Kapitel zwei

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Sechs Uhr eins, abends

Jocie und ich rannten so schnell wie unsere Füße uns trugen.

Die Gassen unseres Heimatsdorfes Pago waren notdürftig mit großen Steinen gepflastert wurden, was das Laufen in den dünnen Sandalen nicht leicht machte. Auch tummelten bereits einige Menschen umher und die Straßen wirkten noch enger als sonst. Ich musste aufpassen meine Schwester zwischen all den Wagen, Leuten, herumstreunenden Hühner, Katzen und Hunden nicht zu verlieren.

„Komm schon!", rief Jocie, während sie bereits hinter der nächsten Biegung verschwand. Leicht außer Atem, beschleunigte ich meine Schritte noch einmal, wobei ich nur knapp einen Zusammenstoß mit zwei Händlern verhindern konnte.

Ein köstlicher Geruch nach gebrannten Mandeln stieg mir in die Nase und machte mich nur noch aufgeregter. Hinter der nächsten Kurve waren wir schließlich da.

Der Marktplatz.

Jocie und ich hielten inne. Gemeinsam betrachteten wir den Platz, der einige Stufen unter uns lag.
Das Lichterfest hatte keinen festen Standort, Händler durften dort stehen, wo sie wollten, doch das Herz des Festes schlug eindeutig hier.

Kleine und große Tische und Hütten, waren kreisförmig um den Platz aufgebaut wurden, doch egal wie winzig manche Stände auch wirkten, alle waren mit gleich viel Liebe geschmückt wurden. Bunt gemalte Figuren, tanzten auf den Holzplatten, Kerzen standen auf den Theken, der Hütten und an einigen hingen wie Regenperlen kleine Lichter. Wenn ich die Augen zusammen kniff und genau hinsah, erkannte ich, dass eine Reihe Lichter immer an einem dünnen Band miteinanderverbunden waren. Im Sonnenschein schimmerten die kleinen Glashüllen, welche die Lichter umschlossen.

In der Mitte des Platzes war eine große Fläche frei von Ständen, hier war die Tanzfläche.

Aus langen Holzplanken war ein Parkettboden gebaut wurden mit einem dünnen Gerüst aus Holzstäben neben und über ihm. Diese Stäbe, bildeten eine Art Dachlosen Pavillons, an dem kleine dunkle Bänder geschlungen waren. Von den oberen Balken hingen Lichter, mit größeren Glasbirnen hinunter. Noch ohne das magische Licht. Manche schienen größer als Äpfel oder gar Salatköpfe zu sein.

Über allem dies, hingen das Abendliche Frühlingslicht und der Geruch von Mandeln und Gebäck.
Dieser Eindruck stürzte in wenigen Sekunden auf mich ein und ließ mich für einen kurzen Augenblick verharren. Wie würde es erst unter Sternen aussehen?

„Ave!" Jocie ließ mir nicht die Zeit, mir meine Frage zu beantworten, sondern zerrte mich, nun am Arm packend, weiter. „Die Lichter werden bereits verteilt."
Ich überflog mit meinen Augen, beim herunter eilen der Stufen, den Platz und fand worauf Jocie so fokussiert war.
Am Rande der Tanzfläche, auf dem erhöhten Podest wo später die Musikanten sitzen würden, drängten sich einige Menschen, um einen laut rufenden Jungen.

„Langsam! Ich bitte euch. Es ist genug für alle da.", brüllte er über die Köpfe der Leute. Diese ließen sich, jedoch nicht so leicht beruhigen.
„Willie! Ich hab das gesehen. Leg den Armreif wieder weg." Obwohl es ein Chaos war, das vor dem Stand herrschte, schien der Junge alles im Griff zu haben. Kein Wunder. Es war immerhin Autumn. Mit schwarzen strubbeligen Haaren und einem schiefen Grinsen im Gesicht, stand er auf dem Podium und kommandierte die Leute umher. Selbstsicher wie eh und je.

Als er uns bemerkte wurde sein Lächeln breiter. „Macht Platz für die Damen.", rief er den chaotischen Haufen zu, wodurch sich sofort einige Augenpaare auf uns setzten. Honour, eine Frau mit weißlichen Haaren, verdrehte die Augen.
„Bevorzugst du etwa deine kleine Freundin?" Autumn lachte auf die ausgelassene Art, wie er es immer tat und sprang von der Erhöhung, um zu uns zu kommen. „Jeder der mit mir knutscht wird bevorzugt.", erklärte er grinsend, während er Jocie einen Arm um die Schulter legte, worauf Honour erneut die Augen verdrehte.
„Also meine Damen, was darf es sein?"
Die anderen murrenden Leute ignorierend, zog er uns weiter nach vorne, bis wir vor dem Stand stehen blieben. Von einem richtigen Stand, konnte dabei nicht wirklich die Rede sein, es waren eher ein Haufen Kisten, die zu einer Art Tisch aufgestellt wurden waren. Die obersten waren offen und zeigten Armreife, Bänder, Kerzen und Gläser. Hier waren wir richtig.
Jocie und Autumn kletterten gemeinsam das Podium hinauf. Ich blieb unten stehen.
Meine Schwester löste sich aus dem Griff ihres Freundes und fragte: „Seit wann kümmerst du dich, um die Lichtervergabe?"-
„Der Schmied hätte sich drum kümmern sollen, aber sein Bein macht ihn wieder schwer zu schaffen und da meine Mutter ein gutes Herz hat, hat sie ihm versprochen ich würde mich drum kümmern."-„Aha, ein Retter in der Not." Sie lachten und wanden sich den Kisten zu. Jocies Blick fiel dabei auf mich.

„Komm schon." 

Sie hielt mir ihre Hand hin und half mir hoch. Ein wenig widerwillig kletterte ich neben sie und begutachtete nun ebenfalls die Kisten.
„Jetzt macht mal hine.", pöbelte einer der immer noch herumstehenden Leute. Autumn ließ sich jedoch nicht aus der Ruhe bringen. Mit einer Engelsgeduld suchte er einen Armreif aus den vollen Kisten. Es war silbern und abgesehen vom Leder, welches es umwickelte sehr schlicht.

Er griff nach Jocies Arm und legte ihr den Reif um. „Passt perfekt.", stellte er lächelnd fest. „Mhm, scheint so."
Jocie griff bereits in die nächste Kiste und zog ein silber schimmerndes Band hervor. Fasziniert betrachtete ich es. Ich kannte nichts, womit ich es vergleichen könnte. Statt aus Wolle, schien der Faden aus dünnen Metall zu sein, welcher immer nach einer Fingerkuppenbreite in eine ebenfalls silberne Kugel endete. Die Kugel waren dabei kleiner als Erbsen und schienen eine Art Verbindungsglied zu bilden, so viel erkannte ich mit meinem sonst eher geringen Wissen über Schmuck und Technik. Auch Jocie hielt kurz inne und betrachtete das Band. „Das ist neu.", stellte sie etwas nüchtern fest.

„Jup." Autumn nahm ihr das Band ab und griff erneut nach ihrem Handgelenk. Am Armreif war ein kleiner Ring befestigt an dem er das eine Ende des Bandes anbrachte. Dann schnitt er mit einer Zange das Band auf die Höhe von Jocies Hüfte. Er griff erneut in eine der Kartons und holte nun ein rundliches Glas hervor. Am Boden des Glases –welches mich an die Einmachgläser von zu Hause erinnerte- war ein kleiner Ring, ähnlich wie der am Armreif. Hier befestigte Autumn das andere Ende Bandes.

Den Rest kannte ich von den vorigen Jahren. Eine Kerze wurde leicht erhitzt und ins Glas leget. Oben drauf folgte eine dünne Metalplatte, die sobald das Wachs flüssig wurde, verhindern sollte, das es spritze und zum Schluss wurde das Glas mit einem Deckel, der Aussparungen hatte, damit die Kerze nicht erstickte und die Kette hindurch konnte, verschlossen. Als Autumn jedoch eine rote Kerze aus dem Karton holte, schüttelte meine Schwester den Kopf. „Kann ich eine weiße haben?" Autumn stoppte und auch mein Kopf zuckte überrascht zu meiner Schwester.

Die Farben welche wir am heutigen Abend mit uns trugen waren nicht nur zur Dekoration da, sondern hatten eine ganz eigene Bedeutung. Sie zeigten wie die vergangen zwei Jahre für uns gewesen waren und mit wem man sich verbunden fühlte. Rot war dabei ein Zeichen, dass man einen Partner gefunden hatte, weiß hingegen zeigte, dass man ungebunden war. Pa hatte mir als ich so alt wie Darian war erzählt, dass früher das Lichterfest oft genutzt wurde, um einen Ehemann für die Tochter zu finden und daher dieser Brauch rührte. Mittlerweile war es zwar nicht mehr üblich so nach einem Mann Ausschau zu halten, oder einer Frau, doch trotzdem wurde der Brauch weiterhin fortgeführt.

„Ich glaub rot steht dir besser.", erwiderte Autumn und seine Augen fixierten meine Schwester äußerst nachdenklich. „Weiß pass zu allem. Zudem ist es doch nur eine blöde Tradition." Merkbar widerwillig nahm Autumn eine weiße Kerze und warf sie Jocie zu. Dann, ohne sich weiter um meine Schwester zu kümmern, wand er sich an mich und half mir. Nachdem er eine weiße Kerze in mein Glas gelegt hatte und dieses geschlossen hatte, tauschten wir einen kurzen Blick. Ich kannte Autumn von Kindheitsbeinen an und auch wenn ich ihn nicht besonders nahe stand, verstand ich was er mich fragen wollte. Da ich aber selber nicht wusste was mit Jocie los war, zuckte ich leicht mit den Schultern und bedankte mich. Autumn wirkte nun noch niedergeschlagener.

„Wir sehen uns nachher.", sagte er zu Jocie, welche bereits wieder meine Hand packte und mich vom Podest zog. „Wird auch Zeit.", beschwerte sich Honour und drängelte sich einen Weg nach vorne, um als nächstes ihre Kerze zu erhalten.
Meine Schwester zog mich über den Marktplatz. Erst als wir außer Hörweite waren, traute ich mich zu sagen: „Was sollte das?"
Jocie drehte sich überrascht zu mir. „Was meinst du?"-„Das mit Autumn eben. Du hast ihn im Regen stehen gelassen. Wieso?" Ein wenig verärgert entriss ich mich ihrem Griff. Jocie zuckte mit den Schultern. „Ich mag weiß nun mal lieber als rot." Kopfschüttelnd betrachtete ich meine Schwester.

„Ich glaube Autumn war ziemlich gekränkt."
„Man, was willst du eigentlich Avelyn? Können wir nicht einfach zur Kirche gehen?"
Es war die Tatsache, dass sie mich mit vollen Namen ansprach, dass ich beschloss locker zu lassen. Heute sollte es keinen Streit zwischen uns geben, wenn irgendwas nicht in Ordnung war, dann würde es morgen auch noch geregelt werden können.

„Okay, dann los."

LichterkussWhere stories live. Discover now