Kapitel 10

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Yuna

Sumi saß vor mir auf meinem Bett, den Rücken zum Fernseher zu gewendet. „Ich weiß wirklich nicht, wie das Ganze eigentlich so richtig angefangen hat. Ich denke es war beim Mittag essen. Am besten fange ich dann dort auch an", erklärte sie. Mit ihren Fingern spielte sie nervös an ihrem silbernen Armband herum. „Meine Mutter und mein Vater saßen am Mittagstisch, sowie ich auch. Sie waren nicht besonders gesprächig. Aber du kennst meine Eltern, ich musste wieder etwas aus meinem Schultag erzählen. Das habe ich dann auch getan. Nur habe ich ein ganz bestimmtes Thema weggelassen. Unsere Biologie Klausur. Die lief bei uns beiden ja nicht so gut", Sumi und ich lachten kurz auf. Sie hatte eine vier geschrieben und ich ebenfalls. Bei mir war es schon eher eine vier in Richtung fünf, aber das muss man ja nicht unbedingt erwähnen. „Ich habe dann von unseren Schulstunden erzählt und irgendwann war das Essen aufgegessen und ich konnte nach oben gehen. Und dann ist es passiert. Ich habe meinen Rucksack unten vergessen. Das war der größte Fehler, den ich in meinem ganzen Leben jemals gemacht habe", erklärte Sumi weiter. „Du hast doch nur deinen Rucksack vergessen, was kann daran so schlimm sein?", hakte ich unwissend nach. „Mein Biologie Klausur befand sich in diesem Rucksack", antwortete Sumi. „Dann ist das passiert, was ich vermute?", fragte ich weiter. Sie nickte:„Meine Eltern haben ohne meine Erlaubnis meinen Rucksack durchwühlt und sind natürlich auf die Klausur gestoßen. Es gab den größten Streit meines Lebens. Mir wurden so viele Vorwürfe gemacht und ich habe zwei Wochen Ausgehverbot und mein Handy bekomme ich nur zwischen 17Uhr und 20Uhr. Das schlimmste ist, dass ich meinen Mund mal wieder nicht halten konnte. Ich habe mich verteidigt und zurück geschrien, so wie jeder das macht. Und dann-" Sumi stoppte sich selbst. Ich konnte deutlich erkennen, wie sich ihre Augen mit Wasser füllten. „Sumi, was ist passiert?", hakte ich vorsichtig nach. Ich nahm ihre Hände in meine und sah sie an. „Er hat mich geschubst. Ich lag auf dem Boden. Als ich wieder aufstehen wollte, da hat er einfach ausgeholt. Mein Vater wollte mich schlagen, wäre meine Mutter nicht da gewesen hätte er es auch getan. Jedoch hat er sich selbst gestoppt", Tränen strömten über ihr Gesicht. Geschockt saß ich dort. Ihr Vater war schon immer impulsiv gewesen und aggressiv ebenfalls. Er machte mir schon immer Angst. Ich hätte aber nie gedacht, dass er soweit gehen würde. „Sumi, das tut mir Leid. Ich kann mir vorstellen, wie das für dich sein muss. Aber dir sollte bewusst sein, dass mein Bruder und ich immer für dich da sein werden", versuchte ich sie aufzumuntern. Sie lachte einmal kurz auf, aber es war kein Lachen, weil etwas lustig war. Es war ein spöttisches Lachen. „Du weißt, wie ich mich fühle? Yuna, ich habe Angst. Ich habe Angst vor meinen eigenen Eltern", schluchzte sie. Mit großen Augen sah ich sie mitleidig an. Es tat mir wirklich Leid. Allerdings wusste ich nicht mehr, was ich sagen sollte. Was würde ich denn in diesem Moment hören wollen? „Am besten bleibst du noch ein paar Tage hier, dann hat sich die ganze Sache beruhigt. Wir kriegen das hin!", überzeugt lächelte ich sie an. „Und was ist nach diesen Tagen?", Sumi sah mich an. Die Tränen in ihrem Gesicht hatten aufgehört herunterzulaufen. Ich baute Augenkontakt auf und antwortete:„Danach gehen wir zusammen zu deinen Eltern. Wir können Jungwoo mitnehmen und noch ein paar der Jungs. Wir-" Sumi unterbrach mich, ihre Augen strahlten nichts Gutes aus. Pure Angst und Wut. „Ich gehe nicht mehr zurück. Verstehst du es nicht? Ich habe echt Angst davor, was passieren wird. Ich werde zu meinen Großeltern ziehen oder du nimmst mich auf. Ich könnte mir auch einen Job suchen und irgendwo ein billiges Hotel suchen. Meinetwegen lebe ich auch unter einer Brücke. Aber unter keinen Umständen gehe ich zurück!"

Mitfühlend sah ich sie an. Niemand konnte jetzt zu ihr durchdringen, noch nicht einmal ich. Was sollte ich tun? Völlig überfordert ließ ich sämtliche Gedankengänge in Sekundenschnelle durch meinen Kopf gleiten. Irgendwas muss ich doch noch sagen, dieses Mal sollte es das Richtige sein. Aber was ist das Richtige? Ich seufzte. Ich atmete durch. Ich zog Sumi in eine enge Umarmung. „Am besten legen wir uns jetzt schlafen. Du bist müde und weißt nicht was los ist. Du solltest deine Gedanken ordnen und einfach eine Nacht darüber schlafen. Morgem früh wirst du anders darüber denken, es sind schließlich deine Etern", sagte ich leise zu ihr. Ich bemerkte, wie Sumi nickte. „Du hast Recht. Ich gehe mich dann mal umziehen." Meine beste Freundin löste sich aus meinen Armen. Sie schnappte sich ihre Tasche und lief zum Badezimmer auf dem Flur.

Ich lehnte mich zurück. Der Fernseher lief immer noch, also starrte ich ihn an. Irgendwie war das Programm echt nicht spannend. Warum sich Sumi soetwas 24/7 hinein ziehen konnte, verstand ich nicht. Das dann auch noch zu so einer Uhrzeit, 23:15Uhr. Ich merkte wie meine Augenlider schwerer wurden. Einschlafen wollte ich nicht, ich müsste mich erst umgezogen haben. Zähne geputzt hatte ich auch noch nicht. Plötzlich vibrierte mein Handy. Ich zuckte zusammen. „Man, wer nervt schon wieder?!", fluchte ich. 'Weird Xuxi', der Name unter dem ich Lucas eingespeichert hatte, hatte mir eine Nachricht geschrieben.

Hey Yuna, ich kann nicht schlafen.
Wie geht's dir so?

Hey Lucas, mir geht's ganz gut.
Und dir so?

Ist alles okay?

Es geht um Sumi, ich kann
dir Morgen alles erklären.

Sonst ist alles okay?
Es geht nur um Sumi?

Ja, es ist alles gut.
Mach' dir keine Sorgen

Dann kann ich ja doch
einigermaßen beruhigt schlafen

Hab dich lieb, Xuxi.
Gute Nacht💗

Ich dich auch, Nacht

Somit endete dieses kurze "Gespräch". Wie auf's Stichwort kam Sumi zurück. Sie nickte mir kurz zu und ich nickte zurück. Auch ohne Worte verstanden wir uns blendend. Jeder wusste, was der Andere meinte. Mit meinem Schlafanzug unter dem Arm lief ich ins Badezimmer. Dort tat ich alles nötige, bevor ich mich zurück in mein Bett begab.
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1007 Wörter

Thinking 'bout you.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt