Kapitel 3

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Ohne große Bedenken kam ich Zuhause an und vernahm leise Stimmen aus den Wohnzimmer. Komischerweise fühlte ich mich nicht unwohl, wie sonst, wenn ich nach Hause kam. Wahrscheinlich, weil ich wusste, dass keine böse Überraschung auf mich wartete. "Sofia?", rief Ian. "Bist du das?" Allerdings war es merkwürdig, dass er tatsächlich pünktlich Zuhause war. Sein neuer Job nahm ziemlich viel Zeit in Anspruch, wofür er wahrscheinlich sehr dankbar war. Seit ein paar Monaten ging er dann auch mal für ein paar Tage auf Montage, so wie er es nannte. Jedes Mal wenn er zurück kam, schien er ein wenig kälter zu werden.

Als würde er etwas tun, was ihn von Zeit zu Zeit immer mehr abhärtete. Doch wir standen uns leider nicht mehr so nah, dass ich ihn einfach danach fragen konnte. Ich log ihn schließlich auch regelmäßig an. Nachdem ich meine Schuhe ausgezogen hatte, folgte ich dem Klang der leisen Stimmen, die aus dem Wohnzimmer kamen. Umso näher ich kam, desto klarer wurden die Stimmen und ich konnte hören, dass mein Bruder sich mit einem Mann unterhielt. Klar, mein Bruder war auch ein Mann geworden und seine Stimme war auch unfassbar tief, aber irgendwie konnte ich ihn nicht so wahrnehmen.

Mit meinen 18 Jahren war ich ja schließlich fast noch ein Kind. Mein Unbekümmertheit verließ mich mit jedem Schritt, den ich dem Wohnzimmer näher kam und meine Unsicherheit nahm immer mehr von mir ein. Schließlich stand ich schüchtern in der Tür und begrüßte beide mit einem sehr leisen Hallo. "Da bist du ja. Ich dachte schon, du wärst mal wieder verloren gegangen." Wusste er, dass ich gerne mal den Bus nach der Schule nicht nahm? Meistens war er doch gar nicht Zuhause und ich dachte nicht, dass er es überhaupt bemerkt hatte.

Allerdings dachte ich auch an seine Worte von heute morgen zurück, wo er mich auf einmal herum zu kommandieren versuchte. Ich sagte nichts dazu und nickte einfach. "Das ist Aiden.", sagte Ian dann und lenkte meine Aufmerksamkeit auf seinen Freund. Dieser saß zurückgelehnt auf dem Sofa, hatte seinen Fuß auf seinem Knie liegen und sah mich mit leicht schief gelegten Kopf an. "Setz dich doch", bot dieser dann auch schon an. Aiden hatte dunkel braunes Haar und stechend blaue Augen, die mich irgendwie einschüchterten. Ich wollte aber alles andere, als mich zu ihnen zu setzen.

Außerdem war ich mir sicher, dass er es mir bloß aus Höflichkeit angeboten hatte. Er trug eine schwarze Jeans und dazu ein schwarzes Hemd, was ihn in eine dunkle Aura hüllte. "Schon okay. Ich muss noch lernen, oder sowas", murmelte ich. Sollten sie doch lieber ihre Unterhaltung über Autos fortführen, oder über was auch immer Männer so redeten. Noch dazu fand ich Aidens Blick mehr als unangenehm und ich hatte das Gefühl als würden seine Augen immer noch auf mir liegen. Ein eiskalter Schauer lief mir über den Rücken und ich schüttelte mich.

In meinem Zimmer fühlte ich mich gleich viel besser und sicherer. Sicherer? Christopher war doch gar nicht Zuhause. Oder fühlte ich mich von Aiden bedroht? Schon möglich. Immerhin hatte er eine angsteinflößende Ausstrahlung und dann kamen noch seine gruseligen Augen dazu. Ein kräftiges Klopfen riss mich aus meinen Gedanken und ohne auf eine Antwort zu warten, kam derjenige auch schon rein. "Ist was?", fragte ich schnippisch. Eigentlich gab es für mich keinen Grund schnippisch zu sein, aber es war eine Art Schutzmechanismus geworden, denn dann ließen mich für gewöhnlich alle in Ruhe.

Aiden schloss hinter sich die Tür und lehnte sich an diese. "Ich konnte es kaum abwarten dich zu sehen. Du bist noch hübscher geworden, seit ich dich das letzte Mal gesehen habe." Verwirrt von seinem merkwürdigem Kompliment zog ich die Augenbrauen zusammen und beäugte ihn kritisch. Was sollte das denn heißen? Wie lange war das denn bitte her, dass ich mich nicht einmal mehr daran erinnerte? Völlig perplex konnte ich mich nicht von der Stelle rühren, selbst als er immer näher auf mich zukam. "Ich habe so lange auf dich gewartet.", hauchte er und strich mir eine Haarstähne aus dem Gesicht.

Er war mir so nah, sodass sich unsere Nasenspitzen fast berührten. Aiden war locker einen Kopf größer als ich, sodass ich meinen Kopf leicht in den Nacken legen musste, um ihn anzusehen. Doch seine Nähe war mir unangenehm, weswegen ich ihn von mir weg stieß. "Ich schrei-e", sagte oder wohl eher krächzte ich. Meine Stimme ließ mich in Stich. "Tust du nicht." Hilfesuchend sah ich zur Tür und hoffte, dass mein Bruder irgendwie spürte, dass irgendwas nicht stimmte. Doch es kam keiner herein. "Du wirst mir nicht entkommen."

No escape from the MafiaWhere stories live. Discover now