5. Kapitel

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Hicks

Am Nachmittag sitze ich mit Astrid und den Anderen aus unserem Team beim Essen. Es ist das erste Mal seit der Vorbereitung auf die Schlacht, dass wir etwas ruhige Zeit zusammen haben. Doch trotz dieser Tatsache ist es anders. Es ist anders als an den letzten Tagen vor der Schlacht. Die Unruhe, die uns damals fest im Griff hatte, ist nie ganz verschwunden. Noch immer sehe ich das gehetzte von damals noch in den Blicken von jedem von ihnen. Da ist Rotzbacke, der versucht das Ganze wie immer zu überspielen. Doch seine Augen huschen schon während dem ganzen Essen unruhig von einem Ort zum anderen. Nie bleiben sie lange an einem Ort und ich will mir gar nicht vorstellen, was sie wohl während der Schlacht gesehen haben. So viele Schiffe, so viele Drachen, so viele Menschen, an manchen Tagen frage ich mich, wie wir das ganze Überlebt haben. Aber wir haben überlebt, andere können das nicht sagen. Mein Blick fällt auf Fischbein, der lustlos in seinem Essen stochert. Er hat in der Schlacht einen Onkel verloren, eine Tante wird noch vermisst. Während Rotzbacke es nicht schafft einen Ort lange anzuschauen, bleiben Fischbeins Augen lange auf den gleichen Punkt gerichtet. Er scheint alles noch viel stärker wahrzunehmen.

Dann sind da noch die Zwillinge, die zwar nach außen hin wie immer sind. Doch auch ihre Streiche und Witze sind auf eine Weise trocken geworden.

Damals, nach der ersten Schlacht gegen die Drachenjäger, hatten wir zumindest ein Ziel vor Augen. Wir konnten auf die endgültige Schlacht hinarbeiten, haben neue Verbündete gesucht und nie genauer über das Geschehene gesprochen. Aber nun?
„Ich finde wir sollten mal wieder gemeinsam trainieren." Sage ich einfach so in die Stille. Das wird uns wahrscheinlich allen gut tun.
Die Reaktionen auf diesen Vorschlag fallen gemischt aus. Die Zwillinge fangen endlich wieder an wilde Spekulationen auszustoßen und auch Astrid freut sich. Fischbein stimmt kurz darauf ebenfalls zu, nachdem er einen Grashalm auf dem Boden lange genug studiert hat. Nur Rotzbacke zögert. Er scheint mit sich zu ringen, aber ohne ihn wäre es nicht das Gleiche. „Rotzbacke, wir brauchen dich." Ich sage es aus meiner Intuition heraus, doch es stimmt. Ohne ihn wären wir nicht mehr komplett und vielleicht könnten wir die Schlacht so nie hinter uns lassen.

Das erste Mal an diesem Tag schaut mein Freund mir in die Augen und das länger als nur zwei Sekunden. „Meinst du das ernst?" Fragt er und ich nicke. Unsicher schaut der braunhaarige Wikinger danach noch zu den Anderen. Auch sie bestätigen meine Worte. Wie ich mich so umsehe, sehe ich in allen Gesichtern ein Lächeln. Ich lächle ebenfalls, was mir aber jetzt erst bewusst wird.
Einen Moment später liegen wir uns in den Armen. Einfach so, mitten auf der Anhöhe vor der Arena. Mit dem Wind, der um uns herum weht und jeden von uns nur leicht streift und mit den Drachen, die etwas abseits alles genau beobachten. Während wir so dastehen und ich das Meer rauschen höre weiß ich, dass ein erster Schritt für einen Neuanfang gemacht ist. Ein erster Schritt für einen Neuanfang, der hoffentlich besser wird. Ein erster Schritt für eine strahlende Zukunft, denn zusammen mit ihnen kann ich alles erreichen.

Am Nachmittag treffe ich dann auch auf den Mann, den die ganzen Ereignisse wohl am schlimmsten getroffen haben. Viggo Grimborn sieht nicht gut aus. Unter seinen Augen hängen tiefe Schatten und seine Haut ist noch blasser als ohnehin schon. Er musste zusehen wie Lydia, zu der er eine Beziehung hatte, die ich wohl nie ganz verstehen werde, in ihren sicheren Tod stürzte. Das allein ist schon schlimm, aber im Gegensatz zu uns hat er nicht einmal jemanden der ihn unterstützt oder mit dem er reden kann. Soweit ich weiß hat er bisher versucht sich nützlich zu machen, auch wenn er von den meisten Wikingern nur geduldet ist. Das er mich ausgerechnet jetzt aufsucht wundert mich. Denn ich bin zu dem Zeitpunkt in der Arena und arbeite an einer Skizze für eine der neuen Hütten. Ich bin alleine, abgesehen von Ohnezahn natürlich, alle Anderen legen an anderen Projekten Hand an. Der Wiederaufbau geht relativ zügig von statten. Gelernt ist eben gelernt und schon bald werden die ersten Hütten wieder aufgebaut sein. Daran denke ich auch noch, als Viggo plötzlich am Eingang steht. „Es tut mir leid, wenn ich störe." Sagt er und selbst seine Stimme klingt nicht mehr so wie früher. Wenn ich Nachts wieder einmal wach liege, dann denke ich auch darüber nach, wann er etwas vortäuscht und wann er etwas ernst meint. So gerne ich es auch möchte, wirklich vertrauen kann ich meinem ehemaligen Feind nicht. „Nein, du störst nicht." Erwidere ich schnell, nachdem mir bewusst wird, dass ich ihn ziemlich lange einfach nur angestarrt habe. Schnell packe ich meine Sachen zusammen. „Was führt dich zu mir?" Ich versuche zu Lächeln, aber es sieht wohl eher gequält als freundlich aus. „Ich wollte mit dir über Lydia sprechen." Ich zucke zusammen. Noch eine Sache, mit der ich nicht gerechnet hätte. „Und um was genau geht es?" Frage ich deshalb nur weiter. Ich bin nicht stolz darauf, aber in diesem Moment bin ich wirklich überfordert. Viggo schaut nach unten und sein ganzer Körper steht unter einer ungeheuren Spannung. „Ich weiß nicht, wie viel du davon weißt, aber sie hat immer noch Freunde und sowas wie eine Familie im Osten." Beginnt er schließlich stockend zu erzählen. „Ich finde sie haben ein Recht darauf zu erfahren, was passiert ist." Noch immer schaut mein ehemaliger Konkurrent mich nicht an. Ich werde das Gefühl nicht los, das da noch mehr dahintersteckt. Deswegen warte ich vorerst einfach nur ab und tue so, als müsste ich die Papiere neu ordnen. „Und außerdem möchte ich endlich wissen, wer sie wirklich war." Murmelt er schließlich, kaum verständlich. „Und du glaubst, dass das nur geht, wenn du nach Fönen gehst?" Ich schaue Viggo in die Augen und dieses Mal weicht er meinem Blick aus. „Ja" sagt er und sieht dabei so entschlossen wie möglich aus. „Und ich fände es schön, wenn ihr mich begleitet."

Fünf Jahre - Was davon bleibtTempat cerita menjadi hidup. Temukan sekarang