Kapitel fünf

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Sieben Uhr achtundfünfzig, abends

„Darian. Woher hast du die Münze?" Meine Stimme zitterte ein wenig, während sich meine Hand um das Metall schloss. Mein kleiner Bruder war unterdessen wieder gelangweilt und hatte angefangen im Sand zu zeichnen. Nun zeigte er stumm auf den Boden, wo er am Anfang der Show gesessen hatte. „Lag sie schon da, oder ist sie jemanden aus der Tasche gefallen? Hast du irgendwas mitbekommen."
Darian schien meine besorgte Stimme mitzubekommen, denn er blickte von seiner Malerei auf und musterte mich. Ich versuchte meine Aufgebrachtheit runterzuspielen, doch das war alles andere als einfach.

Eine solche Münze hatte ich noch nie zuvor gesehen, aber dafür hatte ich davon gehört. In den Städten zahlten sie angeblich mit solchen, dort wo die Sachen so lächerlich teuer waren, dass man mehr als nur Silber- und Goldmünzen brauchte.
Quid nannte man diese Münzen, welche mehr Wert hatten, als das Münzmaterial an sich. Und diese spezielle Quid war genau 100 Goldmünzenwert. Das war vielleicht so viel wie meine Familie in zwei oder drei Monaten verdiente. Allein die sechs Goldmünzen, die Trevor, Jocie und ich bekommen hatten waren eigentlich viel zu viel Geld. Mein Vater hatte vermutlich Monate dafür sparen müssen, um uns heute allen ein wenig mitzugeben.

Wem auch immer diese Münze gehört hatte, er würde sie vermissen und er würde vor allem annehmen, dass sie ihm gestohlen wurde!
Ich musste wem immer diese Münze gehörte finden, bevor er uns fand.

Das Problem war nur, dass ich niemand kannte der so viel Geld bei sich haben könnte. Niemand im Dorf hatte jemals mit einer Quid bezahlt, sonst hätte ich das längst durch den Dorftratsch erfahren. Es musste also jemand von Außerhalb sein-
„Der Mann mit dem Hut." Darian zeigte auf die in Mantel gehüllte Gestalt, welche gerade hinter den lila Vorhängen verschwand. Sofort sprang ich auf und nahm Darian auf meinen Arm. Auch wenn er eigentlich schon zu alt und schwer für eine solche Herumtragerei war, hatte ich es im Augenblick zu eilig um diese Situation anders zu lösen.

Ohne lange drüber nachzudenken lief ich zu dem scheinbaren Durchgang, um hinter die Improvisierte Bühne zu gelangen. Vorsichtig zog ich den dichten lila Stoff beiseite, während meine eine Hand immer noch die Münze umklammerte.

„Entschuldigung?", brachte ich heraus bevor ich bemerkte in was für ein Chaos ich gestürmt war. Hinter dem Vorgang hatte ich höchstens ein oder zwei Wagen und dann die Flussmündung erwartete. Stattdessen fand ich hier einen Haufen winziger Zelte, die auf der freien Grasfläche standen, eine umgedrehte Holzkiste auf der einige Schausteller Karten spielten, eine ganze Menge Kostüme und Klamotten, die zum Trocken auf gehangen worden waren und einige der Requisiten von der Show, wie die Bälle oder Mollys Karten.

„Ja?" Die Frau, die bis eben noch den lila Mantel getragen hatte, erhob sich vom Kartenspielen und musterte mich mit hochgezogenen Augenbrauen. „Die nächste Vorstellung ist erst in einer halben Stunde." Schnell schüttelte ich meinen Kopf und versuchte irgendwo den Mann mit dem Umhang zu finden.
„Ich such den Mann mit dem Hut.", erklärte ich ein wenig stolpernd und fügte nachdem ich den fragenden Blick der Frau sah noch schnell: „Der das Geld gerade eingesammelt hat." hinzu.

Jetzt lachte die Frau und ihr angespannter Ausdruck löste sich.
„Ah, eine Verehrerin also. Einen Moment."

Bevor ich sie verbessern konnte hatte sie sich bereits umgedreht und ging zu einem der Zelte. Sie flüsterte etwas hinein und einen Moment später schaute ein verwunderter Jungenkopf heraus.
Anders als ich bisher geglaubt hatte handelte es sich eher um jemanden in meinem Alter, als um einem Mann. Er hatte blonde knapp an der Wange endende Locken und eine zu helle Haut, um aus einem der umliegenden Dörfer zu sein. Auch schien er nicht mehr den dunklen und verhüllenden Mantel zu tragen, der mich bis eben getäuscht hatte.

Die Frau wisperte ihm wieder etwas zu und sein Blick wanderte zu mir. Seine Miene zog sich ein wenig zusammen, doch er stand auf und kam zu mir. Und tatsächlich trug er nun einfach ein weißes Leinenhemd und eine kurze schwarze Hose. Jetzt wo ich genau hinsah, bemerkte ich auch den schwarzen Umhang, welcher achtlos neben dem Zelt lag.

Langsam kam der Fremde näher, die Frau setze sich unterdessen zurück ans Kartenspiel.

„Wie kann ich dir helfen? Du bist das Mädchen vom Zaubertrick oder?" Der Fremde lächelte mich zwar an, seine Arme waren aber verschränkt und er wirkte angespannt. Schüchtern nickte ich. Unterdessen überlegte ich mir schon fieberhaft wie ich am besten den folgenden Satz formulierte: „ja...ähm... ich, beziehungsweise wir habe glaub ich etwas Gefunden was dir gehört."
Ich setzte Darian ab, um meine Hand auszustrecken und den verborgenden Schatz zu zeigen.
Der Junge beugte sich langsam nach vorne und starrte in meine Hand. Dann lachte er auf einmal laut auf. Erschrocken zuckte ich zusammen, während der Junge seine Arme sinken ließ und grinste.

„Achso. Ja, klar. Danke fürs bringen." Er nahm die Münze entgegen und verstaute sie in seiner Hosentasche, so als wäre sie bloß ein Stein oder Apfelkern.
„Warte, hier. Als Finderlohn sozusagen."
In meine immer noch ausgestreckte Hand legte der Junge drei Münzen hinein.
Drei Goldmünzen.
Vollkommen überfordert starrte ich auf das Geld, ohne so recht zu wissen, was ich sagen oder tun sollte.
Der Fremde hingegen schien gar nicht mehr mit dem Reden aufhören zu können.

„Hey, du bist doch von hier, oder?"
Sollte der Junge mein verdatterten Gesichtsausdruck mitbekommen haben, so ignorierte er ihn höflich. „Könntest du mir vielleicht nachher ein wenig das Dorf zeigen? Ich verlauf mich ohne Hilfe nur sofort in den Gassen."

„Ähm... natürlich. Klar.", stammelte ich wenig Einfallsreich, während ich die Münzen in meinen kleinen Geldbeutel steckte.

„Perfekt!" Der Junge strahlte mich. „In einer halben Stunde fängt noch eine Show an, aber danach dürfte ich den Rest des Abends frei haben. Als hier treffen in einer dreiviertel Stunde! Bis dann."
Ohne mich nochmal zu Wort kommen zu lassen, verschwand er wieder in Richtung seines Zeltes.
Für ein paar Sekunden stand ich einfach nur wie versteinert da, dann drehte ich mich um und verließ den Schaustellerbereich, zusammen mit Darian an meiner Hand.

Ich musste unbedingt Jocie finden!

Darian brachte ich wortlos zu meiner Mutter zurück, doch Jocie zu finden stellte sie als schwieriger heraus. Sie war nicht auf dem Marktplatz und nicht in der Seitenstraße, wo die Bühne stand zu finden. Auch auf der Meile konnte ich sie nicht erkennen, gerade weil es durch die Menschenmassen immer schwieriger wurde überhaupt irgendetwas zu erkennen. Als ich gerade aufgeben wollte, konnte ich ihren braunen Haarschopf aus einer Seitengasse rennen sehen.

„Jocie!"
So schnell ich konnte rannte ich ihr hinterher, bis ich sie eingeholt hatte. Überrascht drehte sie sich zu mir um.
„Ave, hier bist du! Ich hab dich beim fantastischen Molly nach dem Auftritt gesucht, aber da warst du wohl schon weg. Sorry, dass ich plötzlich weg war. Aber es war dringend, doch mehr dazu spät-
Alles in Ordnung bei dir? Du Zitterst ja!"

Es dauerte einige Sekunden bis ich zu Atem gekommen war.
„Jocie, dass glaubst du mir nie.", brachte ich schließlich außer Atem hervor. Meine Schwester zog eine Augenbraue hoch und zog mich gleich zurück in die Gasse aus der sie gerade gekommen war.
Hier erzählte ich ihr schließlich was alles Unglaubliches passiert war.

LichterkussWhere stories live. Discover now