Frühlingsgefühle

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Entspannt saß Clara auf ihrem Balkon in der Sonne. Das leichte Rauschen der Blätter in den Baumkronen durch den kühlen Wind, der einen die Hitze nicht großartig spüren ließ, fühlte sich wundervoll an. Neben sich ein kühles Glas Limonade und ein gutes Buch. Schöner könnte für sie ein Samstag Nachmittag nicht sein. Mit ihrer Arbeit war sie größtenteils fertig. Sie hatte bereits alle Mails für heute beantwortet, telefoniert, ihre Aufträge alle fertiggestellt. Fast jedenfalls. Der Auftrag vom Storch fehlte noch, doch den würde sie kommende Woche noch fertig stellen. Kunden kamen heute auch kaum welche, also hatte Clara den Laden früher geschlossen um nach einer anstrengenden Woche auch mal ein wenig am späten Nachmittag zu entspannen.
Lage hielt die Ruhe allerdings nicht an, denn ein unruhiges Surren holte sie wieder in die Realität, als sie gerade dabei war weg zu dösen. Es hörte sich ein wenig an wie das Surren eines Bienenschwarms, allerdings weniger bedrohlich. Die Rothaarige hätte nicht mal eines ihrer drei Augen aufschlagen müssen um zu wissen, dass vor ihrem Balkon gerade die Zahnfee angekommen war. Für Clara war es allerdings unhöflich, einem Gast oder einem Kunden bei einer Begrüßung nicht in die Augen zu schauen, oder diesen sogar zu ignorieren.
"Tooth, guten Tag.", begrüßte Clara also die Fee und setzte sich in eine aufrechte Position. Tooth wirkte leicht nervös aber schien sich zu freuen die Hexe zu sehen. Selbst die drei kleinen Babyfeen um sie herum schienen total unruhig zu sein. "Ist alles in Ordnung?", sprach die Blauäugige das Offensichtliche an. Kaum hatte sie das getan, kam die Zahnfee auf sie zugeflogen und zog sie in eine Umarmung.
"Clara, gut das du hier bist! Ich brauche ganz dringend deine Hilfe!" Die Fee ließ die Schneiderin wieder los und flatterte unruhig vor ihr herum. Der Gedanke mit den Bienen schien Clara momentan nicht mehr allzu weit von der Realität entfernt. Die Zahnfee schien heute tatsächlich sowas wie Hummeln im Hintern zu haben.
"Beruhig dich, Tooth. Atme mal kurz ein und wieder aus." Wie es ihr von Clara aufgetragen wurde atmete sie kurz durch und beruhigte sich langsam. "So. Jetzt erzähl mir, wie ich dir helfen kann."
"Ich brauche ein Kleid.", antwortete die Fee gewissenhaft. "Aber nicht nur irgendein Kleid. Sondern... naja..." Zögerlich und schüchtern rieb sich Tooth mit ihrer Hand am rechten Oberarm. "Für ein... Date." Ihr letztes Wort klang mehr nach einer Frage, als nach einer Antwort. Clara musste schmunzeln.
"Soso, ein Date. Darf ich fragen mit wem." Sie hatte zwar bereits eine Vermutung durch alles, was sie von anderen Mythen gehört hatte, doch sie wollte es von der Zahnfee selbst hören... und wurde nicht enttäuscht.
"Ich treffe mich mit Jack.", antwortete Tooth freudestrahlend.
"Jack Frost also.", flötete Clara. "Aber bist du dir sicher, dass ich dir ein Kleid nähen soll? Deine bunten Federn sind, meiner Meinung nach, schöner als jedes Kleid das ich dir nähen könnte." Das meine sie ernst. Das Gefieder der Zahnfee schillerte in wunderschönen Farben und war bereits ein zauberhaftes Kleid für sich. Mit einem weiteren Kleid in weiteren Farben würde es zu aufdringlich wirken.
"Das dachte ich auch.", gestand die Fee. "Aber ich wollte für einen Anlass wie diesen... Na ja..." Clara konnte ihrer Gesprächspartnerin ansehen, dass sie sichtlich Schwierigkeiten hatte ihre Gedanken in Worte zu fassen. "Ich hätte gerne etwas... besonderes. Nichts schillerndes, eher dezent und schlicht, aber dennoch schick." Im Kopf der Schneiderin ratterte es bereits und sie grübelte. Welche Farbe und welcher Schnitt mit den Wünschen und den körperlichen Gegebenheiten der Zahnfee harmonieren würde. Natürlich auch, welchen Preis sie verlangen könnte. Doch eins nach dem anderen.
Die Schneiderin erhob sich aus ihrem Liegestuhl und bat die Fee nach drinnen und eine Etage nach unten in ihren Laden.
"Setz dich ruhig, ich hole nur kurz einen Skizzenblock und ein paar Zeitschriften mit Entwürfen.", sagte Clara lächelnd. Gesagt, getan. Für ihre Kundin hatte sie auch ein Glas und eine Flasche Wasser mitgebracht. Sie hoffte, dass das kühle Getränk die momentan noch nervöse Tooth etwas beruhigte und, nun ja, abkühlte. Tooth war bei diesem heißen Wetter zudem den weiten Weg vom Zahnpalast bis hier her geflogen. Zwar gab es draußen diesen herrlichen Wind, doch der brachte einen nur nicht zum Schwitzen. Die Fee hatte es sich bereits in der kleinen Sitzecke bequem gemacht, wo sich Clara nun auch nieder ließ und die Hefte auf dem kleinen braunen Kaffeetisch ausbreitete. "Also. Ich habe schon so eine grobe Vorstellung, was gut passen könnte. Wenn du ein paar andere Wünsche hast oder eingebaut haben willst, können wir nochmal durch die Hefte blättern." Die Zahnfee nickte.
"In Ordnung. Was ist denn bisher deine Idee?", harkte Tooth neugierig nach und Clara fing an zu skizzieren.
"Fangen wir bei der Farbe an. Da deine Federn wie bereits gesagt schon sehr bunt sind, würde eine weitere Farbe nur aufdringlich und unpassend wirken. Momentan denke ich, dass Weiß ein guter Anfang wäre. Es ist schlicht und wirkt elegant. Je nach Stoff kann das Kleid auch leicht durchsichtig sein, wenn du willst. Dann sind deine Federn nicht zu sehr verdeckt." Clara hatte während ihrer Ansprache bereits die Proportionen der Fee aufgezeichnet, die ihr nicht nur aufmerksam gelauscht, sondern ihr auch beim zeichnen zugesehen hatte. Bei Claras Vorschlag lächelte Tooth und ihre violetten Augen strahlten. Ein strahlendes weiß, wie frisch geputzte Zähne. Sie war begeistert.
"Ja, das wäre toll. Oh, und ich hätte es vom Stoff nur leicht durchsichtig. Geht sowas?"
"Natürlich.", antwortete die Hexe freundlich. "Kommen wir nun zum komplizierten Teil; dem Schnitt."
Durch die körperlichen Gegebenheiten der Zahnfee war es tatsächlich gar nicht mal einfach, einen passenden Schnitt zu finden. Nur eine Sache war von vornerein klar; es musste wegen der Flügel ein rückenfreies Kleid werden. Nach den ersten Ideen, die beide Frauen schnell wieder verwarfen, blätterte die Fee in einer der vielen Hefte und entwickelte schnell Interesse an Kleidern mit Vokuhila-Schnitt, welcher sich auch gut ihrem Gefieder anpasste. Clara hatte keine Einwände. Ganz im Gegenteil sogar. Der längere lockere Rock würde über den hinteren langen Federn der Fee elegant wie ein Schleier hinter ihr her schweben. Mit einer sehr dezenten Raffung wäre es perfekt. Zudem ließ sich die Schneiderin dazu überreden, doch ein wenig Farbe einzubringen. Das untere Ende sollte ein buntes Ombré bekommen in den Farben der Federn von Tooth. Das Muster würde sich aber nicht weit hoch ziehen und eher als kleiner Eyecatcher von hinten dienen, wo man am meisten von diesem Farbspektakel sah. Wesentlich schwieriger wurde es nochmal im Oberen Bereich. Es war zwar schnell geklärt, dass die Zahnfee keinen Ausschnitt wollte, doch die Debatte ob das Kleid nun Ärmel, Träger oder keins von beiden hatte, dauerte. Schlussendlich machten dann die Träger das Rennen, die die Fee dann im Nacken mit einer Schleife zusammenbinden würde.
"So, jetzt brauche ich nur noch deine Maße und wir sind für heute fertig. Ich hole eben schnell das Maßband.", sagte die Blauäugige und atmete erleichtert auf. Dieses Kleid dürfte keine leichte Aufgabe werden, jedoch keine unmögliche. Irgendwie freute sie sich auch auf diese kleine Herausforderung. Zudem würde sie das erste mal seit langem wieder Stoff einfärben. Die Farben dafür hatte sie vor einigen Wochen vom Osterhasen bekommen, dem sie im Gegenzug dafür einen seiner Armschützer genäht hatte, der an einer Ecke kaputt gegangen war. Das einfärben hatte der Hexe bisher jedenfalls immer Spaß gemacht. Mit beinahe kindlicher Faszination mochte sie es zu beobachten, wie sich die Farbe durch den Stoff fraß und in jede einzelne Faser kroch. Wie Blumen die blühten breitete sich die Farbe aus. Es war eine Arbeit, bei der sie keine Stichverletzungen riskierte, sondern sich schön einsauen konnte. Natürlich war sie vorsichtig auch nur die gewünschten Stellen einzufärben, sowie Gummihandschuhe und alte Kleidung zu tragen. Doch die Hexe konnte sich jetzt schon das Lächeln nicht verkneifen, fröhlich summend auf ihrem Balkon in der Sonne diesem Teil ihrer Arbeit nachzugehen.
Inzwischen hatte sie das Maßband in der Hand und kam zurück zur Fee, die sich aufstellte und sich ihre Maße abnehmen ließ.
"Was möchtest du eigentlich dieses Mal für deine Arbeit?", fragte Tooth neugierig. Clara überlegte nicht lange.
"Ich wüsste erstens gerne, wie das zwischen dir und Jack passiert ist. Zweitens würde ich nach eurem Date gerne wissen, was passiert ist und drittens, erinnere den kleinen Dennis, der hier die Straße runter wohnt, bitte daran sich mal sie Zähne zu putzen." Die Fee konnte sich ein Lachen nicht verkneifen, als sie Claras ernsten Gesichtsausdruck bei ihrer dritten Forderung bemerkte.
"Wusste ich doch das er die Finger nicht von den süßen Sachen lassen kann."
"Wenn das nur das einzige Problem wäre.", murrte die Rothaarige. "Seine Mutter hat neulich bei mir zwei Hosen zum kürzen abgegeben und mit ernster Mine gemeint, dass er auch noch zu faul zum Zähneputzen ist. Das er seine Eltern auch ständig anlügen würde, er hätte sie bereits geputzt. Die zwei sind total verzweifelt." Die Hexe klang bei ihren Worten eher aufgebracht als bestürzt. Sie konnte die Faulheit und simple Dummheit dieses Bengels einfach nicht begreifen. Ja, viele Kinder waren schlichtweg genervt sich die Zähne zu putzen, doch es war eben eine Notwendigkeit, was viele von ihnen auch verstanden. Nicht jedoch dieser kleine Experte. Claras leichte Wut über den Jungen verstand die Fee nicht ganz.
"Das klingt wirklich schlimm, aber was bringt dich dazu, mich darum zu bitten? Hast du viel mit dem Kleinen zu tun?"
"Nicht wirklich.", sagte sie Schneidern, während sie nebenbei weiterhin die Maße der Fee ablas und notierte. "Ich treffe ihn nur ständig morgens wenn er zur Schule und ich zum Bäcker gehe. Oder Nachmittags, wenn ich unterwegs bin und er auf dem Weg heim ist. Dann spricht er mich meistens an. Eigentlich würde es mich nicht interessieren, ob der Junge seine Zähne vergammeln lässt oder nicht, doch der Geruch und wie die Zähne mittlerweile aussehen..." Clara schüttelte ihren Kopf um die Bilder aus ihrem Kopf zu bannen. "Sagen wir einfach, es ist das Beste für alle Beteiligten, wenn jemand wie du mit ihm mal darüber spricht. Wenn er schon nicht auf Erwachsene hört, vielleicht stimmt ihn ja eine Mythe um."
"Ich bin einverstanden. Ich werde mich mit ihm mal befassen."

Tailoring FowlerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt