Von Wasserspeiern

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Für alle, die sich hin und wieder genau wie Jolina fühlen.

Von Wasserspeiern
Jolina

Den Rest des Stückes spielte ich wie in Trance. Ich verpasste keinen meiner Einsätze, sprach meinen Text fehlerfrei, ja, sogar die Tänze waren endlich so fließend, wie Kacy sich das immer gewünscht hatte. Nur erinnerte ich mich, als die Probe vorbei war, kaum noch an etwas – mal abgesehen von Lanes kalten Augen, die ich vor mir sah, als hätten sie sich in meine Netzhaut eingebrannt.

Ironischerweise lobte mich Mr. Adams sogar für meine Arbeit im zweiten Akt. Ich bedankte mich halbherzig und schloss mich den anderen an, um die Bühne aufzuräumen. Dann hörte ich eine nur allzu bekannte Stimme: »Jolina!«

Ruckartig fuhr ich herum. Meine Augen suchten denn leider immer noch nur spärlich beleuchteten Publikumsraum hastig ab. Bevor ich sie nicht sah, würde ich nicht glauben, was ich eben gehört hatte. Doch wahrlich, da stand sie, direkt vor mir, nur ein paar Sitzreihen von der Bühne entfernt.

»Mom!«, rief ich aus und lief los, um mich in ihre Arme zu stürzen. Natürlich hatten wir oft telefoniert, seit ich weggezogen war, aber gerade heute, konnte ich eine gute alte Mama-Umarmung definitiv gebrauchen.

Ich ließ mich fest von ihr drücken und als dann auch noch mein Vater hinter ihr hervortrat und uns beide in eine Umarmung zog, da schweiften meine Gedanken zum ersten Mal seit dem dummen Starbucks-Vorfall nicht zu Lane ab, sondern blieben im Hier und Jetzt bei meinen Eltern.

»Ich wusste nicht, dass ihr hier seid«, murmelte ich in die Haare meiner Mutter.

»Wir können doch deine erste große Aufführung nicht verpassen«, lächelte diese. »Und ein kleines Vöglein namens Jenna hat uns gezwitschert, dass wir dich eventuell hier abfangen können.«

»Wir wollten dich überraschen«, fügte Dad hinzu und ich löste mich von Mom, um auch ihn nochmal fest zu umarmen. Manchmal konnte die eine oder andere Umarmung Wunder wirken.

»Außerdem schwärmten Jenna und Mason von einem ‚netten Jungen', auf den wir schon ganz gespannt sind«, bemerkte Mom, als würde sie es nur ganz beiläufig erwähnen.

Und dann, wie ich hier zwischen Mom und Dad eingequetscht stand, gerade die mieseste Probe meines Lebens durchstanden hatte und generell ein bisschen mit den Nerven am Ende war, war die Erwähnung des besagten ach so netten Jungen einfach zu viel für mein Herz. Und nachdem ich mich die letzte Woche zusammengerissen hatte, brach nun doch noch der Damm. Ich flennte los.

Das einzige Positive an der Situation war, dass meine Mitstudenten zu beschäftigt mit ihrem Kram waren, um zu bemerken, wie ich mit Tränen auf den Wangen in Richtung der Toiletten losstürzte und zwei sehr verdutzte Eltern im Zuschauerraum stehen ließ.

Dort verbunkerte ich mich erst einmal in einer Kabine. Glücklicherweise waren die Toiletten sogar so außerordentlich sauber, wie man irgendwie nur erwarten konnte. Man musste sich an den kleinen Dingen im Leben erfreuen, nicht wahr?

Dass mir jemand gefolgt war, realisierte ich erst, als ich Klopfer an meiner Kabinentür hörte. Also ich hoffte, dass es jemand war, der mir gefolgt war und nicht eine Fremde, die in einem Raum voller unbesetzter Kabinen nicht beschlossen hatte, eben gerade die benutzen zu wollen, die ich zu meinem Rückzugsort ernannt hatte.

»Schätzchen?«, fragte meine Mutter. »Kannst du mir die Tür aufmachen?« Ich versuchte gar nicht erst Antwort zu geben, da ich mich dann vermutlich an meinen eigenen Tränen verschluckt hätte, aber ich drehte tatsächlich den Knauf einmal, um ihr Eintritt zu gewähren.

Nichts sagte so sehr »Hey, Mom, alleine auf einen anderen Kontinent umzuziehen war definitiv eine tolle Idee gewesen« wie sich heulend in einer Toilette zu verstecken.

Sie kommentierte meine wundervolle Art mit dem Leben umzugehen jedoch nicht und zog mich nur erneut in eine feste Umarmung, wo ich mich so richtig ausheulen konnte.

Ich wusste nicht, wie viel Zeit verstrichen war, ehe ich mich ein bisschen beruhigt hatte. »Was ist denn los?«, fragte Mom ganz ruhig, als wäre es ganz normal, dass ich mal eben einfach so zum Wasserspeier mutierte.

»Der dumme Junge«, brachte ich sehr erwachsen zwischen zweimal hicksen hervor. Und dann erzählte ich ihr die ganze Geschichte von Anfang bis Ende. Wie ich fast von der Bühne gefallen war und Lane mich aufgefangen hatte, wie wir uns in den Straßen zu Idioten gemacht hatten, wie er mich nach dem Scheinwerfer-Desaster im Krankenhaus besucht hatte, wie der Bühnenkuss letztlich der Auslöser dafür gewesen war, dass wir zusammengekommen waren, wie erst alles Friede, Freude, Eierkuchen schien, nur um dann in rasantem Tempo den Bach runter zu gehen, da uns der Stress der Proben doch zu schaffen gemacht hatte.

Sie hörte geduldig zu, wie ich eine halbe Ewigkeit brauchte, um zum Punkt zu kommen, da ich immer wieder Pausen einlegte, um entweder aufzuschluchzen oder mir die Nase zu putzen (praktischerweise war das Toilettenpapier wenigstens gleich zu meiner Rechten, da musste ich nicht weit greifen – ich sah endlich ein, warum sich die Heldinnen in Teenie Romanzen sich immer auf Toiletten flüchteten, da war alles, was man für so einen richtigen Heulanfall brauchte, gleich zur Stelle).

Als ich geendet hatte und sie erwartend anblickte, als könnte sie alleine dank ihrer Funktion als Mutter mit einem Fingerschnipsen die ganze Welt in Ordnung bringen (das funktionierte leider nur solange man noch jung genug war, um an die Zahnfee und an den Weihnachtsmann zu glauben, lächelte sie mich aufmunternd an, ehe sie zum Sprechen ansetzte: »Du weißt vermutlich schon, was du machen solltest, oder?«

Ich nickte, weil ich genau wusste, dass sie recht hatte. Aus der Situation gab es nur einen logischen Ausweg. Bei dem ich mein Herz erneut auf Spiel setzte, doch mir wenigstens eine Chance zustand, für das zu kämpfen, was ich wollte. Und dann, einfach weil ich gerade den Kopf auf den Schoss meiner Mutter gebettet hatte und man eben noch ein Weilchen brauchte, ehe man sich aus einem emotionalen Tief befreien konnte, jammerte ich von Neuem los.

»Ich will aber nicht verantwortungsvoll sein!«

Jaune CanariDonde viven las historias. Descúbrelo ahora