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Die Treppenstufen schienen anstrengender und länger als sonst. Mein Körper wehrte sich regelrecht dagegen, jetzt den Weg ins Innere der Schule zu gehen. Ich wusste genau, dass mir, sobald ich das Gebäude erst einmal betreten hatte, ein Treffen mit Clarke nicht erspart bleiben würde. Mir war verdammt flau im Magen und ich spürte meinen schnellen Herzschlag hart gegen meine Brust hämmern. Nachdem ich einmal kräftig geschluckt hatte, ohne den Kloss in meinem Hals erfolgreich loszuwerden, stiess ich die gläserne Eingangstür auf und trat in den breiten Gang. Er war rechts und links von Spinden gesäumt, denen ich sonst nie Aufmerksamkeit schenkte. Aber in dem Moment der Angst, der mich überkam, jetzt, da ich Clarke immer näher kam, waren sie unglaublich interessant. Also sah ich mir jedes kleine Grafitti genau an, machte ein Spiel daraus, herauszufinden, wem welcher Kasten gehörte.

Auf einem prangten viele verschiedene Sticker von irgendwelchen Rockbands, die mir persönlich nichts sagten, und so bemerkte ich triumphierend, dass in diesem Spind Coreys Bücher liegen mussten. Er war ein Junge in der Klasse über mir, der oft die Flyer seiner eigenen Band an den schwarzen Brettern unserer Schule befestigte. Ausserdem hatte er einige dieser Sticker auch auf sein Motorrad geklebt, mit dem er jeden Morgen zu spät zur Schule kam.

Matt zog mich aus meinen Gedanken wieder in die wirkliche Welt hinein. Er musste bemerkt haben, dass ich nur Zeit schinden wollte, um mich von Clarke und meiner brenzligen Lage abzulenken, und stupste mich jetzt ein wenig zur Seite. Reflexartig warf ich ihm einen empörten Blick zu, der sich aber sofort in eine klägliche Miene verwandelte. Ich wollte sie nicht sehen, aber ich wollte sie unbedingt sehen. Das ergab zwar überhaupt keinen Sinn, aber so fühlte ich mich. Ich wollte ihre Stimme hören und sie zum Lachen bringen. Doch ich wollte nicht, dass sie etwas merkte, und das würde sie bestimmt, denn ich war einfach zu leicht zu durchschauen. Mein Bruder erwiderte den Blick mitleidig, drückte ermutigend meinen Arm und ging dann nach rechts, zu den Chemielaboren. Jetzt war ich auf mich allein gestellt. Ich seufzte angespannt und setzte den Weg zu meinem Spind fort.

Die Nervosität, die Matt draussen erfolgreich ein bisschen abgebaut hatte, war wieder zurückgekehrt und jetzt noch heftiger als zuvor. Ich ballte meine Fäuste, um meine Atmung etwas in den Griff zu bekommen und merkte, wie sehr ich an den Handflächen schwitzte. Hastig wischte ich mit den Händen über den Stoff meiner Jeans und hoffte einfach, dass es niemandem auffallen würde. Ich verfluchte mich selbst und mein viel zu emotionales Denken. Andere könnten diese Situation einfach überspielen und so tun als wäre nichts. Sich eben komplett normal verhalten. Aber ich nicht. Der Weg bis ans Ende des Ganges kam mir vor wie eine Ewigkeit. Endlich am Ziel angekommen, gab ich die Kombination meines Spindes zweimal falsch ein, bevor dann endlich die kleine Tür aufsprang und den Blick auf meine Schulbücher freigab. Ich wusste nicht einmal, welches Fach ich jetzt hatte. Was war eigentlich für ein Tag? Verfluchte Gefühle, meine Konzentration war vollkommen im Eimer. Gerade als ich mein Handy hervorholte, um den Stundenplan anzuschauen, hörte ich ihre Stimme. Sie lachte.

Scheisse, ihr Lachen klang so toll. Dann hörte ich Livs Stimme, die, ebenfalls lachend, etwas erzählte. Ein Stechen in meiner Brust liess mich kurz erschaudern und meinem Spind etwas zu ruckartig schliessen. Dann drehte ich den Kopf nach rechts, woher ihre Stimmen durch den, noch immer, leeren Gang hallten, und wurde sofort fröhlich begrüsst. "Hey Sky, alles gut?", fragte Clarke und umarmte mich, wie immer, etwas länger als normal. Der angenehme Geruch ihres Shampoos schwebte mir entgegen, umhüllte mich für einen Moment, bis wir uns voneinander lösten. Als sie danach wieder einen Schritt zurück ging, nahm sie auch die beruhigende Wärme mit, was mich ein bisschen enttäuscht zurückliess. Und offensichtlich auch sprachlos. Was, wenn ich etwas Falsches sagte? Am liebsten hätte ich ihr einfach die Situation auf dem Silbertablett präsentiert. 'Clarke, ich steh auf dich. Dachte du solltest das wissen.' Aber das lag zu null Prozent drin, und das nicht nur, weil Liv daneben stand. Clarke durfte es nie erfahren. Ich konnte also nur nicken und schaute kurz zu Liv, dann sofort wieder auf den Boden. Sie hatte mich freundlich angelächelt und zur Begrüssung genickt, trotzdem konnte ich sie in diesem Moment wirklich nicht ausstehen. Ja, ich war eifersüchtig, okay. Dieses Mädchen, so lustig und hübsch, war an der Stelle, an der ich sein wollte. Mir fiel nicht auf, wieviel Zeit inzwischen vergangen war, und auch nicht, dass mich die beiden irgendwie abwartend musterten. Dann brach Clarke, ein wenig verwirrt, die Stille und richtete die Tasche, die über ihrer Schulter hing. "Äh okay, wir müssen noch in die Cafeteria. Wir sehen uns...?" Sie klang skeptisch und sah mich, auch als sie sich schon wieder in Bewegung gesetzt hatten, fragend an.

Ich bejahte leise, nickte und lehnte mich, enttäuscht von mir selbst, an meinen Spind. Sie hatte gemerkt, dass etwas faul war, na ganz toll. Ich hatte mich aber auch sehr auffällig benommen. Sonst redete ich wie ein Wasserfall, vor allem in ihrer Nähe, da sie mir das Gefühl gab, ich könnte ihr alles sagen. Aber gerade hatte ich keinen ganzen Satz herausgebracht und das war genauso unwahrscheinlich wie eine fliegende Kuh. Ich seufzte noch einmal. Meine beste Freundin hatte ihren Kopf nun wieder nach vorne gedreht und war erneut in ein angeregtes Gespräch mit Liv vertieft. Ich sah ihnen hinterher, versuchte es nicht einmal zu verbergen. Hier war sowieso niemand, ausser ein paar Jungs aus dem Technik-Club, die sich aber nur auf ihren Weg und eine unglaublich langweilig klingende Konversation über die Lichtgeschwindigkeit konzentrierten. Clarkes blonde Haare trug sie in einem Pferdeschwanz, der verdammt ordentlich war. Sie machte sich jeden Morgen einen, da hatte man bestimmt schnell den Dreh raus. Sie trug eine blaue Jeans und einen schwarzen Pullover, ihre Hände, wie immer, in der Bauchtasche vergraben. Verstohlen betrachtete ich, wie toll die Jeans sich ihrer Figur und, vor allem, ihrem Hintern, anschmiegten. Das war doch verrückt, ich konnte doch nicht einfach so unverhohlen auf den Arsch meiner besten Freundin starren. Jendenfalls nicht in so einem Kontext. Also wand ich schnell meinen Blick ab und liess ihn zu ihrem Gesicht wandern. Die zwei kleinen Ohrringe, die sie immer trug, blitzten im hellen Licht kurz auf und auch ihre Augen leuchteten, aber auf eine natürliche Art und Weise. Weil sie lachte, aufrichtig und voller Freude. Wieso hatte ich nie gemerkt wie hübsch sie eigentlich war?

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