12. Kapitel

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Atemlos zog Alan sich zurück. Seine grünen Augen leuchteten, die geschwollenen Lippen hatte er leicht geöffnet. Blinzelnd kehrte Yara zurück in die Realität. Sie beide waren in ihrer eigenen Welt gefangen gewesen. Er stieg vom Bett herunter und flüchtete fast schon aus dem Raum. Schwer atmend blieb Yara zurück und fragte sich, was dort in sie gefahren war. Sie konnte nicht leugnen, das dort stets eine unterschwellige Anziehung zu Alan bestanden hatte, aber derartig aus der Haut zu fahren passte nicht zu ihr.

Sie blieb liegen, bis die Sonne ihren höchsten Stand am Himmel erreicht hatte. Erst dann fand sie die Kraft und den Mut, sich zu erheben. Sie fühlte sich nach der Nacht auf dem Boden schmutzig. Ein kleiner Teil davon ging auch auf Alans Berührungen zurück. Aus ihrer Vergangenheit wusste sie nur noch, dass es nicht schicklich war, unverheiratet so etwas mit einem Mann zu teilen. Auch wenn Yara fragte, wer hier davon erfahren sollte und wenn es scherte.

Kopfschüttelnd über sich selbst schaute sie hinter der Hütte nach einem Brunnen oder vielleicht sogar einer Quelle um. Hier gab es keine funktionierenden Wasserleitungen wie in der Hauptstadt.

Nur ein paar Meter hinter einer Außenwand fand einen ausgehobenen Brunnen mit Zugleine und Eimer. An der Hüttenwand stand ein großer Holzbottich mit Spiegel. Das war ein unglaublicher Luxus. Yara ließ den Eimer hinunter und stellte ihn dann gefüllt auf den Rand des Bottichs.

Vorsichtig tauchte sie ihre Hände in das eiskalte Wasser. Es tat gut, wieder Kälte zu spüren. Yaras Blick glitt von ihren Händen hoch in den schmutzigen, leicht gesplitterten Spiegel. Sie blinzelte. Sie hatte jahrelang nicht mehr in einen blicken können, aber ihre starren grauen Augen hatte sie nie vergessen. Irritiert kniff sie die Augen zusammen. Dieses leuchtende Blau gehörte nicht zu ihr. Ihre Pupillen verformten sich. Erschrocken wich Yara zurück. Jetzt war klar, woher diese Wandlung kam - durch ihre Verbindung mit Nashra.

Einen Augenblick später war der Spuk vorbei und ihre Augen glänzten wieder in dem gewittergrauen Ton. Jetzt ergab es einen Sinn. Alans unterschiedliche Augenfarben waren keine Sinnestäuschungen, sondern hingen mit seinem Drachen zusammen.

Sie riss sich mühsam von ihrem Spiegelbild los. Ihre Hand glitt in ihre Hosentasche und wollte den Stein hervorholen, bis ihr einfiel, dass Alan ihn hatte. Das war blöd gelaufen. Dieser Kuss könnte auch nur als Ablenkungsmanöver gedient haben, um ihr den Stein zu entwenden. Mit nur wenigen Handgriffen könnte er das von nun an wertvollste in ihrem Leben vernichten. Panik schnürte Yara die Kehle zu.

Der Wassereimer schepperte zu Boden, als sie Hals über Kopf um die Hütte herumlief und sich im Inneren nach Alan umsah.

"Wo ist der Kristall?", rief sie, ungeachtet der Tatsache, dass Lunos ebenfalls anwesend war. Der Junge sah von seinem Mittagessen auf und starrte erst sie, dann Alaneo an der kleinen Küchenzeile an.

"Hier." Er hob eine Hand und der blaue Stein purzelte an einem geflochtenen Lederband nach unten. Seine knappe Antwort fuhr ihr wie ein Stich ins Herz. Dankend nahm sie ihm die Kette aus der Hand. Das Band war um die oberen Kanten gewickelt und geknotet worden. Unter Lunos' neugierigen Blicken verschwand der Kristall unter ihrem Pullover zwischen ihren Brüsten. Alans Blick wanderte ebenfalls dorthin, bevor er ihn stur an ihr vorbei richtete.

"Was ist das?" Sein Bruder machte keine Anstalten Lunos zu antworten.

"Den Stein hab ich gefunden und Alan hat ihn für mich zu einer Kette gemacht", erklärte Yara und registrierte mit leichter Genugtuung, wie genannter bei seinem Namen zusammenzuckte. Vorsichtig wuschelte sie dem Jungen durch die Haare. Trotz ihrer so gegenteiligen Färbung und Struktur fühlten sie sich ähnlich weich an. "Ich bin draußen."

"Kommst du heute Abend wieder?", fragte Lunos hoffnungsvoll. Yara wurde den Gedanken nicht los, dass er nach anfänglichen Bindungsängsten eine Mutter in ihr sah. Selbst ein Kind zu bekommen, jagte ihr weiterhin eine Heidenangst ein, doch eine Art Ersatzmutter für den Jungen zu sein, war in Ordnung. Es verdeutlichte, dass sie nicht nutzlos war.

Nashra - Kristall Chroniken IWhere stories live. Discover now