6. Kapitel

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Astrid

Am Abend sehe ich Hicks wieder. Wir haben es uns angewöhnt uns am Abend noch einmal zu treffen und über die Ereignisse des Tages zu reden. Danach können wir beide besser schlafen, da unser Kopf weniger zu verarbeiten hat. Deshalb warte ich eigentlich viel zu früh am Treffpunkt, dem Platz, an dem Hicks und Ohnezahn sich früher immer getroffen haben. Er symbolisiert das Alte, uns inzwischen vertraute, aber durch meine Anwesenheit auch irgendwie das Neue, ungewisse. Unsere Beziehung scheint der großen Belastung, der sie durch die Momentane Situation ausgesetzt ist, standzuhalten. Sie scheint eher noch stärker zu werden, was mich beruhigt. Denn dieses Band zwischen Hicks und mir, dieses Band will ich auf gar keinen Fall verlieren.

Als ich das denke höre ich das Geräusch eines Nachtschatten im Landeanflug und einen Moment später landet Ohnezahn neben mir und Hicks steigt ab. Er sieht ziemlich zerstreut aus, noch zerstreuter als sonst. In seinen Augen glitzert etwas, was ich nicht genau definieren kann. Vielleicht ist es Sorge, es könnte aber auch Abenteuerlust sein. Oder etwas ganz anderes.

Wir umarmen uns. Diese Umarmung gibt nicht nur mir jeden Tag aufs neue Kraft. Durch sie können wir unsere schlimmsten Albträume und alles, was uns sonst belastet teilen. Geteiltes Leid ist halbes Leid, nur so schaffen wir es alles möglichst ruhig durchzustehen. Vor allem Hicks macht das Ganze immer noch zu schaffen. Auch wenn er sich meistens nichts anmerken lässt, so beschäftigt ihn alles Geschehene doch noch sehr stark. Er gibt sich nach wie vor sogar die Schuld am Tod von Drago Blutfaust. Trotz allem, was dieser getan hat, hatte er es nicht verdient zu sterben. Das hat er mir am Tag nach der Schlacht erzählt, als wir beide wie gelähmt von den Ereignissen waren. Ich weiß, das er glaubt stark sein zu müssen. Für alle in unserem Dorf und für alle die irgendwie von dieser Schlacht betroffen waren. Vielleicht hat er damit auch recht, denn er ist seit dem quasi zum Vorbild schlecht hin avanciert. Solange er weiter macht, machen es die Anderen auch. Doch ich finde es falsch, dass er sich selbst zerstört, damit es anderen besser geht. Das ist der eigentliche Grund für unsere abendlichen Treffen, nicht meine Albträume oder unsere Beziehung. Wir treffen uns, weil wir es nur so weiter machen können. Wir treffen uns hier, weil wir hier nicht von irgendwem beobachtet werden, weil wir hier schwach sein dürfen.
Als wir uns wieder voneinander lösen, sehe ich, das Hicks' Blick durch mich hindurch geht. „Was ist passiert?" Frage ich. Die Frage ist irgendwie naiv, aber sie ist auch wichtig. Nur wenn wir reden kommen wir weiter. Nur wenn wir reden kann es irgendwann einen Neuanfang geben. „Ich habe mit Viggo gesprochen." Hicks schaut mich an. Sein Blick geht nicht mehr durch mich hindurch. Seine grünen Augen fixieren mich. Seine grünen Augen in denen seit der Schlacht etwas liegt, was ich nicht genau definieren kann. Vielleicht sind es die Vorwürfe die er sich unweigerlich macht. Ich kenne ihn, oder? Kenne ich ihn wirklich? Ich habe ihn so lange ignoriert, kann ich dann überhaupt davon sprechen, dass ich ihn kenne?

Hicks' grüne Augen schauen mich immer noch an. Doch als ich nichts erwidere fährt er fort: „Er ist der Meinung, dass Lydias Freunde wissen sollen, was passiert ist. Deswegen will er nach Fönen." Er wendet den Blick wieder ab und richtet ihn in die Ferne. „Er hat gefragt, ob wir mitkommen." „Und?" Ich lege eine Hand auf Hicks' Arm. Er seufzt und schaut auf den Boden. Ohnezahn, der sich etwas abseits zwischen den Bäumen niedergelassen hat, gurrt besorgt. Hinter ihm blitzt etwas rotes auf. Vielleicht habe ich mir das auch eingebildet. „Vielleicht wäre es gut, wenn wir wieder ein Ziel haben." Erklärt Hicks schließlich und ich verstehe, worauf er hinaus will. „Aber du hast Angst, dass sie uns hier brauchen." Vervollständige ich seinen Satz, als würde ich das andauernd machen. Wir schauen uns überrascht an und lachen dann. Es tut gut zu lachen, nach dieser ganzen Anspannung. „Sieht aus als würdest du mich besser kennen, als ich mich selbst kenne." Hicks lächelt immer noch. Dann schaut er zu Ohnezahn und sein Blick wird besorgt. Ich folge ihm und sehe Lyra, die sich neben Ohnezahn gelegt hat und uns aufmerksam beobachtet. In ihren Augen liegt wieder dieser traurige Glanz, den sie auch hatten, als Lydia für mehrere Monate in Dragos Festung war. Doch damals hätten wir sie noch retten können, damals bestand die Wahrscheinlichkeit, die Beiden wieder zu vereinen...

„Ich finde wir sollten gehen." Sage ich spontan und Hicks runzelt die Stirn. „Eigentlich wollten wir nach dieser Schlacht eine Weile pause machen." Gibt er wieder zu bedenken. Aber es klingt halbherzig. Er will diese Reise genauso sehr wie ich machen. Auch er will die letzten Geheimnisse der Drachenreiterin mit den roten Haaren lösen. „Meinst du die Anderen machen mit?" Frage ich. Immerhin war Viggo bis vor kurzem noch unser Feind und ich bin mir immer noch nicht sicher bin, ob ich ihm wirklich trauen soll. Jetzt aber sollen, oder eher wollen, wir mit ihm eine letzte Reise in eine uns unbekannte Welt machen, womit wir beim nächsten Problem wären und das ist ja immer noch nicht alles. „Ich glaube sie wollen genauso sehr raus und sich ablenken, wie wir." Hicks klingt inzwischen sehr entschlossen. „Ich frage sie morgen früh, wenn wir uns in der Arena sehen." Überlegt mein Verlobter weiter. „Falls sie einverstanden sind müssen wir nur noch mit deinem Vater reden." Jetzt verzieht Hicks das Gesicht, so wie er es früher immer gemacht hat. „Du meinst wohl ich muss mit ihm reden." Verbessert er und sieht dabei überhaupt nicht erfreut aus. „Ihr habt wohl nicht viel miteinander geredet, seit wir zurück sind." Schlussfolgere ich. Auch ich habe Haudrauf seit dem wir von unserer letzten Reise zurück sind vielleicht vier Mal gesehen und einmal hat er uns erklärt, dass wir nicht mehr fliegen sollen. Er und Hicks haben sich deswegen ziemlich gestritten... „Nein, das steht auf meiner Liste, direkt unter die Zwillinge dazu überreden keine Hütten zu zerstören und das ganze Drachenjäger, -flieger und alles andere Chaos zu ordnen."
Murmelt er und dann ist zumindest für einen Moment alles wie früher.

Fünf Jahre - Was davon bleibtWhere stories live. Discover now