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New York City, 24. August 1930

Es war ein drückend heißer Tag, es hatte seit Wochen nicht mehr geregnet und in der Stadt rührte sich kein Lüftchen. Sämtliche Parks und Grünflächen waren völlig ausgedörrt. Jede kleine Bewegung genügte, um sofort klatschnass zu sein. Man konnte es im ganzen Krankenhaus beobachten, sämtliche Handlungen schienen in Zeitlupe vonstatten zu gehen. Es war einfach zu heiß für Hektik und Eile. Selbst die strenge Oberschwester Mathilde war ungewohnt ruhig. Sie wirkte müde und ausgelaugt und sah mich nicht einmal an, als sie auf dem Gang an mir vorbeischlurfte. Mathilde hatte normalerweise die Angewohnheit, jedem Menschen, der das Pech hatte, ihr in die Hände zu fallen, sofort mit einer langen und ausschweifenden Kostprobe ihrer langjährigen Berufserfahrung zu beglücken. Es war, soweit ich mich erinnerte, noch nie vorgekommen, dass sie mich sah und ihres Weges ging, ohne vorher eine gefühlte Ewigkeit über die richtige Pflege der Patienten zu schwadronieren. Es passte mir überhaupt nicht, dass sie mich immer noch ansprach, als sei ich eine Schülerin, meine Ausbildung hatte ich vor drei Jahren beendet. Vor allem vor den Patienten war es sehr unangenehm, da mich viele dann auch wirklich für eine Schülerin hielten und darauf bestanden, ich möge es ihnen nicht übel nehmen, ob ich nicht vielleicht doch eine richtige Schwester holen könnte? Das ärgerte mich des Öfteren. Da Oberschwester Mathilde jedoch heute nicht in Stimmung für Lehrstunden zu sein schien, entspannte ich mich und setzte meine Runde fort. Im Vorbeigehen warf ich einen Blick auf die laut tickende Uhr an der Wand im Schwesternzimmer. Sie zeigte 13:50 Uhr. Juhu! Ich hatte Frühschicht und mein Dienst endete in 10 Minuten. Ich freute mich riesig, endlich der drückenden Schwüle und stickigen Zimmern zu entkommen. Ich war zu meiner Tante Milly zum Essen eingeladen und hoffte sehnlichst, dass auf dem langen, schweißtreibenden, heißen und anstrengenden Marsch nach Soho wenigstens ein wenig Wind zwischen den Häuserschluchten wehte. Ich hob meine zu einem Knoten gebundenen Haare ein Stück an, damit mein feuchter Nacken ein bisschen Luft bekam. Ich spürte sofort, wie sich meine Haut angenehm abkühlte. Ich beendete noch rasch meine Runde durch die Station, meine Ablösung kam zum Glück pünktlich. Nach einer kurzen Übergabe verabschiedete ich mich und ging noch rasch zum Schwesternwohnheim, um meine braune Umhängetasche zu holen. Aus Zeitmangel ließ ich meine Schwesternuniform an und machte mich auf den Weg nach Süden.

Die Straßen waren beinahe ausgestorben, weil die meisten Leute sich während der Mittagshitze nicht aus ihren Häusern wagten. Ich kam an Obst- und Gemüseständen vorbei, auf denen die übrig gebliebenen Reste des Tages schon die Blätter hängen ließen und matschig wurden. Viele Geschäfte waren im Hochsommer sogar um die Mittagszeit geschlossen, was ich nicht unvernünftig fand, es kam schließlich sowieso kaum jemand. Das große Geschäft konnten die Ladenbesitzer wahrscheinlich nur früh morgens machen. Ich wechselte auf meinem Weg, der eigentlich fast nur geradeaus führte, mehrmals die Straßenseite, damit ich im Schatten eines der riesigen Häuser laufen konnte. Der so sehnlichst erhoffte Wind stellte sich leider nicht ein, daher hoffte ich, wenigstens im Schatten das Risiko, lebendig gekocht zu werden, zu verringern. Die Häuser wurden allmählich höher und ich erreichte Midtown, das Zentrum von Manhattan. Hier wurde es deutlich lauter, die Straßen waren belebter. Autos rauschten vorbei und hupten, Pferdewagen klapperten über den Asphalt, viele Menschen waren unterwegs zu irgendwelchen Zielen und über allem schwebte der in New York allgegenwärtige Baulärm. Die Innenstadt glich einer gigantischen Baustelle. In der Ferne vor mir konnte ich ein gigantisches Häuserskelett erkennen, auf dem Arbeiter flink hin und her kletterten, so klein wie Ameisen. Als ich näher kam, konnte ich fröhliches Lachen und raue Männerstimmen hören. Ich schleppte mich ermattet weiter. Als ich auf der anderen Straßenseite angekommen war, sah ich, dass ein Großteil der Männer auf dem Gerippe Indianer waren. Ich konnte den Unterschied selbst aus der Entfernung ausmachen. Sie trugen allesamt das Haar lang, die meisten waren schwarzhaarig, und sie hangelten sich barfuß mit einer Leichtigkeit durch die Stahlträger, dass mir schon vom bloßen Zusehen übel wurde. Ich war eigentlich nicht ängstlich, doch dieses Gebäude war schon bestimmt 50 Stockwerke hoch und keines dieser Stockwerke hatte bis jetzt einen Boden, oder Wände! Als ich die Arbeiter dort betrachtete, schweiften meine Gedanken wieder zu dem jungen Mann, den ich vor einigen Wochen vor dem Geschäft gesehen hatte. Ob er wohl auch auf einer solchen Baustelle arbeitete? Bevor ich mir dessen ganz bewusst war, hatten meine Augen schon begonnen, das riesige Gerüst abzusuchen. Doch die Sonne blendete zu sehr, ich konnte kaum etwas erkennen und mir tränten die Augen. Ich gab es auf und setzte meinen Weg fort, in Gedanken immer noch bei dem attraktiven Mann. Ob ich ihn wohl eines Tages wiedersehen würde? Vielleicht würde ich mich ja dann nicht so unbeholfen anstellen. Ich ärgerte mich immer noch über mein unsicheres Verhalten von damals. Das war eigentlich gar nicht meine Art. Die meisten Männer, die mich ansprachen und mit mir ausgehen wollten, machten sich fast in die Hose, wenn ich sie auch nur ansah. Ich war es absolut nicht gewöhnt, dass ein Mann mich nervös machte. Ich musste es zugeben, das verletzte ein wenig meinen Stolz und ich beschloss, nicht mehr daran zu denken.

but a spark of Life remainsWhere stories live. Discover now