(3) Die Winkelgasse

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KAPITEL 3
Die Winkelgasse

Das neue Leben in England spielte sich langsam ein. Ich lernte unseren kleinen Vorort im Laufe der Wochen kennen; den großen Einkaufsladen, den Park, in dem Familien die paar warmen Tage genossen und all die Menschen, die definitiv keine Zauberer waren. Das war ungewohnt für mich. Zauberer lebten in Deutschland beinahe nie unter Muggeln.

Meine Mutter telefonierte viel, laut eigener Aussage vor allem mit Remus Lupin und anderen alten Schulfreunden, die sie unbedingt wieder treffen wollte. Ich verbrachte die meiste Zeit alleine und telefonierte, wenn Mum gerade eine andere Beschäftigung gefunden hatte, mit Dan und Emilia. In Deutschland hatte die Schule bereits begonnen und es sah danach aus, als hätten sie tatsächlich wichtigere Dinge zu tun, als mit unseren Plänen weiter zu machen.

Zwei Tage vor Schulbeginn sollte es dann nach London gehen, in die Winkelgasse, wo wir laut Mum meine Schulsachen bekommen konnten. Wir mussten eine kurze Reise mit Flohpulver überstehen, dann fand ich mich in einem alten, dunklen Pub wieder.

„Der Tropfende Kessel", begann Mum, „ist im Prinzip der Übergang in die Winkelgasse." Sie seufzte zufrieden.

In dem Pub befanden sich merkwürdige Kreaturen, die man nicht einmal in die Nähe von Schwarzenberg gelassen hätte. Die Männer in einer besonders dunklen Ecke waren mit ihren weißen, ausgemergelten Gesichtern und blutroten Lippen unverkennbar Vampire und wenn ich mich nicht irrte saßen an der Bar zwei Vetteln, die sich leise und wild gestikulierend unterhielten. Geschockt wandte ich mich Mum zu. Die bemerkte mich aber gar nicht richtig.

„Komm, ich zeig dir den Weg in die Winkelgasse", sagte sie und nahm einen Weg durch den gut gefüllten Pub auf die Bar zu. Durch eine unauffällige Tür befanden wir uns schließlich auf einem kleinen, leeren Hinterhof.

„Ich bin beeindruckt", sagte ich und sah mich um.

Mum zog ihren Zauberstab und tippte damit mehrmals an die Mauer. Und plötzlich begannen die Steine sich zu verschieben. Sie bewegten sich zur Seite, bis hinter ihr ein langer, gut besuchter Fußgängerweg zum Vorschein kam.

Die Winkelgasse.

„Lass uns doch mit deinen Büchern anfangen", sagte Mum und als sie sich durch die Menge quetschte, lag ein Ausdruck von purem Glück in ihren Augen.

Die britischen Hexen und Zauberer, die ich auf dem Weg zur Buchhandlung alle nur beiläufig sah, sahen alle ganz anders aus als meine Nachbarschaft. Einige von ihnen sahen sogar ganz klischeehaft schrullig aus, so wie eine alte Hexe mit einem Geierhut auf dem Kopf.

In Flourish & Blotts besorgten wir eine ganze Menge an Schulbüchern; Geschichte der Zauberei, das Lehrbuch der Zaubersprüche Band 5, Verwandlung - Die Zwischenstufen und eine ganze Menge anderer Dinge.

Für Hogwarts brauchte ich außerdem noch tausend verschiedene Zaubertrankzutaten, von denen ich teilweise noch nie gehört hatte. Während Mum irgendwo in den Regalen herumstöberte, versuchte ich, alles zu finden, was auf meiner Liste stand.

Einige andere Schüler mit ähnlichen Listen waren ebenfalls in dem Laden unterwegs. „Gehst du auch nach Hogwarts?" Eine Stimme neben mir ließ mich zusammen fahren. „Ich hab dich noch nie gesehen." Das Mädchen hatte kurze, hellbraune Haare und viele Sommersprossen. Sie sah mich freundlich an.

Nervös drehte ich mich zu ihr. Plötzlich Englisch sprechen zu müssen fühlte sich wie eine unangekündigte Prüfung an. „Ich komme neu nach Hogwarts. In die fünfte Klasse. Ich bin gerade erst nach England gezogen."

„Bist du Deutsche?", fragte sie.

Ich nickte.

„Ich bin Sadie", stellte sie sich vor. „Ich gehe auch in die fünfte", fügte sie dann aufgeregt hinzu.

„Ich heiße Noa", sagte ich und fügte ein unsicheres Lächeln hinzu.

„Wollen wir Nummern austauschen? Dann können wir vor Schulbeginn sogar noch ein bisschen telefonieren."

„Wow, du weißt was ein Telefon ist? Normalerweise benutzen Zauberer das doch überhaupt nicht."

Sadie lachte. „Mein Vater ist ein Muggel." Sie kramte in ihrer Jackentasche und reichte mir zuerst einen Kugelschreiber, dann ihren Arm. Während ich meine Nummer auf ihren Arm kritzelte, sah ich Mum, die mir aus ein paar Metern Entfernung zugrinste.

„Danke", rief Sadie, bevor sie sich mit einem vollen Korb im Arm auf den Weg Richtung Kasse machte.

„Ich hab dir doch gesagt dass du jemanden finden wirst", sagte Mum, als ich zehn Minuten später alle Zutaten beisammen hatte und wir uns auf zur Kasse machten.

Ich legte stumm das Geld auf den Tresen. Ich war mir immer noch nicht ganz sicher, was diese Freunde-Sache anging, aber immerhin konnte ich mir nun schon annähernd vorstellen, wer meine Mitschüler sein würden.

„Was hältst du davon, wenn wir uns jetzt erst einmal einen großen Eisbecher gönnen?" Mum verstaute meine Einkäufe grinsend in einem ihrer Stoffbeutel.

„Eis klingt super", stimmte ich zu und zwanzig Minuten später saßen wir im Eiskaffee an unserem Platz und schlugen uns die Bäuche voll, während das ausgemergelte Gesicht von Sirius Black von einem Fahndungsposter auf uns hinab starrte.

Mum hatte sich absichtlich mit dem Rücken zu dem Bild gesetzt.

Der Besitzer des Eiskaffees, Florean Fortescue, war offensichtlich ebenfalls so eine Art alter Bekannter Mums. Jedes Mal, das er bei unserem Tisch vorbei kam, plauderten die bei kurz, also beschäftigte ich mich damit, einen Blick in meine Bücher zu werfen. Einige Dinge darinnen sahen extrem kompliziert aus und ich fragte mich ernsthaft, wie ich Fächer wie Verwandlung meistern sollte. Es war einige Zeit her gewesen, dass ich das letzte Mal im Unterricht gesessen hatte.

„Übermorgen ist es dann so weit", brachte ich in einer ruhigen Minute hervor. „Ich frage mich, in welches Haus ich kommen werde."

Meine Mum war in Gryffindor gewesen und ich wusste auch, dass die anderen drei Häuser Slytherin, Hufflepuff und Ravenclaw hießen - ich hatte aber überhaupt keine Ahnung, was ich davon erwarten sollte.

„Dumbledore hat mir erzählt, dass auch noch zwei andere ältere Schüler neu nach Hogwarts kommen.", begann Mum. „Du wirst also nicht die einzige unter Erstklässlern sein, die übermorgen zum Sprechenden Hut muss." Sie lächelte ermutigend. „Welches Haus auch immer es wird, es wird das richtige für dich sein."

Ich zögerte einen Moment. „Onkel Michael", murmelte ich dann, „war er auch in Gryffindor?"

Mum schluckte. „Er war ein Hufflepuff.", sagte sie und tat so, als wäre sie unendlich mit dem Eisessen beschäftigt. Ich entschied mich, nichts mehr dazu zu sagen. Sie sprach nicht gerne über ihren älteren Bruder.

Auch als wir als letzten Punkt auf meiner Einkaufsliste noch einen Umhang kauften, wirkte sie etwas abwesend. Ich nahm es ihr nicht wirklich übel. Der Umhang war schnell besorgt und Mum gab mir etwas Geld um mir irgendeine Kleinigkeit zu kaufen, während sie noch in einen anderen Laden musste. Ich musste mich zurückhalten, um nicht irgendeine neugierige Frage zu stellen. Ich tat es nur deshalb nicht, weil ich wusste, dass ich sowieso keine Antwort bekommen würde.

Mein ganzes Geld gab ich in einem Scherzartikelladen namens Freud und Leid aus und kaufte mir irgendwelchen sinnlosen Schnickschnack.

Mum traf ich gegen Nachmittag im Tropfenden Kessel wieder. Sie sah irgendwie durcheinander aus. „Alles okay bei dir?" Ich begann, mir etwas Sorgen zu machen.

„Die Sache mit Michael", flüsterte sie. „Keine Ahnung, dieses Thema ist ... ich kann es mir einfach immer noch nicht erklären. Er war nicht so. Und manchmal habe ich das Gefühl, dass jeder, der mir wichtig ist, am Ende doch irgendwie ein zweites Gesicht hat."

SINISTER || Harry Potter FFWhere stories live. Discover now