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Ich wollte nicht, dass die Zeit weiterlief, ich wollte die Uhr anhalten und bis in alle Ewigkeit mit ihm hier bleiben. Nie wieder den Raum verlassen. Doch die Realität holt einen immer ein. Diesmal in Gestalt von Tante Milly, die schwungvoll durch die Tür stolziert kam, mit zwei Bechern Kaffee in der Hand und wie üblich gefolgt von einer gut gelaunten Minnie. Sie reichte mir einen davon und ließ sich ganz selbstverständlich neben uns auf die Bettkante plumpsen. "Vor was für einem Laden?" fragte sie neugierig. Wir sahen erst uns erstaunt an, dann sie. "Schaut nicht so, ich wollte nicht lauschen, aber euer verliebtes Gesäusel konnte man bis in die Küche hören!" Ich schüttelte vorwurfsvoll den Kopf. "Also wirklich, Tante Milly!" Sie hob abwehrend die Arme "Ist ja schon gut! Ich wollte euch eigentlich nur daran erinnern, dass das Frühstück kalt wird. Schaffst du es, mit uns am Tisch zu sitzen... äähmm" Sie überlegte "Sam, äh... Samuel McCalum." Er versuchte sich an einer kleinen Verbeugung und ich musste schmunzeln. "Gut, Sam. Ich bin Milly. Dann kommt mal mit, ihr liebeskranken Verrückten!" Sie stolzierte wieder aus dem Zimmer, gefolgt von Minnie und ich stand kopfschüttelnd auf und reichte Sam die Hand, um ihm aufzuhelfen, doch er ergriff sie nur, um mir schnell einen Kuss auf den Handrücken zu hauchen. Dann stemmte er sich allein hoch und stand auf. Jetzt überragte er mich um gut 30 Zentimeter und ich musste den Kopf in den Nacken legen, um in sein Gesicht zu sehen. Er lächelte auf mich herab, zögerte einen Moment unsicher, doch dann beugte er den Rücken und küsste mich direkt auf den Mund. Meine Hände fanden wie von selbst den Weg um seine Mitte, ich schmiegte mich so dicht an ihn, wie ich konnte, ohne ihm Schmerzen zu verursachen. Seine Arme ruhten locker auf meinen Schultern, die Hände hatte er in meinen Locken vergraben, die mir lose über den Rücken fielen. Ich spürte, wie er leicht schwankte und verlagerte mein Gewicht, um seine Bewegungen auszugleichen. Es fühlte sich ein wenig an, als würden wir auf einem schwankenden Schiff stehen. Nach einer Weile löste er seine Lippen von meinen, ich ließ ihn nur widerwillig los. Er ging zum Fußende des Bettes und griff nach seinem Hemd, das darüber hing. Er hielt es prüfend hoch und runzelte die Stirn. Ich betrachtete verträumt, wie sich die Muskeln an seinem Rücken bei jeder Bewegung spannten wie Drahtseile. Dann die Muskeln seiner Oberarme, zäh und drahtig wie Leder, fest und zugleich so weich. Er war wirklich dünn, ich konnte seine Rippen sehen, doch er hatte wieder eine gesunde Farbe, seine Haut hatte einen samtigen, rotbraunen Ton, der mich an Erde denken ließ. Seine Brust war völlig unbehaart, nur ein kleiner Streifen pechschwarzer Haare lugte aus seinem Hosenbund hervor und endete unter seinem Bauchnabel, weniger als eine Handbreit. Ich stellte mir vor, wie ich meine Hand auf seinen Bauch legte, durch die Haare fuhr, immer weiter nach unten, bis..." Hast du vielleicht etwas zum Anziehen, das ich mir leihen kann?" Ich schrak aus meinen Tagträumen auf und wurde augenblicklich knallrot. Er sah verwirrt zu mir auf. "J-ja..." stotterte ich und stürmte aus dem Zimmer. Himmel, war das peinlich! Hoffentlich konnte er mir nicht angesehen, woran ich gerade gedacht hatte. Ich kramte auf dem Speicher in einer großen Kiste, in der ein paar alte Sachen von meinem Vater verstaut waren. Ich fand ein altes, aber sauberes Hemd und ging damit unterm Arm wieder zurück ins Schlafzimmer. Er stand mit dem Rücken zu mir auf Zehenspitzen und hatte die Arme erhoben, seine Finger berührten die Decke. Offenbar versuchte er gerade, sich vorsichtig zu strecken. Ich hörte eine ganze Reihe Knochen knacken wie eine Gewehrsalve und ihn erleichtert aufstöhnen. Oh Gott, diese Muskeln... Reiß dich zusammen Liz! Ich schüttelte heftig den Kopf und ging auf ihn zu. Ich reichte ihm das Hemd, peinlich darauf bedacht, ihm nur in die Augen zu sehen. Er bedankte sich und schlüpfte vorsichtig hinein. Ich sah jetzt prüfend an ihm herunter. Es saß sehr locker um die Mitte, mein Vater hatte einen ziemlichen Bauch gehabt, und unten war es ein Stückchen zu kurz, doch besser als nichts. Minnie kam sogleich herbei getrippelt und begrüßte den Gast mit freundlichem Stupsen seiner Wade. Er ging in die Hocke, wobei Minnie erschrocken zurückwich, und streckte die Hand in ihre Richtung. Vorsichtig reckte sie den Hals und schnupperte in der Luft. Sie hatte wohl auch noch nie einen so großen Mann aus der Nähe gesehen. Nach einigen Sekunden siegte jedoch die Neugierde und sie tapste langsam auf ihn zu. Er hielt ihr die Hand immer noch ruhig entgegen und sie begann, seine Finger abzuschlecken. Er hob jetzt vorsichtig die andere Hand und begann, Minnie hinter dem Ohr zu kraulen. Mein Magen knurrte laut und ich beschloss, schon einmal vorzugehen. Eine Minute später kam Samuel nach, Minnie dicht auf den Fersen. Als er sich setzte, sprang sie wie selbstverständlich auf seinen Schoß, was ihm einen überraschten Laut entlockte, und himmelte ihn mit ihren großen Hundeaugen an. Tante Milly die am Herd stand und Spiegelei briet, musste bei diesem Anblick schmunzeln. Ich saß ihm schon gegenüber und nippte an meinem Kaffee. Der Duft der Eier beflügelte meinen Magen zu heftigen Ungeduldsbekundungen. Als sie fertig waren, servierte Tante Milly jedem zwei und setzte sich dazu. Wir tranken den Kaffee, der göttlich schmeckte, und aßen Brot mit Butter und Spiegelei, dazu Schinken. Ich war nicht im Geringsten überrascht, dass Sam wie besessen das Frühstück in sich hinein schaufelte, während Minnie sich der Dinge annahm, die in seinem wilden Eifer daneben fielen. Er hatte auf der Straße sicher keine Gelegenheit gehabt, etwas zu essen zu bekommen. Und in den zwei Tage, in denen er sich fiebernd und halluzinierend im Bett gewälzt hatte, hatten wir nur hin und wieder ein paar Löffel Brühe in ihn hineinbekommen. Tante Milly musste bei dem Anblick lächeln. "Freut mich, dass du wieder unter den Lebenden bist." Er hustete, hatte sich verschluckt. Sie reichte ihm schnell ein Glas Wasser. Er trank gierig, bis es fast leer war. Dann stellte er das Glas ab und atmete durch. "Ich bin euch sehr dankbar für alles, was ihr für mich getan habt, euch beiden." Er sah zwischen uns hin und her und kraulte Minnie nachdenklich hinterm Ohr. "Wie habt ihr mich eigentlich gefunden? Ich wusste ja selbst nicht einmal, wo ich war." Tante Milly und ich sahen uns an, auf ihrem Gesicht breitete sich allmählich ein schelmisches Grinsen aus. "Weißt du das denn nicht mehr?" fragte sie neckend und stieß mich dabei mit dem Ellbogen an. Er sah verwirrt aus. Tante Milly öffnete schon den Mund, doch ich schnitt ihr das Wort ab und antwortete hastig "Es war Glück, wir wollten gerade aufbrechen, um in den Five Points zu beginnen, da bist du nur wenige Meter vor der Haustür, quasi fast zu unseren Füßen, zusammengebrochen. Ich hab dich noch um die Ecke stolpern sehen und als ich dich eingeholt hatte, lagst du auf dem Boden und hast wirres Zeug geredet." Ich warf Tante Milly einen strengen Blick zu, um ihr zu bedeuten, den Mund zu halten. Sie grinste immer noch diabolisch und presste sich die Hand an den Mund. Er sah es, es war ja nicht zu übersehen, doch er war so höflich, es zu ignorieren und nickte nur. Ich fuhr fort. "Dann haben wir dich nach oben gebracht und ich bin nach Lenox Hill gelaufen, um einen befreundeten Arzt um Hilfe zu bitten, Dr. Goldman. Er kam dann und hat deine Wunde gereinigt und dir Medikamente gegeben. Du hast zwei Tage geschlafen und er kam jeden Tag um nach dir zu sehen, heute Nachmittag kommt er übrigens auch wieder vorbei." Er nickte langsam und starrte auf seinen Teller, offenbar erstaunt darüber, dass er von alldem nicht das Geringste mitbekommen hatte. Man sah ihm an, dass er versuchte, sich zu erinnern. Dann fing er so plötzlich an, lauthals zu lachen, dass ich auf meinem Stuhl zusammenzuckte. Er lachte schallend und hielt sich den Bauch, ich war völlig verwirrt. Irgendwann krümmte er sich vor Schmerzen, doch seine Schultern bebten immer noch von unterdrücktem Lachen. Ich bekam allmählich das Gefühl, er würde über mich lachen, Tante Milly gab sich ebenfalls alle Mühe, nicht zu platzen. "Was ist denn bitte so lustig daran?" Fragte ich entnervt. Er holte tief Luft und bemühte sich, zu sprechen. "ich... " Ich trommelte ungeduldig mit den Fingern auf der Tischplatte "Du... was?" Er atmete ein paarmal tief durch, sein Gesicht hatte unter der Bräune einen tiefen Rotton angenommen. "Ich habe dir doch gesagt, ich WUSSTE, dass du mich magst!" Jetzt konnte Tante Milly auch nicht mehr an sich halten, ihr liefen schon die Tränen übers Gesicht. Gott, war mir das unangenehm, doch irgendwie musste ich auch darüber lachen. Er hatte mich so vertrottelt angegrinst, wie ein Betrunkener und hatte... nun ja, eigentlich nur die Wahrheit gesagt. Dennoch konnte ich nicht verhindern, dass ich, und das schien langsam zur Regel zu werden, wieder einmal rot wurde.

but a spark of Life remainsWhere stories live. Discover now