Kapitel 27

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Die Berührungen von Sam sind in eine komplett andere Schublade zu stecken, wie die von Luke. Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass ich seine Berührungen länger kenne oder ob es an etwas anderem liegt - jedoch versuche ich das Ganze zu verdrängen. Denn es macht mir Angst, dass es vielleicht an Luke liegt und ich ihn einfach mehr mag als Sam. Welch schlechte Freundin wäre ich, wenn ich sie einfach durch Luke ersetze? Weil er vielleicht mein Seelenverwandter ist und nicht sie?

Aber woher soll ich das schon wissen, ich kenne das doch überhaupt nicht. Ich kenne mich damit nicht aus, bin so dumm und ahnungslos wie ein kleines Kind.

Es ist so verwirrend.

Ich fühle mich wie ein kleines Kind, das zum ersten Mal in die Schule geht und eine völlige Reizüberflutung erfährt. Neue Schule, neue Umgebung, neue Leute. Gestern habe ich erneut mit Dominik geredet, doch es ist nicht mehr das gleiche wie früher. Es fühlt sich komisch an mit ihm über meine Probleme zu reden, so wie in den ersten Sitzungen, weil ich nun Freunde habe, mit denen ich über diese Dinge sprechen kann. Könnte. Meine Freunde sind überfordert und haben keine Ausbildung, haben keine Ahnung von Psychologie und deswegen weiß ich genau, dass ich mit ihm reden muss, aber der Zwang ist dennoch da. Und ich glaube, er hat es bemerkt, denn er hat weniger in sein Buch geschrieben und hat mehr freundschaftliche Sachen gefragt, wie: „Wie war der Kinofilm denn? Wenn er gut war, kann ich ihn nächstes Jahr dann ja hier in Deutschland schauen.“

Vielleicht war der Grund für die Anspannung zwischen uns auch nur die Anspannung in mir. Ich habe gestern mit Sam geredet und das schlechte Gefühl ist noch immer in meinem Körper. Morgens habe ich Luke mitgeteilt, dass ich ihr gerne einen Teil meiner Vergangenheit anvertrauen möchte. Zum einen, weil sie sich Sorgen macht. Jeden Tag. Und das will ich nicht. Zum anderen, weil ich der Meinung bin,dass ich einen Schritt weiter machen sollte. Also habe ich sie gebeten gestern zu mir zu kommen, Luke blieb vor der Tür sitzen damit wir ungestört sprechen können. Doch ich konnte nicht. Mit einer Mischung aus Besorgnis und Geduld sah Sam mich an und ich wollte ihr erzählen, dass meine Eltern mich geschlagen haben. Doch ich konnte nicht. Ich habe mir vorher genau zurechtgelegt, was ich sagen möchte. Wie viel ich sagen möchte, aber als sie neben mir auf dem Bett saß, ich sah, dass die Last auf ihren Schultern viel zu groß ist, konnte ich nicht.

Letztendlich habe ich mein T-Shirt ausgezogen - die einfachste Methode ihr zu zeigen, was ich durchlebt habe, ohne ein Wort sagen zu müssen.

Und sie stellte gar keine Fragen, sah mir nur in die Augen, bat stumm mich zu umarmen, in dem sie kaum merklich ihre Arme ausbreitete. Und ich ließ es zu, zögerlich, langsam, nicht für lange Dauer. Und dann verstand ich, dass Sam so viel stärker ist, als ich geglaubt habe und dass sie ein rettender Anker für alle in unserer Gruppe war.

Als ich in das Flugzeug eingestiegen bin, war ich der Meinung ich würde mein Leben hinter mir lassen und könnte neu anfangen, doch nun weiß ich, dass das nicht funktioniert. Mehr als je zuvor stehe ich meiner Vergangenheit entgegen und muss entscheiden, ob ich kämpfe oder weglaufe - wie jedes Mal zuvor.

Ich habe keine Kraft mehr. Ich weiß nicht wie ich jeden Tag aufstehen, mich zum Leben überwinden kann, und das, obwohl es sich am Ende doch als positiv erweist.

Und dennoch wird es jeden Tag anstrengender und auch wenn ich in dieser Zeit in der ich hier bin mehr gelacht habe als jemals zuvor, ist es auch schwieriger.

Ich bin in ein Flugzeug eingestiegen, um anzukommen, wenn ich aussteige, doch das bin ich längst nicht. Mein Flug ist in der Zukunft, ich bin erst am Anfang meiner Reise auf der es Fluglöcher, ausgefallene Getriebe und zu wenig Nahrungsvorsorge geben wird. Einfach gesagt – der Flug wird hart. Er ist hart.

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