Kapitel eins - Vor den Lichtern

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Fünf Uhr acht, abends

„Noch eine Stunde."

Ein brauner Lockenkopf, tauchte knapp über der Bettkante auf. Jocelyns Gesicht war die schirre Ungeduld ins –nunja- Gesicht geschrieben. Mit einem Ruck stemmte sie sich aufs Bett und legte sich neben mich. Bereitwillig rückte ich ein Stück zur Seite, damit sie nicht aus dem Bett fiel.

„Was liest du eigentlich?", fragte meine Schwester und entnahm mir –trotz Protest- mein Buch. Neugier blätterte sie drin rum. „Drachen und Jungfrauen?" Sie lachte und ich entriss ihr schnell –und mit geröteten Wangen- das Buch. Während Jocie darum kämpfte, durch die ruckartige Bewegung nicht vom Bett zu fallen, verstaute ich das Buch in der handbreiten Lücke zwischen Matratze und Wand.
Als wieder ein wenig Ruhe eingekehrt war, fragte ich leise: „Worauf freust du dich am meisten?". Mein Blick glitt an die Zimmerdecke, wo weiße Farbfetzen langsam abblätterten. Ein Hand ging nach oben und fing an einzelne Stücke abzuziehen. Jocye Stimme war nun ebenfalls gedämpft.

„Den Mitternachtstanz. Da muss ich gar nicht lange überlegen. Nichts ist schöner als sich den Sternen und Menschen gleichzeitig so nahe fühlen zu können." Ich hörte das Lächeln auf ihren Lippen in ihrer Stimme mitschwingen. „Und du? Was kannst du kaum erwarten?" Ein Farbfetzen landete auf der freien Stelle zwischen meinem Topsaumen und dem Anfang meines Rockes. „Ich weiß nicht... vielleicht das Essen, die Leute oder die Lichter. Vermutlich die Lichter." Ich schnippte die Farbreste von meinem Bauch, dann drehte ich mich zu meiner Schwester. Ihre braunen Locken umspielten ihr Gesicht und ihre  Augen funkelten genau so vor Aufregung wie meine.
„Wann kommt Autumn?" Der Freund meiner Schwester würde sich das Lichterfest nicht entgehen lassen. Jocie Gesichtsausdruck wurde ein wenig ernster. „Wir treffen uns erst auf dem Fest, doch keine Sorge, die heutige Nacht gehört nur uns beiden." Nun lächelte sie wieder breit.

„Übrigens ich weiß aus sicherer Quelle, dass es wieder Berge an Pfannenküchlein geben wird." Sofort zogen sich meine Mundwinkel hoch.
"Bergeweise?"
„Türmeweise. Ach was Schlösserweise, gibt es sie heute!"

Das Ziehen, was mich bereits den ganzen Tag über begleitete hatte, kam in meinen Körper zurück. Es zog von meinem Herz, bis in die letzte Zehenspitze. Wenn diese elendige Warterei nur endlich vorbei wäre. Eine Stunde... wie lang sich Zeit anfühlen konnte!

„Ave, Jocie? Wo bleibt ihr denn?"
Knarrend öffnete sich die alte Zimmertür und unser Bruder Colin kam herein. Sein –für sein zehn Jahre viel zu ernster- Blick ging zu uns hoch.
„Ma hat schon drei Mal nach euch gerufen. Kommt ihr jetzt endlich?"
Wie immer wenn er sprach, wirkte er zu Tode Gelangweilt. Jocie und ich hätten Clownskostüme tragend, durch Feuerreifen springen können und er hätte vermutlich trotzdem nur gegähnt. „Kommen.", murmelte ich und kletterte über Jocie, um dann vom Bett zu springen. Mehr notdürftig als elegant landete ich einen Meter später auf dem Boden.

„Was trägst du denn?"

Colin, starrte auf meine Aufmachung, die aus einem Top -welches kurz über den Bauchnabel endete- und einem Rock –welcher bis zu den Knien ging- bestand. „Das ist für die Feier." Ich drehte mich und ließ den Rock so ein wenig flattern. „Gefällt es dir?"

„Du wirst bis Mitternacht erfroren sein.", erwiderte Colin.

Jocie kam nun ebenfalls vom oberen Bett gesprungen. „Wird sie nicht. Sowas trägt man nämlich nur, wenn man mehr tanzt als herumsitzt." Sie stieß mir sanft in die Seite, ging an Colin vorbei, verstrubbelte ihm die Haare und war dann im Gang verschwunden.
Ich ging auch an meinem kleinen Bruder vorbei, als auch ich ihm das Haar durcheinander bringen wollte, hatte er sich aber bereits außer Reichweite geduckt.

„Wo bleibt ihr denn?" Mas Stimme ertönte durch den Flur und ich lief die letzten Meter bis zur Küche. Diese war wie fast immer mit Leuten und Leben gefüllt.

LichterkussWhere stories live. Discover now