Kapitel 1: Erster Schultag

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Ich wache davon auf, dass ich mit einem lauten Poltern aus meinem Bett falle. Müde stöhne ich auf. Hallo, ich bin übrigens Thalia. Ich rappele mich auf, wanke schlaftrunken ins Badezimmer und betrachte mich erst einmal ausgiebig im Spiegel.

Einige Sommersprossen zieren meine Wangen und meine hellbraunen Haare stehen in jede erdenkliche Richtung ab. Hast du noch Anna, die kleine Schwester aus Die Eiskönigin vor Augen? Ich sehe gerade genauso aus wie sie, direkt nachdem sie aufgewacht ist.

Ich reibe mir den Schlaf aus meinen grün-blauen Augen und setze meine Brille auf. Ich kenne viele Leute, die Fake-Brillen tragen, weil sie finden, dass es cool aussieht, gehöre selber aber nicht dazu. Im Gegenteil, ich hasse meine Brille. Alle sagen, sie sähe süß an mir aus, aber das konnte ich noch nie nachvollziehen.

Nach meiner üblichen Morgenroutine gehe ich zurück in mein Zimmer. Dort ziehe ich mir eine gewöhnliche Jeans und ein schwarzes T-Shirt an und mustere erneut mein Spiegelbild. Naja... Ich schätze, ich sehe ganz okay aus. Mit diesem Gedanke schlüpfe ich in meine einige Größen zu große Jacke und steige so geräuschlos wie möglich die Treppe hinab, greife schnell nach meiner Büchertasche und öffne die Vordertür, in der Hoffnung, dass Mom noch schläft, wie es fast immer der Fall ist.

Immerhin muss ich mir da bei Dad keine Sorgen machen. Um diese Zeit ist er für gewöhnlich mit einer seiner Schlampen unterwegs. Schon klar, sicher denkst du jetzt "In Wahrheit sind das gar keine Schlampen", aber ich versichere dir, das sind sie alle, ausnahmslos. Mein Vater hält es vor ihnen nicht einmal geheim, dass er verheiratet ist und wagt es manchmal sogar, sie mit in unser Haus zu bringen. Um mich von den Bildern abzulenken, die bei dem Thema unweigerlich vor meinem inneren Augen aufleuchten, stecke ich mir meine Kopfhörer in die Ohren und höre "Dead To Me" von Melanie Martinez.

Ich liebe sie und ihre Musik. Sie gibt mir das Gefühl, mit meinen Problemen nicht alleine zu sein; das Gefühl, dass es jemanden in dieser Welt gibt, der versteht, was ich gerade durchmache. Das ist es, was ich hoffe, eines Tages auch zu schaffen. Jemandem das Gefühl geben, verstanden zu werden; jemanden glücklich machen. All diese Gefühle die sie mir schenkt möchte ich auch an andere weiter geben. (Anm. des Autors: Diese Geschichte wurde vor den Vergewaltigungsvorwürfen geschrieben und soll damit nicht in Verbindung gebracht werden.)

Nach ungefähr zehn Minuten erreiche ich meine Schule, die Briarwood High, oder besser gesagt meine ganz persönliche Hölle. Die Highschool-Jahre sind die bisher schlimmsten Jahre meines Lebens. Und Tiffany macht es gewiss nicht besser. Wer Tiffany ist, fragst du dich jetzt sicher? Nun, das wirst du noch früh genug erfahren. Ich betrete die Schule und obwohl alles noch genau wie vor den Sommerferien aussieht, fühlt es sich vollkommen anders an. Ich mache mich auf den Weg zu meiner ersten Stunde, doch werde wie zu erwarten von besagter Tiffany aufgehalten.

Tiffany Johnson ist die mieseste Bitch der gesamten Schule, aber gleichzeitig eines der beliebtesten Mädchen. Wie das beides gleichzeitig möglich ist? Sie sieht gut aus und ist mit dem Captain der Football-Mannschaft zusammen, so einfach ist das. Man nehme einen Traumkörper, leuchtend blaue Augen und perfekt sitzendes, blondes Haar. Das ist alles. Das ist Tiffany. Echt beneidenswert.

Und nicht zu vergessen ihre zwei besten Freundinnen... naja, so nennt sie sie jedenfalls. Ansley und Tammy. Sie sind eigentlich eher ihre Minions. Tammy ist hübsch aber dumm. Ansley hingegen kriegt alles was sie will, sie wird zu Hause von vorne bis hinten verwöhnt. Darf ich vorstellen? Das sind also die beliebtesten Bitches dieser Schule.

"Hey du Schlampe! Wo willst du hin?", fragt mich Tiffany, während Tammy und Ansley zustimmend kichern. "Zum Unterricht...", flüstere ich.  "Sprich lauter, ich verstehe kein Wort von dem, was du sagst. Sprechen wir überhaupt dieselbe Sprache?", fährt sie fort, während das Gekicher im Hintergrund unverändert bleibt. "I-ich gehe zum Unterricht.." sage ich lauter und mit Nachdruck, wodurch ich mir einen überraschten Blick von ihr einfange.

"Hat die kleine Kleine etwa gerade endlich ihr erstes Wort gesagt?", fragt Tiffany. "Theoretisch hättest du besser: 'Hat die kleine Kleine etwa gerade endlich einen ganzen Satz gesagt?' sagen sollen.... Ich mein' ja nur." verbessere ich sie und sie ist tatsächlich für eine Sekunde sprachlos.

"Ach Thalia..." beginnt sie, nachdem sie sich, nach meinem Geschmack zu schnell, wieder gefangen hat und packt mich grob bei der Schulter, "Ich bin mir sicher, dass das hier der Beginn einer ganz und gar wunderbaren Freundschaft wird." Damit dreht sie sich dramatisch um und schreitet majestätisch davon, untermalt vom allgegenwärtigen Gelächter ihrer Freundinnen.

Krass, normalerweise ist sie viel hartnäckiger und gemeiner. Das hier ist neu. Vielleicht wird dieses Jahr endlich alles anders. Ach, was denke ich da? Das wird es ganz bestimmt nicht. Ich seufze tief und laufe weiter zu meinem Klassenraum.

Meine erste Stunde heute ist Mathe. Ich betrete den Raum und bemerke mit Blick auf die Uhr, dass ich zehn Minuten zu früh bin. Gut so, ich liebe es am Anfang des Schuljahres zu früh zu sein und so die besten Plätze zu ergattern. Ich setze mich in die hinterste Ecke, in der Hoffnung, so der allgemeinen Aufmerksamkeit entgehen zu können.

Falls du dich jetzt wunderst, warum noch niemand auf mich zukam um mir zu sagen, wie sehr ich ihm über die Ferien gefehlt habe, sollte ich dir vielleicht mitteilen, dass ich keine Freunde habe. Also wirklich überhaupt niemanden. Ich habe mein Bestes versucht, aber irgendwie schaffe ich es einfach nicht, mich irgendwo anzupassen. Ich gehöre einfach nicht hierher. Aus dem Grund schleiche ich hier herum wie ein Schatten. Niemand nimmt Notiz von meiner Existenz und das kann von mir aus auch gerne so bleiben.

Bis zur achten Klasse hatte ich sogar einen Freund, Ethan Maxwell. Wir kannten uns seit dem Kindergarten, aber er hat sich zu guter Letzt gegen mich und für die Beliebtheit entschieden. Also bin ich jetzt wohl oder übel  ein Einzelgänger. Ich will es nicht schönreden, ich vermisse ihn. Ich konnte ihm früher immer alles erzählen. Aber solche Dinge passieren nunmal. Ich kann nichts dagegen tun außer hoffen, dass diese Dinge sich für mich irgendwann zum Besseren wenden.

Mit dem Klang der Schulglocke strömen alle in den Klassenraum und versuchen, sich möglichst überall hin, bloß nicht neben mich zu setzen. Sie alle ignorieren mich, aus Angst ich könnte mich mit ihnen anfreunden. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Beliebten mich hassen, also wer würde schon mit so einer zu tun haben wollen? Richtig, niemand.

"Willkommen, alle miteinander, ich bin Frau Sanchez, eure Mathelehrerin für dieses Jahr" sagt eine alte Dame und stellt sich damit vor die Klasse. Oh man, das wird noch ein langes Schuljahr. Ich gebe mir den Rest der Stunde Mühe, meinen Tisch anzustarren und zu malen. Malen und Musik hören sind das einzige was mich in letzter Zeit überhaupt noch davon abhält wahnsinnig zu werden.

Ich höre, wie sich die Tür öffnet und schon bald macht sich Gemurmel breit. Dem schenke ich noch nicht viel Beachtung, aber was mich dann doch aufmerken lässt, ist, dass ich ein Rascheln am Platz neben mir vernehme. Irgendjemand setzt sich da hin. Oh Gott, nein, bitte nicht. Okay, ich werde meinen Blick einfach für die nächsten anderthalb Stunden nicht von meinem Tisch abwenden und kein Wort mit dieser Person wechseln. Problem gelöst.

"Hii!" tönt es da auch schon in mein Ohr. Scheiße. Es redet. Warum redet es? Was mache ich jetzt? Wie gebannt starre ich die noch leere Seite meines aufschlagenes Heftes an. "Hi." stoße ich nach einer peinlichen Stille hervor. "Sieh mich an, wenn ich mit dir rede!" sagt eine maskuline Stimme und ich hebe meinen Blick, um die Person zu mustern, neben der ich jetzt für den Rest des Schuljahres sitzen müssen würde. Nichtsdestotrotz vermeide ich Blickkontakt mit ihm, aber er ergreift mein Gesicht und zieht es auf Augenhöhe mit seinem. Das wird noch ein schrecklicher Tag...

The Gangleader's Girl [German Translation]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt