Treppenhaus

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Er war es. Er war es wirklich. Ich kauerte mich unter der Dusche zusammen. Verzweifelt versuchte ich alle Geräusche auszublenden. Meine Arme taten weh aber ich hielt sie weiterhin hoch um mir die Ohren zuzuhalten. Tränen liefen mir über das schmerzverzerrte Gesicht, ein metallener Geschmack breitete sich nun auch in meinem Mund aus. Unbewusst hatte ich mir auf Lippen, Backen oder Zunge gebissen um nicht zu schluchzen. Das wichtigste war immer noch, nicht entdeckt zu werden. Ich war nicht bereit ihm zu begegnen, nicht hier, nicht so, überhaupt nicht.

Ich hatte ein Handtuch neben mir entdeckt und in der Hoffnung es wäre noch nicht benutzt worden mein Gesicht darin vergraben. Anstatt meine Lippen zu zerbeißen, zerfleischte ich nun dieses arme Handtuch, das doch auch nichts dafür konnte, dass sein neuer Besitzer, der Vater meines Kindes, gerade, durch nur eine dünne Duschwand von mir getrennt, mit seiner frisch Verlobten rum machte. Das Handtuch dämpfte die Geräusche neben mir noch ein wenig und langsam beruhigte ich mich ein wenig. Es war keine beruhigende Ruhe, schlechthin spürte ich einfach nichts mehr, ich war leer, jeder Lebenswille, alles schöne war mir genommen worden, zurück blieb nur diese erdrückende Leere und ein kleines bisschen Schmerz, dass von allen Seiten auf mich eindrückte. Noch immer liefen heiße Tränen meine Wangen hinab, tropfte auf das mittlerweile leicht durchnässte Handtuch und wurden dort direkt eingesogen, nur eine kleine nasse Stelle blieb als Beweis meines Schmerzes an diesem Tag. 

Fast hätte ich das Geschehen neben mir vergessen. Aber das ließen sie nicht zu, denn in diesem Moment waren sie an der hinteren Wand des Badezimmers angekommen und ich hatte das erste Mal eine perfekte Sicht auf sie. Eine kalte Hand ergriff mein Herz,drückte es zusammen, drückte und drückte, es tat so weh, so sehr, dass ich mir wünschte es würde aufhören zu schlagen, der laut in meinen Ohren dröhnende Puls, mein eigener, aufhören und mein armes kleines Herz versagen. Für diesen Moment war mein kleiner Sohn vergessen, die Verantwortung für ihn alles was zählte war dieser Schmerz, der mich nieder presste, mir jede Möglichkeit der Bewegung nahm. Zählte es schon als Selbstverletztung sich diesen Anblick immer noch anzusehen? Starr anzusehen, wie seine Hände an ihrem Körper auf und ab wanderten, zu sehen wie sie ihre Hände in seinen Haaren vergrub, seinen unfassbar weichen Haaren. Mittlerweile trug er sie spießig, kurz und gegellt, was hatten sie ihm nur angetan? Von dem rebellischen Freigeist von damals war äußerlich nichts mehr zu erkennen.  Auch der wahrscheinlich von einem teuren Designer extra geschneiderte Frack, störte mich irgendwie. Er hatte sich verändert, mehr als mir lieb war, aber wahrscheinlich war das besser, es würde es für mich wahrscheinlich einfacher machen. So konnte ich mir einreden, dass der Ryan von damals nicht der war, der hier heute vor mir stand, seinen Körper dicht an ihren gepresst. 

Ich erwischte mich bei dem Gedanken heute hier an ihrer Stelle zu sein, vielleicht wäre es so gekommen, wenn ich nicht schwanger geworden wäre, vielleicht hätte er mich dann nicht einfach stehen gelassen. Aber dann hatte die Schwangerschaft mich wohl vor einem solchen Leben gerettet. Wäre ich wirklich glücklich gewesen, mit einem Mann der mich wenn ich schwanger geworden wäre, verlassen hätte? Vermutlich hätte er mich trotzdem verlassen, für eine Frau wie diese, das perfekte Vorzeigeobjekt, wahrscheinlich der Liebling seines Vaters, der mich immer gehasst hatte. Ich kannte sie sogar. Nicht sie selber aber ihre Familie, viel mehr ihren Familiennamen. Ihre Familie hatte mit meiner Geschäfte gemacht, tatsächlich war ihr Vater kurz vor dem Bankrott gestanden, wie meine Mutter mir damals erklärt hatte. Ironischerweise wäre ich zumindest damals wahrscheinlich die bessere Partie gewesen. Wahrscheinlich war es nur zu meinem Glück, dass sie nun an dieser Stelle stand. Viel Spaß in einer Ehe, die von Daddy arrangiert worden war, rein aus geschäftlichen Gründen, wahrscheinlich hatte sie seinem Vater gerade so gereicht, gerettet hatte sie nur ihre Verwandtschaft zur Queen, zu der ich, wie mein Vater nicht oft genug betont hatte können, sogar noch näher verwand war. 

Ich starrte sie an, mein Blick unbewegt an seinem Hinterkopf geheftet. Und während die Gedanken einer gemeinsamen Zukunft für uns durch meinen Kopf schossen bemerkte ich nicht wie sie ihre Augen aufriss und mich bemerkte. Erst als sie offensichtlich zu mir zeigte und Anstalten machte ihn umzudrehen wurde ich aus meiner Starre gerissen. Scheiße! Was sollte ich jetzt tun. Er durfte mich auf keinen Fall erkennen. Mein Körper schoss hoch, um aus dem Raum zu rennen bevor er mich erkennen konnte, aber ich hatte nicht damit gerechnet, dass mein Kopf auf seinem Weg nach oben an etwas hängen blieben würde, dem Wasserhahn. Und ich hatte nicht damit gerechnet nun von eiskalten Wasser eiskalt getroffen zu werden. Ich hatte beim einrichten dieser Wohnung immer von dieser Regendusche geträumt, aber in dem Traum, war sie anders eingestellt  gewesen und außerdem war ich normalerweise alleine gewesen und hatte kein Ballkleid an. 

Wie die Katze, die Archie einmal auf unerklärliche Weise mit einer Wasserpistole geduscht hatte, sprang ich aus der Dusche. Ich erhaschte einen kurzen Blick in den Spiegel und konnte meine  Gestalt in all ihrem Elend bewundern. Mein Kleid trieft, mein Arm blutete, meine Augen waren rot, geschwollen und zur Betonung noch schwarz umrandet, der Rest meines Gesichtes hatte jede Farbe verloren, nur meine Lippen stachen tatsächlich etwas blutig heraus. Eilig, bevor ich erkannt werden konnte rannte ich noch immer mit dem Handtuch in der Hand aus dem Badezimmer, ich wollte nur von hier fort und ohne mich um die vielen Leute um mich herum zu kümmern oder darum, dass die Badezimmertür, die ich sehr heftig zugeschlagen hatte, sich nie geschlossen hatte, rannte ich mit tropfendem Kleid durch die riesige Wohnung bis ich endlich am Eingang angekommen war. Da ich keine Lust auf den hell erleuchteten Aufzug, womöglich noch mit jemandem anderen zusammen hatte, entschied ich innerhalb von Sekunden die Treppe zu nehmen, in meinem Tempo würde ich wahrscheinlich kaum länger für die 9 Stockwerke brauchen als ich mit Aufzug gebraucht hätte, in meinem Tempo würde ich aber auch auf die Schnauze fallen, insbesondere in den hohen Hacken, die ich noch immer trug, wie ich einige Stufen später merkte. Ich knickte heftig um, stürzte vornüber und konnte mich im letzten Moment gerade noch an dem stark verzierten Metallgeländer festhalte. Mein Atem ging flach und schnell, als ich mich wieder sammelte und irgendwie aufzurichten versuchte. Ich gab mir einen kurzen Moment des verschnaufens und als ich dort auf diesen ebenfalls kalten Steinstufen saß hörte ich die Schritte hinter mir, vermutlich einen Absatz über mir, gleich würde die Person um die Ecke kommen. Eigentlich nur halb so schlimm, wenn sich nicht dieser Gedanke in mir eingenistet hätte. Dieser Gedanke, dass die Schritte zu einer bestimmten Person gehörten. 

Ein stechender Schmerz zuckte von meinem Knöchel aus durch mein gesamtes Bein und ließ mich viel zu laut zischen, aber ich hatte nicht die Zeit weiter hier zu stehen und mich dem Schmerz hinzugeben. Wenn er es war und mit jedem Schritt, den ich laut durch das Treppenhaus hallen hörte, war ich mir sicherer, dass er es war, dann müsste ich schleunigst verschwinden. Ich wollte und konnte ihm so nicht begegnen, nicht in diesem Zustand, nach all den Jahren. Den Schmerz in meinem Fuß ignorierend rannte ich wieder viel zu schnell, die hohen Schuhen nun in der Hand weiter:

"Liv! Bitte! Bleib stehen!"

Scheiße! Er war es wirklich. einen kurzen Moment rang ich tatsächlich mit dem Gedanken auf ihn zu warten, mich ihm zu stellen, meine Füße verringerten bereits ihre Geschwindigkeit, nur um kurz darauf noch schneller die gefährlichen Stufen hinab zu hechten. 

"Liv...", er war so leise gewesen, dass das laute Aufprallen meiner nackten Füße auf dem kalten Stein der Stufen ihn fast übertönt hätte, aber ich hätte ihn bei jeder Lautstärke erkannt, niemals würde ich seine Stimme vergessen, noch heute rief sie bei mir die gleiche Gänsehaut wie damals aus, aber heute lief ich vor ihr weg. Es tat so weh, viel mehr als mein zerstörter Knöchel oder der harte Stein auf den ich kurz darauf erneut knallte, als ich ein weiteres mal ausrutschte und zu Boden fiel. 

Boss BabyWhere stories live. Discover now