbei. Sie verstanden mich nicht. Erst gestern hatte Marinette gezeigt, wie stolz sie auf ihren Vater war und es war deutlich zu sehen gewesen, was für ein tolles Vater-Tochter-Verhältnis die beiden teilten. Und Gott ja, ich war eifersüchtig!

Während der restlichen Schulzeit blendete ich alle aus, auch wenn sie sich sorgten, ihre Fürsorge und ihre traurigen Minen konnte ich jetzt einfach nicht ertragen, ich wollte meine Ruhe. Und so kam es, dass ich bei Schulschluss sofort meine Tasche packte und mich aus dem Staub machte. Ausdruckslos stieg ich in die graue Limousine, die mich jeden Tag zur Schule brachte und auch wieder abholte. Natalie begann sogleich, mich mit meinen heutigen Terminen zuzutexten, doch auch sie blendete ich einfach aus. Daheim ging ich wortlos in mein Zimmer und blieb unschlüssig mitten im Raum stehen. Ich wusste nicht, was ich noch tun sollte.
„Adrieeen, wo bleibt mein Essen?!", quengelte es neben mir. Ich seufzte tonlos und holte ihm eine Packung aus meiner extra dafür angelegten Schublade. Doch mein Kwami ließ mich keine fünf Minuten in Ruhe.
„Wieso guckst du so depri?", nervte er mich weiter. Ich antwortete nicht, doch Plagg ließ nicht locker. Er schwirrte vor meinem Gesicht herum wie eine lästige Fliege und wiederholte seine Frage in Dauerschleife, bis mir dann endgültig der Kragen platzte.
„Halt doch endlich die Klappe und lass mich wenigstens heute in Ruhe!", fuhr ich ihn an. Im Nachhinein tat es mir schon ein wenig leid, schließlich konnte Plagg nichts für das Verschwinden meiner Mutter, aber er musste ja immer auf allem herumreiten mit dem Taktgefühl eines Vorschlaghammers auf einer Klaviersaite.
Ich schnaubte, um meiner Wut Luft zu machen und griff mir ein eingerahmtes Bild meiner Mum. Darauf war sie an Silvester zu sehen, mit einem Baby im Arm. Das Baby lachte und staunte über die Wunderkerze, welche sie in der anderen Hand hielt, während sie mit einem sanften Lächeln das Baby ansah. Meine Wut schlug in Trauer um und ich biss mir fest auf die Lippe, um nicht zu weinen.
„Heulst du jetzt etwa?", kam es trotzig aus einer Zimmerecke und ich sprang zornig auf. „SEI ENDLICH STILL!"
Meine Emotionen schwollen an und in meiner Raserei riss ich mir den Ring vom Finger und schleuderte ihn in die Ecke, in der Plagg zuvor war, auch wenn er im Ring verschwand, sobald dieser meinen Finger verließ.
Ich schluchzte auf und fuhr herum, schlug gegen die Wand und fegte alles von meinen Tischen.
„Wo bist du?! Wieso lässt du uns alleine... WO VERDAMMT NOCHMAL STECKST DU!"
Meine Stimme brach und ich holte aus, warf das Bild gegen die Wand. Es knackste, dann fiel es zu Boden und schlitterte ein paar Meter, bis es vor meinen Füßen zum Liegen kam.
Das Glas hatte unzählige Risse und man konnte das Bild kaum noch erkennen. Erschrocken presste ich mir die Hand vor den Mund und ließ mich schluchzend auf die Knie fallen.
Kraftlos hauchte ich: „Was hab ich getan...?"
Ich hob das Bild auf und starrte es an, umklammerte es fest, während meine Sicht vor lauter Tränen verschwamm. Ich spürte nicht einmal mehr, wie mir die Scherben in die Daumen schnitten und feine Tropfen Blut sich bildeten. Ebenso wenig sah ich den schwarzen Schmetterling, der über mir schwebte, seine Kreise zog wie ein Raubvogel, der seine Beute erspäht hatte. Auch bekam ich nicht mit, wie er sich auf dem gebrochenen Bilderrahmen niederließ und mit diesem verschmolz.
Erst als ich eine Stimme vernahm, blickte ich auf. Ihr Ursprung schien direkt in meinem Kopf zu sein und es fühlte sich an, als würde sie sich durch meine Gehirnwindungen bis in den hintersten und tiefsten Winkel meines Bewusstseins bohren und von allen Seiten wiederhallen.

„Ich bin Hawk Moth..."

Merry Christmas!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt