Prolog

57 4 5
                                    




24. Juli 2019

Die Flut kam unerwartet. So unerwartet wie ein Sturm, der aus einem klaren, wolkenlos-blauen Sommerhimmel hervorbricht.

Niemand hätte sie vorhersagen können. Niemand hätte wissen können, was unserer kleinen Stadt an diesem vermeintlich normalem Tag schreckliches widerfahren würde.

Es gab keinerlei Vorwarnungen. Und das war beinahe das schlimmste daran. Die Flut kam über uns und wir hatten nicht die geringste Ahnung, was vor sich ging.





Cassie war so begeistert davon, dass endlich Sommerferien waren, dass sie nicht an sich halten konnte und mich, kaum hatten wir das Schulgelände verlassen, auf ein Eis in unserer Lieblingseisdiele einlud. Wäre es nach mir gegangen, hätten wir uns in Cassies Garten in die gemütlichen Hängematten gelegt und einfach nur entspannt, das – nebenbei bemerkt – verdammt anstrengende Schuljahr ausklingen lassen. Aber natürlich ging es nicht nach mir und so saßen wir 20 Minuten später eingeengt in einer Ecke der überfüllten Eisdiele und aßen unsere Lieblings-Eissorten.

Wir hätten auch den Versuch wagen und uns nach draußen setzten können, aber bis wir uns zwischen all den Menschen nach draußen gezwängt hätten, wäre vermutlich mindestens einem von uns das Eis heruntergefallen, geschweige denn, das wir es überhaupt aus dem Eingang hinausgeschafft hätten.

Cassie schwärmte mir von ihrem Urlaub in Italien vor, den sie mit ihrer Familie machen würde, während ich schweigend zuhörte und nur zwischendurch lachte oder zustimmend nickte.

„Ich finde es so schade, dass wir in den Ferien so wenig zusammen unternehmen können", erklärte sie mir irgendwann, „Aber was soll ich machen? Wir sind nun mal fast die ganzen Ferien lang unterwegs".

Ich antwortete ihr nicht, denn ich wollte nicht darüber nachdenken, dass das hier die wohl ödesten Ferien werden würden, die ich je erlebt hatte. Meine Eltern mussten fast die ganze Zeit arbeiten, sodass wir nicht mit der Familie vereisen konnten. Alle meine Freunde (inklusive Cassie) würden selbst verreisen und waren für die gesamten Ferien bereits verplant. Also würde ich die Ferien wohl oder übel alleine bei uns zu Hause verbringen während alle anderen sich irgendwo an einen Strand mit türkisfarbenem Meer legen und ein leckeres Cocktail schlürfen würden. Am liebsten würde ich Cassie auf der Stelle sagen, dass sie gefälligst aufhören soll, mir von ihren ach so toll werdenden Ferien zu erzählen, nur um mir unter die Nase zu reiben, dass meine Ferien im Vergleich zu ihren einfach nur beschissen werden würden. Aber so läuft das in unserer Freundschaft nicht und so ist es auch noch nie gelaufen. 

Als wir aufgegessen hatten, schlug Cassie vor nach draußen zu gehen, denn in dem Café wurde die Luft immer stickiger und wir beide verspürten das dringende Bedürfnis, mal wieder frische Luft zu schnappen. Wir fingen gerade an, uns zwischen den Eis schleckenden Leuten unter Einsatz unserer Ellenbogen durch zu drängeln, als uns mit einem Mal von allen Seiten das Geräusch eines immer lauter werdenden Stimmengewirrs entgegenschlug.

Rechts und links von uns fingen die Menschen an, unruhig miteinander zu reden und sich suchend nach allen Seiten umzudrehen. Es war, als hätte gerade jemand verkündet, Justin Bieber würde sich unter der Menge verstecken.

„Was ist denn auf einmal los?", fragte Cassie irritiert.

Ich runzelte die Stirn und versuchte ein paar Fetzten der Gespräche um uns herum aufzuschnappen:

„... Wasser her?"

„Gibt es hier einen...rohrbruch?"

„...kommt das her?"

Mit einem Mal spürte ich wie eiskaltes Wasser meine Schuhe durchtränkte.

Ich blickte auf den Boden und entdeckte den Ursprung der urplötzlichen Aufruhr. Eine Schicht aus Wasser hatte sich über den gesamten Holzboden des Ladens ausgebreitet.

DEATHLY RISING TIDE - STADT DER TAUSEND FLUTENWhere stories live. Discover now