9. Kapitel

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Reece und ich konnten uns schnell einigen und zusammen waren unsere Ideen und Gedanken wirklich Gold wert. Wir hatten jeden einzelnen Raum besprochen und konnten uns mit dem Bauplan einen gewissen Überblick verschaffen. Doch bevor wir überhaupt mit den Möbeln anfangen konnten, mussten wir die Wandfarben und auch gewisse andere Dinge wie zum Beispiel die Elektrik besprechen. Es kam also noch viel Arbeit auf uns zu, denn auch formelle Dinge mussten noch geklärt werden, sodass wir die Eröffnung irgendwann im Frühling nächsten Jahres geplant haben. Ich konnte immer noch nicht glauben, dass wir jetzt zusammen arbeiteten und dass es tatsächlich etwas werden konnte. Dieses Projekt war einzigartig, doch so sollte es nicht bleiben. So wie ich Reece verstand, wollte er, dass das der Anfang von Etwas sein sollte. Wir sollten als Inspiration für andere große Städte sein, damit die Not solcher Anlaufstellen erkannt wurde.

Während der Unterrichtszeit kritzelte ich immer unterschiedliche Wandbilder in meinen Notizblock. Reece hatte mir erlaubt, dass ich meine Fantasie ausleben durfte und das wollte ich auch. Kunst begeisterte mich genauso sehr wie das Tanzen. Ich wusste zwar, dass durch das Bemalen der Wände alles länger dauern würde, doch das nahm ich in Kauf. Mir war die Einzigartigkeit sehr wichtig. Ich hatte das Gefühl, dass der Schultag wirklich schnell vorüber ging, aber wahrscheinlich lag es auch daran, dass sich meine Gedanken die ganze Zeit nur um das Haus drehten. Nur wenn Talia um mich herum war, konnte ich mich mit etwas anderem beschäftigen. Doch als ich mich auf mein Fahrrad schwang, wusste ich, dass nicht nur Talia die Fähigkeit besaß, mich abzulenken.

Auch Caden konnte mich mit seiner kindlichen Ausstrahlung dazu bringen, mich auf etwas anderes zu konzentrieren. Es war unsere Tradition, dass ich dienstags zu ihm kam und daran wird sich auch nichts ändern. Vor einigen Monaten habe ich mit ihm noch das Alphabet und die Zahlen gelernt. Wobei ihm das Lesen und Schreiben viel mehr Spaß machte. Weshalb wir jetzt zusammen mindestens eine Stunde lasen. Manchmal vergaßen wir auch die Zeit und lasen weit über die Besuchszeit hinaus und obwohl ich die Bücher selber schon als Kind gelesen hatte, faszinierte es mich, wie Caden in die Fantasiewelt abdriftete.

Das Krankenhaus lag relativ zentral, sodass ich meistens direkt nach der Uni mit dem Fahrrad hinfahren konnte. Wie jedes Mal stellte ich meinen Drahtesel in den Fahrradständer und ging durch die verglaste Schiebetür, die sich elektronisch öffnete, als ich in ihr Sichtfeld trat. Hinter der Tür erstreckte sich der helle Eingangsbereich unseres städtischen Krankenhauses, doch damit ich mich nicht mit der unfreundlichen Sekretärin auseinandersetzen musste, nahm ich direkt die Treppen zu meiner linken Seite. Es waren auch nicht viele Stufen, da sich die Kinderstation auch schon in der ersten Etage befand. Doch ich war ehrlich, dass ich meistens den Aufzug nahm.

Oben angekommen, begegnete ich schon Erica, Leiterin der Kinderstation, die mich freundlich begrüßte. Ich verstand mich relativ gut mit ihr und das lag auch wahrscheinlich daran, dass sie froh war, wenn ich vorbeischaute. Die Pfleger wussten, dass ich da war und brauchten sich dementsprechend keine Sorgen um Caden machen. Meine Tante und mein Onkel schauten natürlich auch oft vorbei, doch sie waren auch beide berufstätig. Sie froh waren demnach sehr froh, wenn ich sie noch unterstützte.

Caden ist mittlerweile sieben Jahre alt und hat in wenigen Wochen schon wieder Geburtstag. Ich glaube, kurz nach seiner Einschulung bekam er die Diagnose Blutkrebs und auch wenn er zwischenzeitig gesund war, so kam der Krebs wieder. Beim ersten Mal waren wir alle optimistisch, denn auch die Ärzte waren euphorisch. Aber sie haben mit einem zweiten Ausbruch innerhalb von zwei Monaten nicht gerechnet. Und das war der Zeitpunkt, an welchem ich realisierte, dass Krebs eine unberechenbare Krankheit ist und kaum jemand sie bändigen kann.

Wie von selbst blieb ich vor der weißen Tür mit der hellblauen Aufschrift der Zimmernummer 254 stehen und hob meine Hand, um mich mit einem Klopfen bemerkbar zu machen. »Hey Frechdachs!«, begrüßte ich ihn mit einem wissenden Grinsen, da er bereits ertappt versuchte, das Buch unter seiner Decke zu verstecken.

guardian angel IWhere stories live. Discover now