Last Goodbye I

434 24 4
                                    

This is our last goodbye
I hate to feel the love between us die
But it's over
Just hear this and then I'll go
You gave me more to live for
More than you'll ever know


"Last Goodbye", Jeff Buckley


Hoppla! Dieses Bild entspricht nicht unseren inhaltlichen Richtlinien. Um mit dem Veröffentlichen fortfahren zu können, entferne es bitte oder lade ein anderes Bild hoch.


Es kostet mich doch mehr Überwindung als ich dachte. Langsam gehe ich auf die eindrucksvolle Brücke zu und bin froh, dass ich über einen guten Orientierungssinn verfüge, denn es ist schon wieder unglaublich viel los hier. Menschen hasten an mir vorbei, auf dem Gehweg an der Kreuzung versuchen 2 Hütchenspieler, den Passanten das Geld zu entlocken, und auf der Brücke selbst herrscht der geschäftige Touristenandrang, den man an einem sonnigen Mittwochvormittag wohl nicht vermeiden kann. Trotzdem weiß ich, wo ich hinmuss, auch wenn ich vom falschen Ende der Brücke gekommen bin (so viel zu meinem Orientierungssinn...) Endlich habe ich die Stelle erreicht; zumindest glaube ich das, und suche mir ein halbwegs freies Plätzchen am Geländer.

Ich schließe einen Moment die Augen und versuche, den Lärm um mich herum auszublenden. Ohne Erfolg. Was habe ich mir davon versprochen, hierher zu kommen? Ich lasse meinen Blick über das Wasser und die vielen Gebäude am Ufer der Themse schweifen und weiß es nicht mehr. Irgendwie dachte ich wohl, es würde mir helfen, meine Trauer zu verarbeiten, von der ich manchmal gar nicht weiß, ob sie noch da ist, oder ob ich einfach dazu übergegangen bin, mich selbst zu bemitleiden. Als ich Matthias geheiratet habe, dachte ich, meine Zeit als alleinerziehende Mutter wäre endgültig vorbei. Ich schäme mich fast ein bisschen, dass ich nicht weinen kann, hier und jetzt, wo ich doch genau dort stehe, wo alles angefangen hat. Ich wollte so gerne abschließen mit diesen ständigen Gewissensbissen, der Trauer und den immerwährenden Fragen, was wohl gewesen wäre, wenn Matthias nicht ums Leben gekommen wäre. Hätten wir unsere Eheprobleme in den Griff gekriegt? Wäre ich irgendwann mit den Kindern ausgezogen? Wären wir, zusammen oder getrennt, jemals wieder so glücklich gewesen wie damals, als er hier in der Kälte des Londoner Dezembers auf die Knie ging und den etwas zu großen Ring aus Weißgold aus seiner Manteltasche geholt hat, um mir mit brüchiger Stimme und zitternden Händen die Frage zu stellen, die ich damals so gerne hören wollte?
Oft habe ich mir danach gewünscht, er hätte es nicht getan; wir wären unsere separaten Wege gegangen und ich hätte mich weiter mit Serena durchgekämpft. Serena. Sie leidet im Moment wahrscheinlich am meisten unter der Situation, hat schon immer ein Gespür dafür gehabt, wie es mir geht; und Matthias war wie ein richtiger Vater für sie. Seit sie denken kann, war er da, hat ihr bei den Hausaufgaben geholfen, sie zum Ballett gebracht und ihr beim Klavierkonzert zugeklatscht. Ich schaffe es immer noch nicht, ein vernünftiges Gespräch mit ihr über unsere Gefühle zu führen. Wie soll ich einer 14-jährigen erklären, dass ich zwar traurig bin, aber gleichzeitig Schuldgefühle habe, weil es mich nicht so mitnimmt, wie die Welt es von jemandem erwartet, der gerade seinen Ehepartner verloren hat? Wie soll ich sie trösten? Sie ist ja keine 5 mehr, als ich noch lapidar sagen konnte, ihr Hamster sei jetzt „im Himmel". Wir glauben beide nicht an Gott, also woher soll der Trost kommen?


Ich seufze und schließe noch einmal die Augen. Es wird Zeit, dieses Kapitel meines Lebens zu beenden. Auch wenn ich noch nie gut darin war, die Vergangenheit ruhen zu lassen, so weiß ich doch, spätestens seit den letzten beiden Tagen, dass ein neues Kapitel angefangen hat. Zeit also, die Vergangenheit hinter sich zu lassen und die Schuldgefühle zu begraben. Ich atme tief ein und streife meinen Ehering ab, um ihn genauer zu betrachten. Er ist über die wenigen Jahre matt geworden, hat einige Kratzer und kleine Dellen abbekommen, nur die Innenseite ist immer noch makellos, sodass die Inschrift gut zu lesen ist. Nun kommen mir doch die Tränen und ich muss schlucken. Einem plötzlichen Impuls folgend nehme ich den Ring in die rechte Hand und schleudere ihn, so fest ich kann, über die Brüstung der Brücke. Nur wenige Augenblicke, dann fällt er ins Wasser und ist sofort verschwunden. Ich schaue noch einen Moment nach unten auf die Stelle, wo er geräuschlos ins Wasser eingetaucht ist, dann seufze ich noch einmal auf und beschließe, mein Leben wieder in den Griff zu kriegen. Ich fühle mich fast ein bisschen erleichtert, obwohl mein Ringfinger sich nun seltsam nackt anfühlt. Vielleicht brauche ich dieses Gefühl, um zu spüren, dass ein Teil meiner Vergangenheit nun weg ist. Ich wische die Tränen weg, putze mir die Nase und gehe dann langsam und gedankenverloren den Weg zurück, den ich gerade gekommen bin.

This one lifeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt