Kapitel 1 | Lucifer

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An einem Tag wie diesem mit dem Teufel zu sprechen, kommt einem Selbstmord gleich. Trotzdem erlauben sich einige Todesengel, Fragen zu stellen, die sich nicht gestellt hätten, wenn sie auf meine Befehle gehört hätten.

„David! Komm her", rufe ich einen jungen Todesengel. Doch sein Aussehen täuscht, denn in dem Körper, der dem eines 18-Jährigen gleicht, steckt eine hundert Jahre alte Seele.

David eilt zu mir und deutet eine kleine Verbeugung an, obwohl ich ihm seit zwanzig Jahren versuche deutlich zu machen, dass er dies nicht mehr nötig hat. Er hat schon viele Dienste für mich erledigt, sodass er sich meinen Respekt verdient hat.

„Beantworte ihm seine dummen Fragen", sage ich zu ihm und deute genervt in Richtung des Todesengels, der zwar in dem Körper eines 70-Jährigen steckt, doch nicht lange genug hier ist, um zu begreifen, dass ich es nicht gern habe, wenn mir nicht zugehört wird. Doch heute muss ich auch mit den Todesengeln vorliebnehmen, die ich sonst nicht auf die Erde geschickt hätte. Ich kann froh sein, dass diese zweitausend Seelen mir ihre Treue halten.

„Luke? Alle sind bereit", sagt David, der vor mir aufgetaucht ist. Seine Brauen sind besorgt zusammengezogen und er kaut auf der Unterlippe, während er auf meine Antwort wartet.

Ich seufze und fahre mir über das Gesicht. Eine Welle der Besorgnis durchfährt mich. Sofort sieht David noch besorgter aus.

„Wir kriegen das doch wieder hin, oder?", fragt er und guckt sich verstohlen um, ob jemand zuhört. Die Todesengel dürfen keine Zweifel meinerseits bemerken, sonst könnten sie ihre Zeit auf der Erde anders nutzen, als ich es will. Dadurch, dass sie noch hier sind, haben sie mir ihre Treue zwar schon bewiesen, doch ich weiß, welche Anziehung eine Rückkehr auf die Erde für sie hat. 

Ich sehe David fest in die Augen und nicke. Er erwidert es.

"Herhören!", rufe ich. Sofort verstummen alle Gespräche und hunderte Augenpaare liegen auf mir. Sie recken sich, um mich besser zu sehen. 

Als ich mir sicher bin, die volle Aufmerksamkeit zu haben, hebe ich den rechten Arm. Anspannung und Erregung macht sich in der Menge breit. Viele waren seit Jahrhunderten nicht mehr auf der Erde. Ich lasse den Blick über die Todesengel schweifen, bevor ich meine Hand zu einer Faust schließe. Innerhalb eines Wimpernschlags ist der Platz wie leer gefegt. 

Die Hölle ist leer. Ein Zustand, den es noch nie gab, seit die Hölle erschaffen wurde. Und ich muss es als Herrscher dieses Ortes ja wissen. 

Ich seufze und lasse Zweifel in diesem unbeobachteten Augenblick zu. Die Hölle ist leer und das nicht ohne Folgen. All die verbannten Seelen der Verstorbenen wandern auf der Erde. Blind für das menschliche Auge, da sie äußerlich nicht von den Menschen zu unterscheiden sind. Meine Todesengel haben die Aufgabe diese Millionen von Seelen zurück in die Hölle zu bringen, bevor sie Schaden auf der Erde anrichten. Seit mich die Nachricht ereilt hat, dass sie geflohen sind, quält mich die Frage, wie das möglich ist. Die Hölle ist kein Ort mit Ausgangstür. Wer hat die Macht, unerkannt in mein Reich einzudringen und meine Seelen freizulassen?

Es gibt einen dumpfen Aufprall hinter mir. Ich drehe mich um und sehe eine Frau in der Mitte des Platzes liegen. Verängstigt sieht sie sich um, bis sie mich erblickt und zusammenzuckt. Mein unbeobachteter Moment ist zu Ende. Die Frau atmet hektisch und schafft es nicht einmal auf die Beine, sondern krabbelt auf allen vieren von mir weg. Als ich in die vor Angst geweiteten Augen der Frau sehe, zweifle ich an meinem Entschluss, niemanden mehr zu richten. 

Die Aufgabe des Teufels in der Hölle ist es zu entscheiden, ob die Neuen bleiben oder weiterziehen. Doch ich schiebe dies auf, da ich den Todesengeln bei der Jagd nach den verbannten Seelen zur Seiten stehen will. Denn keiner ist in der Lage, sie so zu erkennen wie ich. Ich habe beschlossen, die Neuankömmlinge hier warten zu lassen. Die Tage, die sie auf dem Platz verbringen, ist nichts gegen die Ewigkeit, die sie danach erleben werden.

Ich gestehe, dass es eine Schande ist, diese verängstigte Frau tagelang warten zu lassen. Das Richten einer einzigen Person dauert nicht lange, doch da gibt es erneut einen dumpfen Aufschlag. Dann noch einen.

Ich wende mich um und sehe zwei Männer, die hinter mir auf dem Platz gelandet sind. Sie rappeln sich auf und sehen sich mit offenem Mündern um. Als ein Mann, der sich vor ein paar Sekunden noch in einem Teil Asiens war, mich erblickt, stampft er wütend auf mich zu.

„Wo bin ich hier? Was soll das?“ ruft er mir aufgebracht zu. Die Frau und der andere Mann, die mit Japanisch nicht vertraut sind, schauen ihn nur verwirrt und im Falle der Frau mit zunehmender Angst an.

„Sie sind in der Hölle.“ sage ich mit einem teuflischen Grinsen. „Und ich bin ihr Gastgeber.“ Ich deute eine höhnische Verbeugung an und drehe mich um. Meine Zweifel haben sich nach dieser Begrüßung in Luft aufgelöst. Und wenn mich mein Gefühl nicht täuscht, werde ich mit dem Japaner länger Vergnügen haben, allerdings sind Vorurteile nicht vorteilhaft in meinem Job. Jeder hat es verdient, neutral gerichtet zu werden. Im Besonderen wenn es die Ewigkeit betrifft. Ich entferne mich von den Dreien und überlege, wohin ich auf der Erde gehen soll. Die Seelen werden über alle Kontinenten verteilt sein, ebenso meine Todesengel.

Schnelle Schritte ertönen hinter mir. Ich drehe mich um und sehe den Japaner mit wutverzerrtem Gesicht auf mich zu rennen. Blitzschnell hebe ich meinen Arm und der Mann wird von einer Druckwelle nach hinten geschleudert. Er landet auf dem Rücken und die Luft wird aus seinen Lungen gepresst. Mit schmerzverzerrtem Gesicht rollt er sich zusammen.

Mit einem weiteren Aufprall landet erneut eine Seele auf dem Platz direkt neben dem zweiten Mann, der erschrocken zur Seite springt. Ich betrachte den vierten Neuen und lasse den Blick über alle vier wandern. „Hier wird nach meinen Regeln gespielt.“ sage ich kalt und die Frau, die zusammengekauert auf dem Boden sitzt, erschaudert. Mit einem letzten warnenden Blick verlasse ich den Platz. Es wird Zeit. Ich gehe weiter. Mein rechter Fuß tritt auf den grauen Grund der Hölle, doch der linke Fuß berührt schon den fruchtbaren Boden der Erde.

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