„Und du denkst wirklich, dass du das hinbekommst?“
„Nö. Aber ich habe keine Wahl, denn ansonsten heißt es: Kopf ab.“
„Gute Güte!“
„Das war ein Scherz.“
„Aber kein besonders guter…“
Bei den beiden, die dieses Gespräch führten, handelte es sich um niemand Geringeren als Heidrun und Hicks. Die zwei waren in der Schmiede des Dorfes, in welcher Hicks an einer Skizze saß.
Er grinste vor sich hin. „Ich fand ihn nicht schlecht, genau wie deinen Gesichtsausdruck.“
Sein Gegenüber, Heidrun, rollte nur mit den Augen. „Entschuldige bitte mein Mindestmaß an Anteilnahme“, entgegnete sie schnippisch.
„Es sei dir verziehen“, meinte Hicks mit gespielter Gleichgültigkeit. Als er dann wieder ihr Gesicht sah, musste er auflachen.
„Hör auf mit dem Quatsch und konzentriere dich lieber auf deine Aufgabe“, grummelte Heidrun. „Es wird der Königin nicht gefallen, dass du deine Zeit hier mit Kichern verbringst, während du eigentlich dafür sorgen solltest, dass der Nachtschatten wieder fliegen kann.“ Während sie das sagte, begann sie die Stirn zu runzeln und meinte dann skeptisch: „Obwohl es mich immer noch interessiert, wie du das überhaupt anstellen willst.“
Hicks legte nachdenklich den Kopf schief und besah die Skizze mit kritischem Blick. „Ach, ihm die Flugfähigkeit zurückzugeben wird weniger das Problem sein. Vielmehr eher, ihn und mich an diese neue Art zu fliegen zu gewöhnen.“
„Mo-moment!“, warf Heidrun dazwischen. „Ihn UND dich? Willst du etwa auf ihm reiten?“
„Wäre nicht das erste Mal“, meinte er nur schulterzuckend, legte dann aber den Kopf schief. „Obwohl ich unseren ersten gemeinsamen Flugversuch gerne vergessen würde. Keine Erfahrung, die ich gerne gemacht habe…“
Eine Weile schwiegen sie, während Hicks den Plan weiterhin nachdenklich betrachtete. „Kann ich vielleicht helfen?“, fragte Heidrun.
„Wenn du was von Drachenprothesen verstehst, nur zu“, entgegnete Hicks sarkastisch.
Die Schwarzhaarige verdrehte nur die Augen. „Du tust ja gerade so, als ob du das schon mal gemacht hättest. Zeig mal her!“, verlangte sie und zog die Skizze zu sich rüber, ehe Hicks etwas dagegen machen konnte.
Einige Sekunden später schnaubte sie. „Du willst ihn eine neue Schwanzflosse machen? Schön und gut, aber nach dem, was ich sehen kann, muss man sie manuell bedienen. Ohnezahn wird das nicht alleine machen können. Darf ich fragen, wie du sie steuern willst?“
„Ääääh…“, machte Hicks, bevor er etwas Vernünftiges rausbringen konnte. „Darüber… hab ich noch gar nicht wirklich nachgedacht… Vielleicht mit der Hand?“
Die junge Wikingerin verdrehte die Augen. „Du kannst mir doch nicht erzählen, dass du dich auf seinen Schwanz setzen willst, damit du mit der Hand die Flosse steuern kannst. Bist du bescheuert oder lebensmüde?“
„Wahrscheinlich beides“, entgegnete er nur schulterzuckend. „Ansonsten hätte ich mich erst gar nicht mit ihm angefreundet.“
Heidrun öffnete wieder den Mund, um irgendeine Bemerkung abzulassen, verschluckte sie aber und nickte nur. „Vielleicht…“, murmelte sie nachdenklich und nahm Hicks seinen Stift aus der Hand, bevor sie auf seiner Skizze zu zeichnen begann. „Vielleicht etwas, womit du seine Schwanzflosse steuern kannst, während du auf dem Rücken sitzt…“
Der Junge versuchte nur mit hochgezogener Augenbraue einen Blick auf das zu erhaschen, was sie da zeichnete. Nun hatte sie seine Aufmerksamkeit.
„Eventuell eine Leine, die an der Flosse befestigt ist. Man müsste daran ziehen, dass sie aufgespannt wird“, fuhr sie fort und zeigte ihm schließlich, was sie da fabriziert hatte.
Hicks nahm die Zeichnung erstaunt an sich. „Gar nicht mal so eine schlechte Idee…“, murmelte er und fasste sich nachdenklich ans Kinn. Dann erinnerte er sich, wie der Nachtschatten in der Luft eine seitliche Rolle abgezogen hatte, und rümpfte die Nase. „Aber das würde mir ein wenig die Kontrolle nehmen, wenn wir in Kurven fliegen oder wenn Ohnezahn sich besonders lustig fühlt.“
„Zum Beispiel…?“, fragte Heidrun andeutend nach.
„Zum Beispiel wenn er kopfüber fliegt“, vervollständigte Hicks.
Sie runzelte die Stirn. „Also nicht mit der Hand.“
Eine Weile schwiegen sie, bevor sich Hicks' Miene erhellte und in ein breites Grinsen verwandelte. „Nein“, sagte er. „Nicht mit der Hand. Aber läge denn nicht der Gedanke an den Fuß nahe?“ Schnell schnappte er sich wieder Stift und Skizze, wischte Heidruns Vorschlag vorsichtig weg und kritzelte dann wie wild drauf los.
Die Schwarzhaarige zog eine Augenbraue hoch und sah ihm interessiert über die Schulter. „Und wie willst du das jetzt wieder anstellen? Du kannst nicht mitten im Flug ein Bein andauernd nach vorne und hinten baumeln lassen, um die Position der Prothese zu beeinflussen.
„Das kann ich tatsächlich nicht“, gluckste der ehemalige Berkianer. „Die Idee mit der Leine ist zwar nicht schlecht, aber wenn die Schwanzflosse stabil bleiben soll, brauche ich etwas, das ich nicht die ganze Zeit bewegen und halten muss, sondern etwas, das ich umschalten kann.“
„Und das wäre…?“
Grinsend legte er den Stift weg und zeigte ihr den Plan erneut. „Ein Pedal.“ Dann begann er zu erklären. „Sobald ich draufsteige, muss die Prothese ausgefahren werden. Und dann muss ich sie so steuern können, dass sie den Wind in unterschiedlichen Richtungen einfängt, indem ich das Pedal nach vorne oder hinten kippe, damit wir auch stabile Kurven fliegen können.“
Die Augen der jungen Wikingerin wurden groß. „Das- das ist genial!“, rief sie erstaunt. „Wie bei allen Göttern bst du darauf gekommen?!“
Hicks lächelte nur. „Mit dem Ding, das die meisten Wikinger meist nur für eine Sache nutzen, und zwar Kopfnüsse“, witzelte er und tippte sich gegen die Stirn. Dann aber wechselte er schnell das Thema. „Kannst du zufällig mit Leder umgehen?“
„Ein wenig“ meinte sie nur, und neigte dann den Kopf zur Seite. „Wieso fragst du?“
„Ich könnte noch jemanden mit Köpfchen brauchen. Außerdem geht es zu zweit etwas schneller“, antwortete Hicks. „Bist du dabei?“, fragte er und hielt er die Hand hin.
Grinsend schlug sie ein. „Worauf du dich verlassen kannst!“
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Am nächsten Morgen lief Mala, wie immer begleitet von ihrem Leibwächter Trok, zufrieden durch das Dorf. Den ganzen vorigen Tag hatte sie damit verbracht, de Wunden des Nachtschatten zusammen mit einigen Heilern persönlich zu versorgen. Dabei spielte der Speichel des Drachen selbst eine nicht unbedeutende Rolle.
Seine Heilkraft hatte Mala sprachlos gemacht. Sie kannte die Wirkung von Nachtschattenspeichel nur aus alten Büchern, aber er hatte auf alle Salben, die sie auf die Wunden des Nachtschatten auftrugen, einen zusätzlichen positiven Effekt, der den Heilungsprozess um ein Vielfaches beschleunigte. Zweifelsohne war der Speichel selbst ein exzellentes Mittel zur Versorgung von Wunden.
Am vorigen Tag, kurz nach dem Prozess des jungen Hicks, war sie bereits bei dem Drachen gewesen, doch da war dieser noch immer völlig erschöpft und gab kaum Zeichen von sich. Aber schon am Abend desselben Tages war er putzmunter und bedankte sich überschwänglich bei Mala und den Heilerinnen, was trotz ihrer Sympathie für Drachen nicht immer auf Begeisterung stieß.
Jedenfalls befanden sie und Trok sich grade auf dem Weg zur Schmiede, wo sie Hicks' bisherigen Fortschritt begutachten wollten. Es interessierte sie sehr, wie es ein Wikinger aus einem Dorf von Drachentötern schaffen wollte, einem Drachen seine Flugfähigkeit zurückzugeben. Und wie es überhaupt irgendein Mensch schaffen sollte.
Alles, was sie sich dabei vorstellen konnte, war, dass er dem Nachtschatten eine neue Flosse wachsen ließ. Aber Mala wusste auch, dass dies ein Ding der Unmöglichkeit war.
Sie war sehr gespannt, was der junge Wikinger also stattdessen zu bieten hatte.
Trok öffnete die Tür zur Schmiede, was die Königin ihm mit einem kurzen Nicken dankte, bevor sie eintrat und sofort bei dem Bild, das sich da vor ihren Augen abspielte, stehen blieb.
Heidrun saß in der hinteren Ecke des Raumes auf einem Stuhl. Wach sah sie aber nicht aus. Im Gegenteil: Ihre Arme hingen schlaff an den Seiten herunter und ihr Kopf war schief nach hinten über die Stuhllehne gelegt. Das sanfte, gleichmäßige Heben und Senken ihrer Brust signalisierte Mala, dass die junge Wikingerin ganz offensichtlich schlief.
Hicks hingegen kniete vor einem Tisch, auf den er seine Arme gelegt hatte und diese für seinen Kopf als Kissen benutzte. Anscheinend hatte er sich noch nicht einmal die Mühe gemacht, nach einem Tag langer Arbeit einen geeigneten Schlafplatz zu finden.
Nicht dass es Heidrun viel besser gemacht hatte…
Neugierig traten die beiden Beschützer des Flügels an den Tisch heran, bei dem Hicks schlief, und betrachteten seine Arbeit.
„Schlecht sieht es nicht aus. Das muss man ihm lassen“, bemerkte Trok und verschränkte dann die Arme „Aber…“
„Aber?“, hakte Mala nach.
„Er hat zwar eine neue Flosse für ihn gebaut, aber seht ihr, was er noch dazu gemacht hat?“, fragte er und deutete auf den Rest der Konstruktion. „Einen Sattel.“
Die Königin runzelte die Stirn. „Du hast recht. Das ist wirklich seltsam. Vielleicht kann er es uns selbst erklären.“
Trok fackelte nicht lange und rüttelte dem jungen Wikinger mit einer Hand an der Schulter. Er nahm sie wieder weg und wartete auf eine Reaktion.
Hicks wurde dadurch zwar nicht wach, aber seine Schlafposition hatte vorher ein gewisses Gleichgewicht, das nun jedoch fehlte. Also kippte er seitlich nach hinten um und schlug mit dem Kopf auf dem Boden auf.
Hicks blinzelte und kniff die Augen wegen der Helligkeit zusammen. „Die Schmiede…?“, murmelte er und seufzte. „Sieht so aus, als hätte mich Vater rausgeschmissen… mal wieder…“ Er richtete sich in eine sitzende Haltung auf und rieb sich über die Augen. „Morgen, Grobian. Wann gibt's Frühstück?“
„Wer ist Grobian?“, fragte Mala verwirrt.
Schlagartig schlug der junge Wikinger die Augen auf und sah zu den beiden Beschützern des Flügels hoch. Erschrocken sprang er auf. „Äääääh…“, machte er und lachte dann auf einmal nervös. „Entschuldigung. Ich dachte, das wäre alles nur ein bescheuerter Traum“, gab er zu und kratzte sich am Hinterkopf, bevor er kurz zusammenzuckte. „Aaaaaaau…“, raunte er und sah wieder seine Finger an. Kein Blut. Na immerhin.
Trok zuckte nur mit den Schultern. „Tja, das Ganze ist ziemlich real. Und die Königin hat dich was gefragt. Wer ist dieser Grobian?“
Hicks winkte ab. „Er war Berks Schmied, der beste Freund des Häuptlings, mein Mentor und im Grunde auch mein Ziehvater. Aber deshalb seid ihr sicher nicht hier. Also, was gibt's?“
„Wir haben uns ein wenig deine Arbeit angesehen“, antwortete Mala stirnrunzelnd. „Aber es scheint so, als hättest du dem Nachtschatten mehr als nur eine Flosse gebaut“, fügte sie hinzu und legte dann einem Finger auf den Sattel. „Möchtest du uns vielleicht erklären, was der hier soll?“
Hicks war sich nicht ganz sicher, ob das irgendwie eine Art versteckte Drohung war.
Er räusperte sich. „Naja, ich habe auf Berk ja schon viele verrückte Erfindungen gemacht, die auch mal mehr als nur ein Haus in die Luft gejagt haben, aber einem Drache die Fähigkeit zu Fliegen zurückzugeben noch nicht, was euch eigentlich nicht überraschen dürfte.“
Als die beiden Beschützer nur eine Augenbraue hochzogen und sich ansahen, fügte er noch seufzend hinzu: „Damit will ich sagen, dass ich keinerlei Erfahrung mit Drachen habe. Ich weiß nicht, wie die Muskeln in Ohnezahns Schwanz sich auf seine Flossen ausüben. Sonst könnte ich ihm vielleicht etwas Automatisiertes machen. Außerdem: Wisst ihr eigentlich, wie viel Aufwand es benötigt, eine Prothese zu pflegen?“
Trok schüttelte den Kopf. „Es ist noch nie ein verkrüppelter Drache auf unserer Insel gelandet.“
Hicks rollte mit den Augen „Ja, wie denn auch?“ Als sich der Blick des königlichen Leibwächters verfinsterte, fuhr der junge Wikinger schnell fort. „Aber egal. Ich kenne das von Grobian. Ihm fehlen ein Arm und ein Bein. Ständig hat er irgendwo Schmerzen, weil er seine Stümpfe nicht vernünftig pflegt, oder seine Prothesen nutzen ganz einfach ab. Bei Ohnezahn wird es genau dasselbe sein. Er kann seine Prothese nicht selbst ausbessern und auch die Stelle, an der jetzt keine Flosse mehr ist, nicht selbstständig pflegen. Er braucht jemanden, der bei ihm ist und dies gewährleistet. Wenn er allein davonfliegen könnte, würde die Prothese irgendwann abgenutzt sein und er wäre wieder genauso dran wie jetzt.“
„Aber ein Sattel…“, meinte Mala skeptisch, wurde aber zu Troks Missfallen von Hicks unterbrochen.
„Was denn sonst? Ich habe mit Heidruns Hilfe die Prothese gebaut, doch Heidrun hat nicht die nötige Schmiedekenntnis, um sie zu reparieren und auszubessern. Ich hingegen schon. Wenn es einen anderen Weg gibt: Bitte, ich bin offen für Vorschläge.“
„Auf dieser Insel ist es verboten, auf Drachen zu reiten“, entgegnete Trok. „Es wäre eine Beleidigung gegenüber unseren Ahnen, würden wir etwas Derartiges zulassen.“
„Trok, in diesem Fall stimme ich Hicks zu“, erwiderte Mala. „Ihm ist etwas gelungen, das keiner von uns geschafft hätte, nicht einmal unsere talentiertesten Vorfahren. Er hat dem Nachtschatten etwas gebaut, sodass er wieder fliegen kann. Mir gefällt zwar auch nicht, dass er nun einen Reiter benötigt, aber haben wir eine bessere Lösung? Sein Teil der Abmachung war, dem Drachen das Fliegen erneut zu ermöglichen, und den hat er eingehalten.“
Trok senkte ergeben das Haupt. „Natürlich, meine Königin. Vergebt mir.“
Mala nickte lächelnd und wandte sich dann wieder an den jungen Wikinger. „Dann wollen wir mal sehen, ob es auch funktioniert.“ Mit einem Seitenblick schaute sie zu Heidrun. „Vielleicht sollten wir sie auch aufwecken. Ich habe das Gefühl, ihr Drache vermisst sie.“
Das war sogar eine starke Untertreibung. Auf der Vulkaninsel, wo sie sich befanden, gediehen bestimmte Pflanzen, an der die sogenannte Frucht der Weisen wuchs, die die seltene Eigenschaft hatte, Drachen bei Verzehr zu beruhigen. Windfang war wegen der Abwesenheit ihrer Gefährtin derart aufgekratzt, dass sie schon etliche der Früchte verdrückt hatte. Und wenn man vergaß, ihr eine zu geben, brauchte es mehrere Beschützer des Flügels, sie wieder zu beruhigen.
„Na dann“, meinte Hicks und wuchtete sich das Gewicht des Sattels mitsamt der Prothese auf die Schultern. Kurz ächzte er und drohte umzufallen, fand aber sein Gleichgewicht wieder und atmete tief durch. „Wird schon schiefgehen.“
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„Langsam komme ich nicht mehr mit der Anzahl meiner bescheuerten Einfälle innerhalb der letzten Woche hinterher“, brummte Hicks, als er auf Ohnezahns Rücken stieg und das fröhliche Gesicht des Nachtschattens sich sofort zu einem Fragenden umwandelte.
Als die Königin, Trok, Heidrun und Hicks auf den Dorfplatz traten, wurden Letztere überschwänglich von ihren Drachenfreunden begrüßt, welche auf Malas Befehl von anderen Beschützern des Flügels hergebracht wurden.
Unter dem skeptischen Blick der Einheimischen, sowie dem Blick Ohnezahns legte Hicks schließlich Sattel und Prothese an.
Nun jedoch befand er sich auf dem Rücken des äußerst aufgeregten Nachtschatten und überlegte, ob es vielleicht doch nicht eine so gute Idee war.
Auf Ohnezahn unausgesprochene Frage antwortete er: „Welche bescheuerten Einfälle? Oh, da fällt mir der ein oder andere ein.“ Nach und nach zählte er mit den Fingern auf. „Zum Beispiel der, als ich dich mit einer Bola gefangen habe und dich dann doch hab laufen lassen? Oder der, als ich dir ins Krähenkliff geradewegs gefolgt bin? Dann weiß ich noch, dass ich so dämlich war und in diesen rohen Fisch von dir gebissen habe.“
Ohnezahn knurrte leicht gereizt.
Hicks verdrehte die Augen. „Ich entschuldige mich nicht. Der war widerlich.“
Der Nachtschatten breitete nur langsam mit einem verschmitzten Grinsen seine großen Schwingen aus, während der Wikinger auf seinem Rücken davon nichts mitbekam und einfach weiter vor sich hin plapperte.
„Ich überspringe an dieser Stelle mal einige weitere und komme direkt zu dem Zeitpunkt, als ich dir sagte, du sollst mich aus Berk entführen. Dann war ich noch behämmert genug, dir bei meiner Entführung zu helfen, indem wir gemeinsam Astrid über's Ohr gehauen haben. Und jetzt helfe ich dir auch noch beim-“
Hicks' Augen wurden groß, als er nach links und rechts schaute und nichts als riesige, schwarze Flügel sah, die Ohnezahn bis zu ihm hochgeschlagen hatte.
„Ach du heilige Sch-AAAAAAAAAAAAAAAH!!!“
Mit einem gewaltigen Flügelschlag hob sich der Nachtschatten mehrere Meter in die Luft, als Hicks einen mädchenhaften Schrei ausstieß und komplett in Panik geriet. Am höchsten Punkt angekommen bemerkte der junge Wikinger jedoch, dass sie langsam zur Seite kippten. Er begriff, dass es jetzt seine Aufgabe war, dies zu richten.
„Warte! Wie!? Ach so, Pedal!“, rief er vor sich hin und trat mit einem Fuß und mit aller Kraft, die er unnötigerweise in seiner Panik aufbrachte, auf das Pedal an der linken Seite des Sattels.
Gerade rechtzeitig wurde die Prothese aufgespannt, da setzte Ohnezahn schon zu einem weiteren Flügelschlag an. Als er die Schwingen wieder schnell nach unten bewegte, waren die beiden plötzlich mit einer Wahnsinnsgeschwindigkeit unterwegs. Der schwarze Drache brüllte vor Freude und schlug mit noch höherer Schnelligkeit mit den Flügeln, was ihn und Hicks irgendwann so schnell himmelwärts trieb, bis der junge Reiter die Befürchtung hatte, allein wegen der Geschwindigkeit vom Rücken des Nachtschattens gepustet zu werden.
„OHNEZAHN! DAS SOLLTE EIN TESTFLUG WERDEN!“, schrie Hicks über den Wind hinweg, der an ihm zog. „UND KEIN WETTBEWERB!“
Als er das dem Nachtschatten mitteilte, schien dieser nur noch schneller und wilder zu werden, sodass Hicks' Kopf sich zu drehen begann. Vielleicht lag das aber auch daran, dass sie tatsächlich Drehungen und Rollen machten. Diese sahen jedoch technisch noch etwas schlampig aus, da Hicks eisern das Pedal in einer einzigen Position hielt und Ohnezahn so nur begrenzte Kontrolle über seinen Flug hatte.
„DU KANNST VON GLÜCK REDEN, DASS ICH NOCH NICHTS GEGESSEN HABE!“, merkte er noch an.
Beim Thema Essen begann Ohnezahn dann sogar zu knurren. Hicks begriff langsam, worauf der Drache hinauswollte. Angefangen hatte er mit diesem Verhalten, sobald Hicks den rohen Fisch kulinarisch verurteilt hatte und sich dafür nicht einmal entschuldigte.
„SCHÖN! DER FISCH WAR LECKER! ABSOLUT KÖSTLICH! ICH WÜNSCHTE, ICH HÄTTE GERADE EINEN! WEIL ER SO UNGLAUBLICH LECKER IST!“
Ein Effekt seiner Worte war sofort zu erkennen, wenn auch nicht ganz so, wie es sich Hicks gewünscht hatte. Ohnezahn hörte auf, mit den Flügeln zu schlagen. Sie wurden also langsamer und langsamer, bis…
„Ähm, Ohnezahn? Kumpel, du solltest vielleicht wieder mit deinen Flügeln… äh… oh nein. UAAAAAAAAAAAH!“
…bis sie schlussendlich in einen freien Fall übergingen.
Der Wind zerrte an Hicks' Gesicht, als wolle er es abreißen. Seine Augen tränten dermaßen, dass er die Welt nur noch verschwommen sah und langsam schmerzte es schon, bei dieser Geschwindigkeit seine Augenlider auch nur geöffnet zu halten.
Also ließ er sie geschlossen. Auf einmal hörte er den Wind nicht mehr pfeifen. Luft, die vorher kalt war, spürte er nicht mehr, als würde er von einer Art inneren Wärme gestärkt. Sein Geist war im Frieden. Nur seinen Atem konnte er noch hören und ihn erstaunte, wie gleichmäßig er war.
Hier oben war er ausgeglichen.
Zumindest so lange, bis ihn das Gefühl von Ohnezahns stark abbremsenden Flügelschlägen wieder aus seiner Trance holte und sie kurz darauf in eiskaltes Wasser abtauchten. Doch bevor Hicks vor Schreck schreien konnte, was unter Wasser sowieso nicht gerade die beste Idee war, tauchten sie auch schon wieder auf und flogen weiter.
„Was zum-“, begann Hicks zu schimpfen, bevor er unter sich ein seltsames Gurren vernahm. Das klang ziemlich nach Ohnezahn, aber als würde ihm etwas das Maul stopfen.
Der junge Wikinger bemerkte schnell was es war, als der Nachtschatten mit seinem Kopf eine ruckartige Aufwärtsbewegung machte und etwas Nasses, Glitschiges gegen Hicks klatschte.
Überraschung: Es war ein Fisch.
„Was äh… was soll das jetzt?“, fragte er unsicher, aber Ohnezahn machte nur ein paar andeutende Schmatzgeräusche.
Er schlug sich die Hand vor die Stirn, als er begriff. Eben grade hatte er sich noch entschuldigt und dann gesagt, dass er am liebsten jetzt gleich einen Fisch- „Oh, großer Odin… Warum kann ich auch nie meine vorlaute Klappe halten?“, grummelte Hicks nur, was Ohnezahn mit einem höhnischen Lachen quittierte.
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Ohnezahn gewährleistete, dass sie nicht eher zurückflogen, ehe Hicks von dem Fisch abgebissen hatte. Es kostete den jungen Wikinger mehrere Minuten pure Überwindung, auch nur in das glitschige Tier hineinzubeißen und dann eine gefühlte Ewigkeit, ihn nicht sofort wieder hochzuwürgen.
Nach dieser nicht ganz so tollen Erfahrung ließ sich der Nachtschatten dann endlich freiwillig zurück zur Vulkaninsel lenken. Hicks hatte es schon versucht, Ohnezahn dazu zu zwingen, aber er erkannte schnell, dass es die Zustimmung Beider benötigte, um die Prothese zu bedienen. Spätestens nach ein paar Fast-Abstürzen hatte er es endgültig begriffen.
Bald waren sie auf der Vulkaninsel wieder angelangt. Nur wenige Beschützer des Flügels waren immer noch auf dem Dorfplatz versammelt und hatten anscheinend die ganze Zeit über geduldig auf Hicks' und Ohnezahns Ankunft gewartet.
Kaum waren sie gelandet, da kam auf schon Mala mit schnellen Schritten auf sie zu, an ihrer Seite natürlich wie immer ihr Leibwächter. „Warum hat das so lange gedauert? Ihr wart eine Stunde lang fort. Ich habe mir schon Sorgen gemacht!“
„Um den Drachen, wohlgemerkt“, fügte Trok ungerührt hinzu.
Hicks rollte mit den Augen. „Der Grad der Wertschätzung erreicht neue Höhen, wie ich sehe“, antwortete er auf die bissige Bemerkung des Leibwächters, bevor er sich an die Königin wandte. „Wir haben deshalb so lange gebraucht, weil diese geflügelte Eidechse noch eine Rechnung mit mir zu begleichen hatte“, sagte er dann mit einem missbilligenden Seitenblick zu Ohnezahn, der nur verschmitzt zurückgrinste.
Mala nickte erleichtert, bevor sie neu ansetzte. „Und? Wie hat die Prothese funktioniert?“
Nun strahlte der junge Wikinger förmlich vor Stolz. „Nun, es gibt einige Mängel, die ich bemerkt habe. Die sind aber nicht so schlimm. Immerhin kann ich sie ja nachträglich ausbessern. Und mit einem Testflug hier und da kann ich die Prothese wirklich perfektionieren.“
Kurz lächelte die Königin, bevor es wieder verschwand und sie ein Wort sagte, bei dem Hicks nicht gerade zum Lachen zumute war: „Nein.“
„Was soll das denn jetzt heißen?“, fragte der junge Wikinger irritiert und schaute mit einem Seitenblick zu Trok, der auch ein wenig schockiert dreinblickte. „Meine Aufgabe war es doch, Ohnezahn die Flugfähigkeit zurückzugeben!“
„Und das hast du geschafft“, räumte Mala ruhig ein. „Du hast den Test bestanden.“
„Was für einen Test?!“, fragte Hicks mit etwas lauterer Stimme nach. Er fühlte sich über's Ohr gehauen, aber wie.
Doch die Miene der Königin zuckte nicht einmal. „Der Test, um zu sehen, ob ich dich ohne weitere Bedenken bei den Beschützern des Flügels aufnehmen kann.“
Seine Augen wurden groß. „Ich, äh… was?“
Sie erklärte weiter: „Ich wollte wissen, ob in dir wirklich ein Herz für die Drachen steckt und ob es nicht doch nur Fassade war. Überall lauern Drachenfeinde. Ich musste sichergehen, dass du keiner bist, indem du etwas tust, was einem Jäger oder Drachentöter nicht einmal einfallen würde.“
„Einem Drachen… nein… einem Nachtschatten eine Prothese zu bauen?“
„Sehr richtig.“
„Das alles war nur ein Test, um mich aus der Reserve zu locken?“, fragte Hicks noch einmal nach.
„Wie gesagt: Ich musste mir sicher sein“, erwiderte Mala schulterzuckend.
Nach einem kurzen Moment des Schweigen zuckte Hicks plötzlich ein Gedanke durch den Kopf. „Wenn das eben mein Test war… müsste Heidrun dann nicht auch einen bekommen?“
Die Königin lachte. „Oh, du dummer Junge“, stieß sie hervor und grinste dann. „Das war alles Teil deines Tests. Die Heidrun, die du in deiner Zelle kennengelernt hast, war nicht Heidrun die unglücklich Gestrandete. Sie war Heidrun die Beschützerin des Flügels. Die Geschichte, die sie dir erzählt hat, ist ihr vor zwei Jahren widerfahren.“
Hicks bekam den Mund vor lauter Fassungslosigkeit nicht mehr zu. „Wie… was? Das war alles eine Lüge? Warum?!“
„Um dich aus der Reserve zu locken. Ich dachte, du wärst ein wenig beruhigt, wenn noch jemand mit einer ähnlichen Situation wie deiner bei dir ist. Wärst du ein Feind der Drachen, hättest du vielleicht das ein oder andere Geheimnis preisgegeben. Und warum denkst du, habe ich Heidrun in dem Prozess so einfach ziehen lassen? Wärst du ein Feind gewesen, hättest du dich von diesem kleinen Erfolg blenden lassen und wärst fahrlässiger gewesen. Und zur Erstellung der Prothese habe ich dir die einzige Person mitgegeben, der du halbwegs vertraut hast, damit sie jeden einzelnen deiner Schritte überwachen kann.“
„Das war alles nur ein Spiel?! Ein Trick?!“, rief Hicks empört, versuchte sich dann aber zu beruhigen und atmete tief durch. „Was war Heidruns Test?“
Mala begann zu erzählen. „Als sie hier ankam, hatten wir keine Erfahrung mit Fremden. Wir dachten, sie hätte den Verstand des Klingenpeitschlings Windfang gebrochen und benutzte sie als eine Sklavin. Also fütterten wir Windfang mit der Frucht der Weisen, um sie zu beruhigen und ihren vermeintlich gebrochenen Verstand langsam zu heilen. Sie war ängstlich, aber wir hielten es für ein Trauma. Dabei war sie um Heidrun besorgt, die wir zu einem Nest von Schnellen Stacheln zur Exekution brachten. Erstaunlicherweise schaffte es Windfang, die Wirkung der Frucht zu überwinden und flog direkt zu Heidrun, um die Schnellen Stachel abzuwehren. Sie schienen über wenige Monate ein solches Band geschaffen zu haben, dass nicht einmal die Frucht der Weisen dagegen ankam. Seither sind die beiden bei uns, wurden ausgebildet, und folgen dem Weg der Beschützer des Flügels.“
„Meine Königin, wenn ihr erlaubt…“, mischte sich nun Trok ein. Mala sah ihn mit hochgezogener Augenbraue und mit einem Seitenblick an. „Was den Weg der Beschützer betrifft… Meint ihr nicht, dass wir in diesem Fall eine Ausnahme machen sollten?“
„Wie meinst du das, Trok?“, fragte die Königin skeptisch.
Er brauchte einen Moment, bevor er die Gedanken vernünftig zusammenfassen konnte, die ihm viel zu zahlreich durch den Kopf schwirrten. „Ich meine, dass der Nachtschatten ohne Hicks hier nicht fliegen kann. Wollen wir einem Drachen wirklich die Fähigkeit des Fliegens nur aufgrund unserer Tradition und unserer Ansichten wegnehmen? Der Junge hat etwas geschafft, was zuvor niemand vollbracht hat. Meint ihr nicht, er hat sich dafür eine Belohnung verdient?“
„Seine Belohnung ist seine Aufnahme bei uns“, entgegnete die Königin bestimmt. „Und wie Hicks bereits sagte: Der Nachtschatten kann ohne Hilfe ohnehin nicht zu weit weg. Außerdem haben sich Heidrun und Windfang längst damit abgefunden.“
„Aber das ist doch Blödsinn!“, rief Hicks dazwischen, und auch der strenge Blick der Königin hielt ihn nicht davon ab, fortzufahren. „Ihr habt es euch groß auf die Fahnen geschrieben, alle Drachen zu beschützen, richtig? Von wo als seinem Rücken lässt ein Drache sich denn am Besten verteidigen? Außerdem: Wisst ihr, wie viel besser ihr mit eurer Möchtegern-Beschützerei wärt, wenn ihr auf Drachen reiten würdet? Ich meine-“
„Möchtegern-Beschützerei?“, fragte Mala bedrohlich nach. „Ich würde dir raten, dass du deinen Platz nicht vergisst, junger Haddock. Glaub mir, ich habe darüber schon nachgedacht, aber genauso haben es meine Vorfahren und die jedes anderen Mannes und jeder anderen Frau dieser Insel getan. Und wir sind alle zu derselben Erkenntnis gelangt: Reiten wir auf Drachen, erlangen wir zu viel Aufmerksamkeit. Drachentöter aus dem ganzen Archipel würden uns jagen und auslöschen. Wir wären dem Untergang geweiht. Also versuch mir nicht vorzuschreiben, was ich zu tun und zu lassen habe, Hicks Haddock! Weitaus klügere Menschen als du haben sich damit beschäftigt und schließlich die Regel aufgestellt, dass kein Beschützer des Flügels auf einem Drachen reiten darf.“
„Das ist doch alles Schwachsinn! Die Zeiten ändern sich und-“ Doch da wurde Hicks erneut unterbrochen.
„Die Zeiten haben sich aber nicht geändert!“, fuhr ihm die Königin dazwischen, deren kalte und gelassene Fassade gerade gebrochen wurde, weshalb langsam, aber sicher die Wut in ihr hochkam. „Menschen töten noch immer Drachen. Und solange das der Fall ist, werden auch Drachen immer Menschen töten. Daran kannst du nichts ändern. Daran kann ich nichts ändern. Niemand kann das. Steigen wir alle auf Drachen, können wir nur für eine kurze Zeit massiv helfen. Und dann? Dann versinken wir in der Bedeutungslosigkeit, weil man uns auslöschen wird. Ich würde lieber bis zu meinem Lebensende nur ein bisschen helfen, als in kurzer Zeit viel zu erreichen und dann alles wegzuwerfen.“ Sie wandte sich zum Gehen um und warf dem jungen Wikinger noch einen letzten Blick zu. „Du musst dich entscheiden, Hicks der Hüne. Flieg davon mit dem Nachtschatten und genieße als einsamer Drachenfreund dein Bisschen Freiheit, bevor du gejagt und ermordet wirst. Oder schließe dich uns an und hilf uns, wie wir dir helfen werden. Du hast Zeit bis morgen.“
Mit diesen Worten und erhobenem Haupt entfernte sie sich. Hicks hingegen ballte wütend die Fäuste. Er spürte, wie Trok ihm eine Hand auf die Schulter legte, doch er schüttelte sie ab und lief sauer auf die Schmiede zu. Ohnezahn folgte ihm, wenn auch mit angelegten Ohren und trauriger Stimmung.
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„Ich kann es nicht glauben! Ich kann es einfach nicht glauben!“, rief Hicks wieder und wieder durch die Schmiede und hämmerte auf der Prothese herum. Das tat er nunmehr schon seit drei Stunden ohne Pause. Ohnezahn lag nur daneben, gurrte, und sah den wütenden Wikinger traurig an, während dieser versuchte, die Schwanzflosse auszubessern.
„Ihr dabei helfen, Drachen zu retten. Pah! Was ist das für eine Hilfe, wenn sie sofort wieder vom Himmel geholt werden können?“, schimpfte er weiter, nahm die Prothese und befestigte sie an Ohnezahns Schwanz. „Wir gehen. Scheinbar braucht man uns hier auch nicht.“
„Ich an deiner Stelle würde diese Entscheidung nicht leichtfertig treffen.“
Sein Kopf schnellte herum und er sah Trok vor der Türschwelle, der ihn mit einer ausdruckslosen Miene anstarrte.
Hicks drehte seinen Kopf wieder genervt um und zurrte die Gurte am Sattel des Nachtschatten fest. „Was willst du?“
„Ich will dir helfen.“
„Helfen?“ Hicks lachte. „Du willst mir helfen? Von allen Personen, die ich hier kennen gelernt habe, bist du die unfreundlichste.“
Der Leibwächter trat heran und seufzte. Dann kniete er sich hin und half Hicks zu seinem Erstaunen mit dem Sattel. „Ich habe zu viele Fremde kennen gelernt, die der Königin schaden wollten, als das ich dir einfach freundlich gegenüberstehen konnte.“
Hicks schwieg.
Trok wechselte abrupt das Thema. „Aber darum geht es hier nicht. Es mag dich verwundern, aber was du vorhin gesagt hast, war nicht unwahr. Auf den Rücken von Drachen stünden unsere Chancen tatsächlich besser als jetzt. Und ich denke ebenfalls, dass wir Drachenjägern und Drachentötern Einhalt gebieten müssen. Genau deshalb werde ich dich nicht am Gehen hindern.“
Hicks runzelte die Stirn. „Aber du hast doch eben noch gesagt, ich solle meine Entscheidung überdenken.“
Der Beschützer des Flügels lächelte. „Und ich denke es weiterhin. Der Nachtschatten und du seid dazu in der Lage, einer Menge Drachen zu helfen.“ Er legte den Kopf schief. „Naja, eigentlich nur Ohnezahn. Aber er verdient einen guten Reiter als Partner. Einen fähigen Reiter. Jemand, der auch auf sich selbst aufpassen kann.“ Er zurrte den letzten Gurt fest, stand auf, und reichte Hicks die Hand. „Deshalb will ich, dass du mit mir kommst. Ich kann aus dir einen Krieger machen, den man fürchten wird.“
Hicks überlegte zwar kurz, brauchte aber nicht lange, um einen Beschluss zu fassen.
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Er stützte seine Hände auf die Knie und atmete tief durch. „Müssen wir… wirklich… so weit hoch gehen?“, keuchte er, während Trok und Ohnezahn vor ihm fröhlich weiterstiefelten. „Kann ich nicht… einfach auf… Ohnezahns Rücken?“
Der Leibwächter grinste. „Wo bliebe denn da das Training? Außerdem wirst du noch früh genug auf deinem Drachen reiten können.“
„Warte… was?“, fragte Hicks und lief mit neuer Energie , dass er den Beschützer schnell wieder einholte. „Wie meinst du das?“
Er schien aber die Frage des jungen Wikingers zu ignorieren und deutete den Hang weiter hinauf, der neben dem Vulkan entlanglief. „Siehst du das? Dort oben ist ein Plateau. Eine Ebene. An diesem Ort ist man ungestört. Und wer vom Dorf aus dort hinschauen will, der sieht mittags direkt in die Sonne. Außerdem ist es von dort aus in die Wolken kein weiter Weg, sodass man zu fast jeder anderen Tageszeit auch losfliegen kann. Einen besseren Ort zum Abheben gibt es nicht.“
Den Rest des Weges legten sie schweigend zurück, was Hicks auch mehr als lieb war, da er sich seinen Atem sparen musste.
Erst als sie die letzten Meter überwanden, wagte der junge Wikinger wieder, eine Frage zu stellen. „Ich schätze mal, mir stehen jede Menge blauer Flecken bevor, wenn wir beide Trainingskämpfe machen.“
Trok lachte. „Blaue Flecken stimmen. Trainingskämpfe auch. Aber nicht gegen mich“, meinte er nur und machte den letzten Schritt nach oben, bevor er auf der übersichtlichen Ebene stand.
„Was soll das denn he-“, fragte Hicks, unterbrach sich jedoch selbst, als er den letzten Schritt machte und in einiger Entfernung eine mit zwei Schwertern bewaffnete Gestalt und einen Klingenpeitschling sah.
Die Gestalt hatte weibliche Züge und war größtenteils wie alle anderen Beschützer des Flügels gekleidet. Jedoch hatte sie einen eisernen Rock und eiserne Schulterschützer. Hicks hatte wegen dem Drachen schon einen Verdacht, wer es sein könnte. Aber bevor er seinen Gedanken aussprechen konnte, warf sie ihre Kapuze zurück, die das Gesicht von Heidrun preisgab.
„Sie?!“, rief Hicks geschockt, doch Trok nickte nur.
„Ich“, meinte sie nur und grinste.
Dann schwiegen alle drei.
Hicks war der erste, der wieder etwas sagte. „Du hast mich verarscht.“
Er konnte sie schmunzeln sehen, als sie auf ihn zuging. „Ja. Und wenn du gut genug bist, kannst du dich dafür an mir rächen.“, meinte sie und zwinkerte, bevor sie ihm eins der Schwerter zuwarf. „Fang!“
Das war leichter gesagt als getan. Hicks schlang einfach nur die Arme um sich, als wolle er sich selbst umarmen. Damit fing er zwar das Schwert, doch hatte er den Knauf gegen seine Wange gedrückt.
„Das werden wir wohl üben müssen“, meinte Trok. „Ein Schwert zu fangen, bedeutet seine Bahn zu kennen. Schaffst du das, bin du einen Schritt näher dran, auch die Züge deines Gegners vorherzusehen. Und jetzt zeig mit deine Kampfhaltung!“
Hicks stellte sich geradezu hin, als wollte er, dass man ihn fertigmacht. Seinen Beinen fehlte beinahe jegliche Balance, sein Rücken hing dem Schwert schief hinterher, als wollte er sich dahinter verstecken, und das Schwert selbst hielt er in einem seltsamen Griff in der rechten Hand, während er die linke schlaff herunterhängen ließ.
„Was bei allen Göttern versuchst du da?“, rief Heidrun. „Dich umbringen lassen? Halte dein Schwert gefälligst vernünftig!“
„Sein Griff ist nicht das Problem“, erwiderte Trok. „Naja, eigentlich schon, in gewisser Weise. Hicks, nimm das Schwert doch in die linke Hand.“
Hicks gehorchte und es war ein deutlicher Unterschied zu erkennen, wenn auch keiner, bei dem man seine übrigen Fehler in der Haltung ignorieren konnte.
„Na schön. Jetzt greif Heidrun an.“
Das tat der ehemalige Berkianer und stürmte mit erhobenem Schwert auf Heidrun zu, die allerdings nur einen Schritt zu Seite machte, sodass er einfach an ihr vorbeitaumelte und mit dem Gesicht zuerst im Gras landete.
Trok seufzte und massierte sich die Schläfen. „Wir haben eine Menge Arbeit vor uns…“
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Eine Woche verbrachten Heidrun und Trok damit, Hicks zu trainieren, was eigentlich eher daraus bestand, an seinen Fehlern zu arbeiten. Als Mala davon erfuhr, dass Hicks bleiben würde, war sie äußerst zufrieden. Das wäre sie wahrscheinlich jedoch eher weniger, wenn sie wüsste, dass Hicks und Ohnezahn nach jedem Unterrichtstag eine Runde flogen, bevor sie den Abstieg ins Dorf wieder auf sich nahmen.
Auf der Insel Berk hingegen sah alles ganz anders aus.
Ein einzelnes Schiff, mit mehreren Löchern in Rumpf und Segel, trudelte gerade in den Hafen ein. An Bord: Berkianische Krieger, die vor lauter Platzmangel fast über Bord flogen.
Der kritische Blick von Haudrauf dem Stoischen fuhr über das Dorf. Irgendwie sah alles so viel… fröhlicher aus.
Ungewöhnlich…
Als die Wikinger anlegten und Haudrauf von Bord sprang, kam ihm sofort eine Menge begeisterter Dorfbewohner entgegen, die zwar einerseits ihre eben angekommenen Familienmitglieder willkommen heißen wollten, aber auch ihrer Meinung nach gute Kunde zu verbreiten hatten.
„Gratuliere, Haudrauf! Das ganze Dorf ist so erleichtert!“, rief ihm eine Frau entgegen, doch das verwirrte nur den Häuptling. War man denn nicht immer froh, wenn sie lebendig von einer Nestjagd zurückkehrten?
„Neue Besen kehren besser, jo!“, rief ein zweiter. Haudrauf fragte sich einfach nur, was damit bitte gemeint war.
„Die alte Pestbeule wird keinem fehlen“, kam es nun von einem weiteren Wikinger.
„Wir schmeißen eine Party in der Großen Halle!“
Haudraufs Augen standen weit offen, als Grobian und Astrid mit nach unten gerichteten Blicken auf ihn zukamen.
„Grobian…“, flüsterte er. „Was geht hier vor? Wo ist Hicks?“
Der Schmied und die Schildmaid sagten nichts.
„Ihn hat's erwischt?“, fragte der Häuptling nun monoton, doch seine Stimme brach.
Nun nickten beide.
„Wie?“, fragte Haudrauf nur, aber sie wussten, was gemeint war.
Der Schmied seufzte. „Zwei Tage nach dem Drachenangriff kam eine weitere, kleinere Horde. Sie hatten sich alle auf einen eher abgelegenen Teil des Dorfes konzentriert, während ich Hicks in der Schmiede sicher zurückließ. Dachte ich jedenfalls…“
Astrid fuhr fort. „Ich war bei Hicks, als wir auf einmal allein einem Drachen gegenüberstanden.“
„Na und?“, rief Haudrauf. „Ihr hattet beide Drachentraining. Ihr wärt wenigstens dazu in der Lage gewesen, einen Nadder abzulenken.“
„Kein Nadder“, meinte Grobian nur und schüttelte den Kopf.
„Dann eben ein Gronckel oder ein Zipper oder-“
„Es war ein Nachtschatten.“
Haudrauf schwieg lange, bevor er wieder das Wort erhob. „Sprich weiter“, befahl er Astrid.
Sie nickte und fuhr fort. „Der Nachtschatten war anders als jede Drachenart, die wir je gesehen haben. Schwarz, mit zwei gewaltigen Flügeln und mit einem eher harmlosen Aussehen. Vor allem aber hatte er eine riesige Narbe, die seinen Schädel zierte.“
„Das müsste ja bedeuten, dass ihn zuvor jemand verwundet hat. Wieso hat mir der Verantwortliche nichts gesagt?“, schimpfte der Häuptling.
„Das hat er aber, Haudrauf“, erwiderte Grobian. „Es war Hicks. Er hat ihn mit einer seiner Maschinen zu Fall gebracht.“
Der Blick des Häuptlings war leer, bar jeder Emotionen. „Er hat es mir gesagt… und ich habe nicht zugehört…“
„Wie es aussieht, konnte sich der Nachtschatten befreien. Und in dem kleineren Drachenangriff rächte er sich an Hicks. Wir gaben unser Bestes, aber der Drache warf mich über die Klippen, an denen ich mich nur gerade so noch festhalten konnte. Hicks lenkte ihn ab, um mein Leben zu retten, doch der Nachtschatten schnappte ihn sich einfach und flog davon.“
„Ich habe so etwas noch nie gesehen“, fügte der Schmied an. „Ein Drachenangriff, nur damit sich ein Drache rächen konnte.“
Doch Haudrauf hörte schon längst nicht mehr zu. Er schritt einfach an den beiden vorbei. Was sie sagten, kam nur gedämpft bei ihm an.
Er wusste nicht, wohin er lief, bis er sich plötzlich vor den Stufen seines eigenen Hauses wiederfand, wo er schließlich stehen blieb und die Fassade hochschaute.
„Ist es zu fassen, dass hier einmal drei Menschen gelebt haben?“, murmelte er.
„Haudrauf…“, meldete sich Grobian leise hinter ihm, doch er wurde ignoriert.
„Erst Valka, dann Hicks… sie wurden mir beide durch Drachen genommen…“, sprach er einfach betrübt weiter, bevor die Wut in ihm hochkochte und sich seine Fäuste ballten. „Ich werde sie beide finden. Den Sturmbrecher. Den Nachtschatten. Und ich werde sie beide töten!“

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Der Wächter des Flügels
FanfictionHicks wurde für tot erklärt, nachdem er während eines Drachenangriffs von einem Nachtschatten verschleppt wurde. Jahre später taucht derselbe Drache wieder auf - mit einem Reiter. Nur weiß niemand, dass es sich bei ihm um Hicks handelt, der sich den...