Liam und ich setzten uns im Gästezimmer auf mein Bett. Meine Sachen schob ich vorher noch kurz beiseite. Früher war ich ordentlicher gewesen. Da hatte sich meine Mum auch noch um mich gekümmert. Jetzt war ich auf mich gestelltund alles geriet irgendwie aus den Fugen.
„Schönes Zimmer." Liam schaute sich um.
„Danke", antwortete ich. Liam nickte stumm.
Ein paar Minuten lang schwiegen wir. Dann stöhnte ich genervt auf. „Wir beide sind die besten Freunde, seitdem ich denken kann! Dieses Schweigen ist echt unerträglich."
„Ich habe mich nicht getraut, es auszusprechen." Liam lachte zustimmend. „Eigentlich bin ich ja auch hier, um mich nochmal richtig zu entschuldigen."
„Vorhin habe ich mich schon gefragt, wofür du dich entschuldigen willst?" Ich winkelte meine Knie an und umschlang diese schließlich mit meinen Armen. Liam, der gegenüber von mir auf dem Bett saß, lächelte bloß.
„Die letzten paar Monate bin ich nicht für dich da gewesen. Dabei bist du mir unendlich wichtig. Ich will dich niemals verlieren, Avery, und ich hätte dich nicht immer wieder zurückweisen dürfen. Die Prüfungen standen an erster Stelle, aber das hat sich geändert. Ich hätte es dir so gerne schon bei der Party bewiesen, doch da ging es dir nicht gutund ich wollte nicht, dass du dich währenddessen schlecht fühlst." Liam legte seine Hand auf mein Knie. Die Wärme übertrug sich und ich zog mein Bein langsam weg.
„Tut mir leid, ich habe einen Krampf im Fuß", murmelte ich, als ich meine Beine ausstreckte und schließlich wieder auf dem Fußboden absetzte.
„Kein Problem. Kälte soll helfen ... Hast du das schon mal ausprobiert?" Liam deutete auf meinen Fuß. Ich schüttelte meinen Kopf und machte nach einer Minute noch eine wegwischende Handbewegung. „Geht wieder."
„Ich dachte mir, die Party ist jetzt einen Monat her und wir könnten heute Abend etwas zusammen machen?" Liam sah mich fragend an. Die Unsicherheit stand ihm ins Gesicht geschrieben.
„W-Wie meinst du das genau?", hakte ich nach. Ich war nicht bereit dazu, mit Liam zu schlafen. Ich wusste ja nicht einmal, was ich für ihn empfand. „Okay, sag es nicht. Ich verstehe schon. Wir sollten vorher aber erstmal miteinander reden."
„Das sehe ich auch so." Liam wirkte wirklich erleichtert darüber, dass er nicht mehr aussprechen musste, was er mir indirekt hatte sagen wollen.
Ich starrte meine rechte Hand an, die ich auf dem Bett aufgestützt hatte. Liam rückte näher. Seinen Arm legte er um mich, während er mir einen liebevollen Kuss auf die Wange gab. Ich lächelte ihn an, doch das Unwohlsein blieb bestehen. Wie sollte ich Liam das geben, was er wollte, wenn ich permanent an Chris denken musste?
„Lass uns reden", sagte Liam leise. Er küsste meine Schulter und ich rückte ein Stückchen weiter nach hinten. Mein Gesicht vergrub ich in meinen Händen. Vor meinem inneren Auge konnte ich niemand anderes sehen, als Chris, den ich heute Mittag an der Bushaltestelle zurückgelassen hatte.
„Meine Eltern haben mich adoptiert", platzte es aus mir heraus. Liam erstarrte augenblicklich in seiner Bewegung. Als er den ersten Schock überwunden hatte, atmete er geräuschvoll aus. Ich beobachtete ihn dabei schweigend.
„Okay, das war zwar heftig, aber es macht dich nicht gleich zu einem anderen Menschen. Du bist bei uns aufgewachsen und das kann dir keiner nehmen!" Auf Liams Lippen breitete sich mal wieder ein aufmunterndes Lächeln aus. Das hatte ich nicht von ihm erwartet.
„Danke", ich war wirklich überrascht, „ ... für dein Verständnis und dafür, dass du so ein toller Mensch bist. Und jetzt, wo ich das sage, kommen mir fast die Tränen, weil ich einfach weiß, dass ich wahrscheinlich niemals so gut und ehrlich sein werde, wie du es immer zu mir bist."
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Lügennetze
Teen FictionAverys perfekte Welt bricht auseinander. Um ihr Ansehen zu bewahren, flüchtet sie sich in Lügen. Doch ausgerechnet der von ihren Freunden verhasste Chris weiß Bescheid und obwohl Avery sich mit Händen und Füßen dagegen zu wehren versucht, schleicht...