Flucht

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Der Mondschein erhellte ihnen den Weg und noch nie in ihrem Leben war Yvette so schnell gerannt. Außer vor Zehn Jahren, als sie mit dem kleinen Giuan auf dem Arm davon lief. Es ist beinahe die gleiche Situation wie vor Zehn Jahren. 

"Mutter wohin gehen wir?" fragte Giuan, während er fest die Hand seiner Mutter hielt. Auf seinem Rücken trug er zwei Beutel mit seinen Sachen darin.

"Fort. Bitte lauf weiter Giuan, wir dürfen nicht stehen bleiben." Ihre Stimme war ruhig, und doch konnte Giuan die Besorgnis darin hören. Ohne wirklich zu wissen wohin rannte sie mit ihrem Sohn davon. Sie passierten den Markt Platz so wie die Taverne und bald schon konnte Yvette die Stadt Tore und den daran grenzenden Wald ausmachen. Dort könnten sie sich verstecken und sich ein wenig erholen, doch der Weg bis dorthin würde noch eine Weile dauern. Sie hoffte Giuan würde bis dahin durchhalten. Yvette war das Rennen gewohnt gewesen, bevor der Pater und die Kirche sie aufgenommen hatten lebte sie eine Weile auf der Straße, und natürlich war das für die meisten Männer ein gefundenes Fressen. Fast jeden Abend und jede Nacht musste sie vor den Männern fliehen, das kam ihrer Ausdauer zugute. Giuans kleine Beine überschlugen sich beinahe als er versuchte mit seiner Mutter Schritt zu halten. Er hatte gehört was der Mann und ihre Mutter gesagt hatten, dass er nicht Yvettes leiblicher Sohn war. Tief in seinem Herzen hatte er es schon länger gewusst. Er sah seiner Mutter überhaupt nicht ähnlich, doch er versuchte sich immer zu sagen, dass er das Aussehen seines Vaters geerbt hatte. Doch das waren nur Ausreden für ihn gewesen um nicht traurig zu sein, oder vielmehr um der Wahrheit zu entgehen. Für ihn spielte es keine Rolle, doch natürlich stellte sich ihm die Frage wer seine Eltern waren und wieso Yvette ihm nie die Wahrheit gesagt hatte. Er war erst Zehn Jahre alt doch er konnte auch ihre Gefühle verstehen. Wenn seine richtigen Eltern in Zusammenhang mit diesem gefährlichen Mann standen der seiner Mutter weh getan hatte, dann war es wohl möglich das Beste gewesen nicht zu wissen wer sie waren. Die Stadt Tore kamen immer näher, doch der Kleine konnte nicht mehr. Yvette kniete sich vor ihn als er nach Luft rang.

"Es tut mir leid Mutter..." schluchzte er und sie nahm ihn in den Arm, drückte ihn fest an sich und gab ihm einen Kuss auf die Wange nach dem sie seine Tränen weg gewischt hatte.

"Nichts muss dir leid tun mein Engel. Wir machen eine kleine Pause, sieh, Mutter hat auch etwas Wasser und Brot dabei." sagte sie und kramte das Wasser heraus. Giuan trank beinahe die ganze Flasche leer und schlang das Stück Brot in sich hinein als hätte er seit Tagen kein Mahl mehr zu sich genommen.

"Iss langsam mein Schatz, ich habe genügend Brot für die nächsten vier Tage dabei."

"Aber Mutter du musst auch etwas essen!" sagte er und hielt ihr ein Stück Brot hin, doch Yvette schüttelte nur lächelnd den Kopf.

"Ich habe keinen Hunger, du kannst soviel essen wie du magst." Giuan wusste das sie log. Aber er wusste auch das sie nicht ein einziges Stück Brot essen würde. Nachdem er also gegessen hatte und wieder etwas bei Kräften war nahm er seine Mutter wieder bei der Hand und sie rannten weiter in Richtung der Tore. Giuan konnte seine Mutter nur bewundern, selbst in einer solchen Situation konnte sie seinetwegen ruhig bleiben und einen klaren Kopf bewahren. Als sie beinahe die Tore erreicht hatten hörten sie das scheppern einer Rüstung. Sofort presste sie Giuan hinter sich in eine Ecke, stellte sich davor und betete das es dunkel genug sei um ihn nicht zu sehen. In dem Mondschein erkannte Yvette einen Ritter, die Hand auf seinem Schwert am Gürtel. Als er sie sah kam er einige Schritte auf sie zu und Giuan hielt die Luft an. Er war froh darüber noch nicht größer als seine Mutter gewesen zu sein.

"Was macht eine Dame bei so später Stunde an diesem Ort?" fragte er und Giuan konnte das Grinsen in seinem Gesicht förmlich hören. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals und er befürchtete der Ritter könnte es hören.

"Ich bin auf dem Weg in die nächste Stadt." sagte sie ehrlich und der Ritter hob eine Augenbraue an.

"Bei Nacht? Wieso wartest du nicht bis Sonnenaufgang, es ist gefährlich für eine Frau, weißt du?" Yvette nickte.

"Ja mein Herr da habt ihr Recht, doch ich erhielt kürzlich einen Brief meiner Schwester, meine Mutter ist schwer krank geworden und ich möchte so schnell wie es nur geht zu ihr, denn weiß ich nicht wie lange ihr noch das Leben bleibt." der Ritter nickte und legte ihr eine Hand auf die Schulter, was Giuan nur noch ängstlicher machte.

"Das ist verständlich, ich würde an deiner Stelle auch so handeln. Doch sei vorsichtig auf deinem Weg. Ich bete für deine Mutter." sagte er mit einem mitfühlendem Lächeln, Yvette bedankte sich bei ihm und als der Ritter weiter seine Runde drehte rannte sie mit Giuan weiter. Ihr eigenes Herz schlug so kräftig das es beinahe schon schmerzte, doch dann hatten sie die Tore passiert und nur wenige Meter vor ihnen lag der Wald. Es war schon so lange her als Yvette das Letzte mal in diesem Wald war. Tatsächlich war sie mit ihrer Mutter hier gewesen um Pilze, Heilkräuter und Beeren zu sammeln. Damals hatte sie sich vor diesem Wald gefürchtet, doch heute war es wohl der sicherste Ort für sie.

...Und bis zum EndeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt