Kapitel 2: Desaster beim Mittagessen

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"Was ist denn mit deinem Auge passiert?" fragt er mich. Scheiße, das hab ich ja total vergessen! Ich habe da noch eine kleine Schramme von Moms Heimkehr gestern Nacht. "Oh.. Ehm.. also ich..ich bin eh.. hi-hingefallen." stottere ich unbeholfen und fühle mich dabei echt ausgeliefert. "Du bist ... hingefallen? Wie das denn?" forscht er ungläubig nach und man kann seine hochgezogene Augenbraue förmlich in seiner Stimme hören.

"Das geht dich mal so überhaupt nichts an!" platze ich heraus, was er mit einem süffisanten Grinsen quittiert. "Awwww, das Stottermädchen kann also sprechen." stellt er spöttisch fest. Normalerweise wäre ich beleidigt,  aber in diesem Moment komme ich nicht umhin, zu bemerken, dass er Recht hat. Oh mein Gott, ich habe zum ersten Mal einen ganzen Satz gesagt ohne zu stottern.

"Würden Sie ihre privaten Unterhaltungen bitte außerhalb des Unterrichts fortsetzen?" unterbricht Frau Sanchez meine Gedanken und starrt mich und meinen neuen Sitznachbarn, hasserfüllt an, wobei mir in dem Moment auffällt, dass ich seinen Namen immer noch nicht kenne... "Es .. es tut m-mir schrecklich leid." presse ich hervor. Sie guckte erwartungsvoll neben mich. "Was? Mir tut es nicht leid!" entgegnet der Junge dreist.

"Wären Sie dann so freundlich, sich ins Büro des Direktors zu bequemen, junger Mann? Vielleicht kann der Ihnen besser erklären, was dir leid zu tun hat und was nicht." erwidert Frau Sanchez mit unterdrücktem Zorn in der Stimme. "Das würde ich liebend gerne tun, nur leider habe ich als neuer Schüler keine Ahnung, wo dieses Büro zu finden ist. Ich schätze, ich muss mir also einen Ihrer Schüler zu Navigationszwecken borgen." erwidert er. Frau Sanchez holt tief Luft und seufzt danach mindestens genauso tief.

"Gibt es Freiwillige?" fragt sie in die Klasse, die bis eben ehrfürchtig schweigend dem Wortgefecht gelauscht hat. Sofort schießen die Arme der gesamten weiblichen Schülerschaft in die Luft. Noch bevor sie eine derjenigen für diese ehrenvolle Aufgabe auserkiesen kann, unterbricht der Junge sie. "Könnte sie das nicht einfach machen?", schlägt er vor und deutet mit sem Zeigefinger auf mich.

"...Von mir aus" willigt die Lehrerin gleichgültig ein. "M-m-mu-muss ich?" frage ich panisch stotternd. "Ja, du musst." verifiziert sie genervt. Ihre Stimme lässt keinen Widerspruch zu. Auf mein Seufzen hin grinst der Junge mich erneut süffisant an. Ich packe alle meine Sachen zusammen, stopfe sie in meine Tasche und gehe ihm voran aus dem Klassenraum.

"Jetzt kannst du mich nicht mehr ignorieren, Stottermädchen" stellt er selbstzufrieden fest. "St-totterm-m-mädchen?" wiederhole ich abfällig und verdrehe die Augen. "Naja, offenbar nicht viel anderes sonst. Warum gibst du dich so antisozial?" fragt er. "T-tu ich g-gar nicht!" widerspreche ich empört. "Oh doch, das tust du." beharrt er. "Ma-manchmal rede ich." starte ich einen Versuch mich zu verteidigen. "Nö, du stotterst höchstens manchmal. Was anderes kannst du nicht. St-st-ottermädchen." Er lässt einfach nicht locker.

Ich gebe auf und richte meinen Blick zum Boden. Obwohl das wahrscheinlich kindisch klingt, haben seine Worte mich ehrlich gesagt ziemlich getroffen. Ich stottere nicht immer, ich kann sprechen. "Wahrscheinlich bist du die Sorte Mädchen, die eh alle über sich drüber trampeln lässt, ohne ihre eigenen Gefühle zu schützen... So vollkommen hilflos." sagt er während ich mit den Tränen zu kämpfen habe, die sich in meinen Augen sammeln.

"Ich bi-bin nicht h-h-h-h-hilflos!  Ich kann.. kann mich ver-t-t-teidigen!"

"Dann hör auf, die Leute auf dir herumtrampeln zu lassen."

"Aber... Aber wie?" Meine Stimme verrät, dass ich resigniere.

"Weiß ich doch nicht. Aber find's besser bald mal raus." sagt er und beschleunigt plötzlich seinen Schritt.

"Wo willst du hin? Ich muss dich zum Büro des Direktors bringen." rufe ich ihm verwirrt hinterher. "Ich weiß doch längst wo es ist, wollte nur ein bisschen unter vier Augen mit dir reden, um dir näher zu kommen, Stottermädchen" erklärt er zwinkerd.

The Gangleader's Girl [German Translation]Where stories live. Discover now