Kapitel 4 | Lucifer

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Seit einem Monat bin ich auf der Erde und ich spüre immer deutlicher das Ziehen, das mich zurück in die Hölle ruft. Der Platz dort oben dürfte mittlerweile überfüllt sein, denn ein Monat bringt viele Tote. Und die Todesengel müssen ebenfalls bald zurück. Die Aufgabe, die Seelen zurückzuschicken, ist wichtig, aber sie werden mir nicht länger treu sein, wenn sie zu viel vom Glanz des Menschseins erfahren. Das darf ich nicht riskieren.

 Diese Gedanken schwirren mir durch den Kopf, während ich durch die Gänge der Schule gehe. Ein Monat in dieser unbedeutenden Kleinstadt und trotzdem geht David, Max und mir die Arbeit nicht aus. Millionen entflohene Seelen. Kein Wunder, dass man selbst hier um die hundert antrifft.

„Luke, hey." Ich werde aus meinen Gedanken gerissen, als ein blondes Mädchen sich mir in den Weg stellt. Ihre Lippen sind lila und ihre Augenlider leuchten ebenfalls in dieser Farbe. Ich verziehe das Gesicht. Make-up gibt es in der Hölle nicht. Dort erscheint jeder rein. Und während meines Menschendaseins gab es so etwas nicht, weshalb ich es höchst albern finde.

Das Mädchen lächelt mich an und fährt sich provokant mit der Zunge über die Lippen. Ich glaube, ich habe mit ihr Unterricht. Aber sie ist unwichtig, weshalb ich mir ihren Namen nicht gemerkt habe.

„Was?" frage ich gelangweilt, doch sie lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Sie kommt einen Schritt auf mich zu.

„Ich wollte fragen, ob du vielleicht am Wochenende Zeit hast." fragt sie und klimpert mit den Wimpern.

Ich ziehe eine Augenbraue hoch. Genervt verdrehe ich die Augen, als ich Mia entdecke, die den Gang entlangkommt.

„Nein." sage ich zu dem Mädchen und schiebe sie zur Seite. Ohne Zögern gehe ich auf Mia zu. Sie sieht betrübt auf den Boden, weshalb sie mich nicht bemerkt, bis ich vor ihr stehe.

„Mia, hi." sage ich und lächle. Sie blickt auf und sieht mich einen Moment strahlend an, doch dann legt sich ein Schatten über ihr Gesicht.

„Hey." sagt sie nur und schlurft stumm neben mir her, während wir zu unserem Geschichtsraum gehen.

Ich werfe ihr öfters Blicke zu und würde alles dafür geben eine solche Verbindung zu ihr, wie zu meinen Seelen zu haben. Mit einem Blick ihre gesamte Lebensgeschichte zu kennen, wäre praktisch, um herauszufinden, was sie so bedrückt. Doch ich muss es wohl auf die menschliche Weise tun. „Alles okay bei dir?"

Sie sieht zu mir und lächelt leicht, doch es erreicht nicht ihre Augen. „Alles gut. Nur Kopfschmerzen." sagt sie und winkt ab. Sie lügt, doch ich gehe nicht weiter darauf ein.

Wir gehen in den Raum und setzen uns auf unsere Plätze. Es herrscht eine unangenehme Stille zwischen uns, wie es den ganzen letzten Monat nie vorgekommen ist.

Nach ein paar Minuten betritt Emma in den Raum. Sie kommt zu uns. "Hey Leute." sagt sie lächelnd, doch dieses verrutscht etwas, als sie Mia sieht. Besorgt zieht sie die Augenbrauen zusammen und setzt sich auf die andere Seite von ihr. Emma fragt sie, was los sei und wider meines Erwartens wendet Mia sich ihr zu und die beiden flüstern intensiv miteinander.

Etwas verstimmt wende ich mich nach vorne, als Frau Mannus kommt. Ihr Unterricht ist langweilig, ständig werden Tests geschrieben und ich kann ihre Fragen im Schlaf beantworten. Oft stellt sie mir nur welche, um meine Meinung zu dem Thema zu hören.

Ich seufze und nehme einen Zettel in meinem Block. Vorder- und Rückseite sind in kleiner Schrift beschrieben. Es sind Namen der Seelen, die so schnell wie möglich zurückmüssen. Sie haben äußerste Priorität. Viele Todesengel wurden allein auf einen Namen angesetzt. Seufzend streiche ich eine Person von der Liste, die gestern zurückgeschickt wurde, wie mir berichtet wurde.

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