Kapitel 36

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"Ich will doch nur für dich da sein.", hörte ich sie zu Aiden sagen. Wütend stampfte ich die Treppen runter und blieb neben Aiden stehen. "Was tut sie hier? Was tust du hier?!", fragte ich erst an Aiden gerichtet und dann an sie selbst. "Keine Sorge, ich bin nicht wegen dir hier.", antwortete sie hochnäsig. "Das hätte ich auch nicht erwartet. Also, was willst du hier?" "Ich wollte Aiden selbstverständlich zur Beerdigung begleiten." "Ihn zur.. Was für eine redest du da? Verpiss dich lieber, bevor ich dich als mein Trauerboxsack benutze. Und ich schwöre dir, dann kannst du dir direkt mit ein Grab schaufeln lassen.", drohte ich. "Drohst du mir etwa?", fragte Chloe, die tatsächlich hier war und nicht nur Einbildung.

"Glaub mir Schätzchen, wenn ich dir drohen würde, würdest du es merken. Ich verspreche dir, dass ich dich eigenhändig umbringen werde, wenn du nicht sofort verschwindest." "Aiden hast du das gehört? Das würdest du doch nicht zulassen oder? Jetzt siehst du endlich mal ihr wahres Gesicht! Sie ist nicht das unschuldige, kleine Mädchen für das sie sich ausgibt! Sicherlich hat sie ihre Mutter so sehr gestresst und genervt, dass sie diesen Herzinfarkt bekommen-", noch bevor sie zuende reden konnte, landete meine Hand in ihrem Gesicht. "Wag es nicht, noch einmal so über meine Mutter zu sprechen, du respektloses Weibsbild!", sagte ich in einem ruhigen, bedrohlichen Ton.

Sofort veränderte sich ihre Haltung. Das schien wohl weh getan zu haben. "Chloe es wäre wohl das beste, wenn du nun gehst. Niemand möchte dich hier haben. Besonders nicht heute. Sei froh das ihr die Hand ausgerutscht ist und nicht mir.", mehr sagte Aiden nicht mehr zu ihr, bevor er mich am Rücken wieder rein schob und die Tür vor ihrer Nase schloss. "Sie macht mich so wütend. Ich würde sie am liebsten umbringen", fluchte ich ausser mir vor Wut. "Heute ist ein emotionaler Tag für dich. Ich weiss nur noch nicht, was besser ist. Wenn du wütend bist oder traurig.", gab er zu. "Seid ihr fertig?", fragte Ian, der gerade aus der Küche gekommen war.

Er trug einen schwarzen Anzug, genau wie Aiden, was mir jetzt erst so richtig auffiel. "Für eine Krawatte habe ich heute keinen Nerv", stöhnte er. "Nur, weil du sie dir nicht selbst binden kannst.", lachte Aiden. Sogar ich musste leicht schmunzeln. "Da hast du ausnahmsweise Mal recht. Also sollen wir dann los?", fragte mein Bruder. "Klar. Lass uns gehen." "Ich nehme dann Elly mit. Oder sollen wir alle mit einem Auto fahren?" "Lass uns lieber getrennt fahren.", beschloss Aiden. Ian nickte bloß und ging zurück in die Küche, wahrscheinlich um nach Elly zu sehen. Es freute mich, dass sie mitkommen würde, obwohl sie meine Mutter eigentlich nicht kannte.

Aber es bedeutete mir eine Menge. Auf dem Weg zum Friedhof wurde ich immer nervöser. Wie viele Menschen waren wohl gekommen? Waren überhaupt welche da? Natürlich waren welche da! Meine Mutter hatte eine große Familie und sicherlich war auch meine Familie väterlicherseits gekommen. Aber waren auch Freunde da? Oder Arbeitskollegen? Wie sollte ich die ganzen Leute gegenüber treten? "Hey. Du schaffst das", ermutigte Aiden mich, der wohl bemerkte, wie unruhig ich wurde. Selbstverständlich waren wir die ersten, die da waren. Aiden und Ian mussten noch ein paar Sachen mit dem Pastor besprechen, was aber recht schnell ging.

Als sie sich unterhielten schaltete ich einfach ab. So langsam kamen die ersten Leute zur Kapelle, die ich mit einem Handschütteln begrüßte, da ich sie nicht kannte. Sie stellen sich uns als Arbeitskollegen meiner Mutter vor und sprachen uns ihr Beileid aus. Ein paar Familienmitglieder waren ebenfalls bereits gekommen. Ich hielt das nicht länger aus und ging auf den Friedhof, um vor allen mal ein paar Minuten zu flüchten. Aiden ließ mich gehen, was wohl hieß, dass er mir diese minimale Auszeit gönnte oder ich mich hier nicht in irgendeiner Gefahr bestand. Ich meine, wer war denn so respektlos und wurde auf einer Beerdigung eine Schießerei beginnen?

Oder vor was auch immer er mich beschützen wollte. Ich lief durch die verschiedenen Reihen bis ich an meinem Ziel ankam. Das Grab meines Vaters sah sehr schön aus. Es waren frische Blumen da und eine Kerze brannte. Es war wohl nicht all zu lang her, als jemand hier war. Ich kam nicht oft hierher. Nicht einmal am Todestag, immer wenn ich an ihn dachte oder mir einfach danach war, machte ich eine Kerze an. Nur um an ihn zu denken oder mich ihm nah zu fühlen, musste ich nicht auf den Friedhof gehen. "Hier bist du ja! Die Zeremonie beginnt gleich.", sagte plötzlich Ian. "Ich komm ja schon", sagte ich genervt. Doch eigentlich wollte ich nicht da rein.

All die trauernden Gesichter würden zu viel für mich sein. Jedem ins Gesicht zu sehen und vor ihnen zu trauern lag mir nicht. Ich wollte nur allein sein und für mich selbst trauern. Aber ich hatte ja gemerkt, wie das geendet hatte. Elly Worte hallten mir durch den Kopf. Meine Mutter wird für immer in meinem Herzen und in meinen Erinnerungen weiter leben. "Bist du bereit?", fragte mich Ian vor der Tür der Kapelle. Ich sah ihn nur mit einem vielsagenden Blick an. "Ich auch nicht", gab er zu und öffnete die Tür. In der ersten Reihe waren noch genau zwei Plätze frei. Ich setzte mich neben Aiden und Ian neben Elly.

Der Pastor begann mit der Rede, was meine Mutter für ein Mensch war und schon da konnte ich die Tränen nicht zurückhalten. "Wie ihr alle wisst, konnte man sich immer auf Olivia verlassen. Sie war für wahrscheinlich jeden, der hier nun sitzt, um ihr die letzte Ehre zu erweisen, etwas sehr besonderes. Egal ob Arbeitskollegin, Freundin, Ehefrau oder Mutter. Sie war etwas besonders und wird das auch für immer sein. Nichts wird rückgängig machen können, was passiert ist. Und der Schmerz wird auch niemals weniger werden, denn uns wurde ein viel zu toller Mensch, viel zu früh genommen."

Ich lauschte den Worten des Pastors und wollte eigentlich nur hier weg. "Sie wird von oben auf uns herab schauen und auf ihr Leben mit Stolz zurück blicken. Wohl kaum jemand hatte in so jungen Jahren so ein erfülltes Leben wie sie. Eine glückliche Ehe, einen tollen Job und zwei wunderbare, erwachsene Kinder. Wir werden sie auf ewig vermissen, als Freundin und besonders als Mutter.", beendete er seine rede. Das Klavier erklang und spielte die Melodie irgendeines Trauerliedes. Mamas Lieblingslied hätte auch kaum hier rein gepasst, obwohl es ihr gefallen würde. Schnell wischte ich mir die Tränen aus dem Gesicht und versuchte neu aufkommende Tränen zu unterdrücken.

Während die Melodie gespielt wurde, kamen sechs, schwarz gekleidete Männer herein. Alle trugen weiße Handschuhe. Sie gingen zum Sarg meiner Mutter und hoben ihn hoch. Eine Tür zum Friedhof, die ich vorher gar nicht gemerkt hatte, ging auf und das war nun der Augenblick aufzustehen. Meine Körper fühlte sich taub an und ich folgte dem Sarg, während ich mich dicht an Aiden presste. "Fang mich, wenn ich fall, okay?", flüsterte ich ihm zu. "Du wirst nicht fallen.", sagte er und sah mich eindringlich an. Ich vertraute auf seine Worte und lief still weiter. Vor einem Loch im Boden blieben wir stehen, der Pastor sagte noch ein paar Worte.

Doch ich konnte mich nur wahrnehmen, wie sie den Sarg meiner Mutter langsam in dieses Loch sinken ließen. "Sie können sich nun noch einmal von Olivia verabschieden.", sprach der Pastor nun das allerletzte Wort zu uns und machte sich dann aus dem Staub. Ian nahm meine Hand und sah mich mit Tränen in den Augen an. "Komm", sagte er. Zusammen gingen vor nach vorn, stellten uns vor dem Loch im Boden und sahen auf den Sarg hinab. Ian nahm sich die kleine Schaufel, die vorbereitet neben dem Loch auf einem Teller mit Erde lag. Vorsichtig ließ er die Erde auf den Sarg fallen. "Wir sehen uns, Mama", sagte er leise. Auch ich nahm mir etwas von einem Teller.

Doch es war eine weiße Tulpe. Auch diese warf ich auf den Sarg. Doch ich konnte keine Worte aussprechen. Meine Beine schienen mich nicht mehr halten zu wollen und ich sank auf die Knie. "Ich liebe dich so sehr, Mama.", schluchzte ich. Schneller als erwartet stand Aiden neben mir, half mir auf und warf auch selbst eine Tulpe hinunter. Dann begleitete er mich und Ian etwas zur Seite um auf die restlichen Gäste zu warten. Nach und nach gingen alle nach vorne und warfen entweder Erde oder Tulpen in das Grab. Dann kamen sie zu uns und sprachen uns nocheinmal ihr Beileid aus. Aber das bekam ich nur am Rande mit.

Ich versuchte die ganzen Menschen einfach auszublenden. "Du hast es geschafft. Das schlimmste hast du hinter dir. Nun wird es leichter.", versuchte Elly mich ein wenig aufzumuntern, was natürlich so überhaupt nicht funktionierte. "Können wir gehen?", fragte ich, aber erwartete gar keine Antwort. Denn ich machte mich ohne noch einmal zurück zu sehen auf dem Weg zum Auto. "Sofia, kannst du mit Ian fahren? Ich muss ganz dringend weg.", hielt Aiden mich dann doch zurück. "Du arbeitest? Heute?", fragte ich fassunglos. Ich hatte gehofft, er wäre heute für mich da. "Ich beeil mich.", versprach er und gab mir einen Kuss auf den Kopf. Seufzend machte ich mich auf dem Weg zu Ians Auto.

"Sollen wir dich erst Zuhause absetzen? Wir wollten noch zur Raue gehen." "Ja, ich möchte nach Hause." Jetzt noch zusammen mit allen Kuchen essen? Nein, danke. Irgendwie kam es mir doch gelegen, dass Aiden weg war, so konnte ich mich wenigstens mal ungestört von allen zurückziehen, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben. "Bist du dir sicher? Oma und Opa werden sicher auch dort sein." "Ian, ich möchte nicht", sagte ich noch einmal mit Nachdruck in der Stimme. Ergeben nickte er. Ich hielt noch schnell ausschau nach Aidens Auto, aber er war schon weg. Hoffentlich beeilte er sich wirklich, wie er versprochen hatte...

No escape from the MafiaWhere stories live. Discover now