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Ich rannte. Über die Straßen, zwischen Menschen auf dem Gehweg hindurch zu meinem Ziel. Es waren noch einige Meter bis dahin. Ich war schon außer Atem und meine Füße gaben nach, doch ich rannte weiter mit dem Blumenstrauß in der Hand. Weiße Rosen. Die Verkäuferin, die diese Rosen zusammengebunden hatte inklusive einigen Blättern und Sträuchern, hatte ein schönes Ergebnis hinterlassen. Wenn es sein musste, würde ich alle zwei Wochen wieder dort auftauchen, um dieselben Rosen zu kaufen, um sie an seinem Grab zu hinterlassen. Wie konnte mir mein Vater das nicht früher sagen? Wie konnte er nur davon ausgehen, dass ich ihn schon längst vergessen hatte? Wieso hatte es mir keiner von Yugyeom's Freunden erzählt? Jackson?  Er war dabei, als Yugyeom den ganzen Weg von Seoul nach Incheon kam, nur um mit mir zu reden. Hatte sein Hirn dieses Ereignis nicht speichern können? Wie zum Teufel könnte ich aufgehört haben ihn zu lieben? Wie würde er es auf die Reihe bekommen Mark zu verlieren? ''Pass doch auf, Junge!'', nehme ich eine schimpfende männliche Stimme wahr, an der ich soeben vorbeigerannt bin. Ich ignoriere die Mahnung wie alle anderen zuvor. Mit dem Bus wäre es schneller gewesen, denke ich. Aber ich war schon längst zu spät.

Von weitem sehe ich traurige Gesichter, die in Autos steigen und sogleich abfahren. Das ganze Szenario signalisiert mir, dass es vorbei ist, die Beerdigung. Meine Schritte werden automatisch langsamer. Ich erkenne eine Gestalt auf einer Bank, die mit dem Rücken zu mir zeigt und seine Freunde, Yugyeom's Freunde. Sie tragen alle Schwarze oder dunkelbläuliche Anzüge passend zum Anlass. Mein Vater sagte mir, er sei von einem höheren Gelände gefallen, sodass sein Körper und sein Hirn so sehr beschädigt wurden, dass man nichts mehr dagegen tun konnte, als zu warten, bis er aufwachte. Doch das geschah nicht. Es war kein Selbstmord, ein Unfall. Das letzte Mal, als ich ihn gesehen hatte, war in der Schule, als ich ihn angeschrien hatte, dass er gehen soll. Ich hatte meine Chance verpasst, ihm zu sagen, was ich empfinde. 

Seine Freunde erkannten mich, ich hatte das Grab fast erreicht. Etwas in mir freut sich, sie zu sehen, aber nicht in diesem Zustand, nicht zu diesem Anlass. Ich konnte kein Lächeln bringen. Youngjae hatte noch getrocknete Tränen an seiner Wange, den anderen ging es nicht anders. Einer von ihnen sagt mir, dass ich zu spät bin. Ich bin so benommen und überwältigt von der Realität. Sie ist direkt vor meinen Augen. Das Grab zwingt mich förmlich hinzusehen, dass hier meine erste und letzte Liebe unten begraben liegt. ''Wieso bist du hier!?'' Diese mürrische Stimme konnte ich nicht überhören. Ich konnte sie einer ganz bestimmten Person zuordnen. Von selbst drehte ich mich um und sah eine Faust auf mich zu kommen, woraufhin sich meine Augen weit aufrissen. Irgendjemand hatte ihn noch rechtzeitig von mir weggezogen. ''Bleib ruhig Jinyoung. Alles-'' ''Lass mich los!'', zischte er. Jackson stand hinter ihm und hielt seine Arme fest zusammen. Mark schloss sich ihm an und versuchte ihn zu beruhigen. Ich wandte mich wortlos und unter Schock dem Grab wieder zu und kniete mich hinunter, um den  Strauß in meiner Hand auf einen freien Platz am Grab zu legen. Während ich Jinyoung im Hintergrund wahrnehme, spüre ich eine Hand auf meiner Schulter liegen wie auch meine Tränen in meinen Augen kommen. ''Du bist nicht alleine.'', höre ich Youngjae sagen. Ich habe jemanden verloren, den ich nie hatte. ''Er hat dich geliebt.'', flüstert Youngjae und lächelt schwach. Durch meine Tränen durchnässten Augen erkenne ich meine Umgebung unscharf. ''Falsch!'', ruft Jinyoung. ''Wenn er das getan hätte, wäre er bei dir geblieben! Und war er es? Nein!! Wenn er jemanden geliebt hat, dann mich!'', meint er. Plötzlich werde ich nach von hinten hochgezogen. Er packt mich an den Kragen, sodass ich gezwungen bin, ihm ins Gesicht zu sehen. Alles in meinem Kopf dreht sich. Mir ist übel, schlecht und gleichzeitig spüre ich einen stechenden Schmerz in meiner Brust. ''Du hast es nicht nötig hier zu sein! Den letzten Menschen, den er jemals zu Gesicht haben wollte, bist du!'' Diese Worte spuckt er mir förmlich ins Gesicht und ich höre sie laut und klar genug. Er zieht nochmal stark an meinem Kragen. Die anderen im Hintergrund sind wie vom Erdboden verschluckt worden. Ich erkenne nur Jinyoung, wie er mir Worte ins Gesicht schreit. ''Wenn er dich jemals geliebt haben sollte, war es nicht echt. Gar nichts.'' Er lässt mich los und ich bekomme das Gefühl, wieder richtig atmen zu können. Ich stolpere einige Schritte zurück und muss mich letztlich auf dem Boden abstützen. ''Weißt du eigentlich wie erbärmlich du bist? Er hat dich aus Mitleid gemocht. So getan, als sei er dein Freund. Und in Wirklichkeit.. weißt du, wie es wirklich war? Er hat dich gehasst! Hörst du?!'' Ich weiß, dass er noch etwas sagt. Ich weiß, dass meine Tränen nicht aufgehört haben zu fallen wie ich es selbst bin. Ich fiel vor ihm zusammen, ein Haufen elend. Ich bekomme keinen Ton raus, aber alles in mir schreit wie verrückt. Er kommt auf mich zu, um mich zu treten, doch auf einmal wird mir schwarz vor Augen, ohne, dass er mich vorher berührt hat. 

Pov; Yugyeom

Als ich langsam zu mir komme, sehe ich im schwachen Sonnenlicht, welches durch meine Jalousien scheint, eine Gestalt davor stehen. Erst bin ich verwirrt, aber dann fällt mir ein, wer es ist, wer die nachtlang neben mir lag. Ich gebe einen gähnenden Laut von mir, während ich mich aufrichte und strecke. ''Hast du gut geschlafen?'', fragte ich ihn. Er rührte sich nicht, als hätte er weder wahrgenommen, dass ich wach war oder dass ich eine Frage stellte. Besorgt stand ich auf und ging auf ihn zu. ''Bambam?'' Es war beängstigend, ihn so zu sehen. ''Guten Morgen.'', flüsterte er mit rauer Stimme und sah mich an. Ich erkannte die dunkleren Augenringe unter seinen Augen. Sein ganzes Gesicht hinterließ einen sehr münden und unausgeschlafenen Eindruck. ''Wie lange bist du schon wach??'', fragte ich verwirrt. ''Nicht lange.'', meinte er und lächelte leicht. Augenblicklich umarmte er mich. Ich erwiderte die Umarmung, auch wenn ich nicht wusste, wieso. Die Frage lag mir schon förmlich auf der Zunge, doch ich wollte diesen Moment nicht zerstören. Für uns beide nicht. Er würde es mir schon sagen. 

«Forget It» || YugbamWhere stories live. Discover now