Kapitel 4

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Das Leben ist bloß ein Spiel.


Auf einmal verstummte ihr schönes Lachen und sie richtete sich langsam, schon fast mechanisch wieder auf. Ihr ganzer Körper wurde von hinten durch die große Feuerkugel angestrahlt und lag aus meiner Sicht in völliger Dunkelheit. Wahrscheinlich bilde ich mir das gerade nur ein, und doch wurde ich das Gefühl nicht los, dass genau eben dieser Kontrast von Schatten und Licht sich in ihrem Herzen widerspiegelte. Sie hat eine gespaltene Persönlichkeit. Das Leuten der Kirchturmglocke irgendwo in der Stadt ließ mich zusammenzucken und um uns herum flogen die Vögel aufgescheucht in den Himmel. Jetzt wo ihr Kopf wieder normal auf ihrem Hals saß, verspürte ich etwas Unangenehmes in ihrem Blick. Ja, es war eindeutig ihr ernster Gesichtsausdruck, der meinen Körper unkontrolliert zum Zittern brachte und mir in gewisser Weise Angst einjagte. Sie visierte mich förmlich an, als ob sie eine Waffe wäre, die ihr Ziel nicht verfehlen dürfte. Zugegeben fühlte ich mich in dieser Lage persönlich sehr unwohl und verunsichert. Ich verstand nicht, was so plötzlich in sie gefahren war. Vielleicht lag es an dem Wechsel von Tag und Nacht und doch konnte ich diese abrupte Persönlichkeitsveränderung nicht wirklich nachvollziehen. „Da du dich entschieden hast zu sterben, werde ich nun aus deinem Leben verschwinden." Sagte dieses seltsame Mädchen und erhob sich von dem Dach. Vorsichtig trat sie mit ihren Füßen bis an den Rand und blickte zu mir herunter. Merkwürdig war, dass ihre einfachen Worte mir einen heftigen Stich in mein Herz versetzten und ich somit gezwungen war, darüber nachzudenken, ob ich meine Entscheidung zu Sterben nicht doch bereuen würde. „Eine Frage habe ich allerdings noch an dich." Überlegte sie und säte so, ob nun gewollt oder ungewollt einen kleinen Funken Neugier in mir. Wobei ich mir gut vorstellen konnte, dass es beabsichtigt war. Abwartend beobachtete ich sie, die Person, die mich dazu gebracht hatte eine weitere Nacht zu überstehen und einen neuen Tag zu beginnen. Es war schon ziemlich idiotisch von mir, mich so einfach ablenken zu lassen. Aber rückgängig machen, konnte ich es jetzt eh nicht mehr. Ich hörte wie sie einatmete und sofort lag meine ganze Aufmerksamkeit allein bei ihr. Mein Kopf war leer und es schien als wäre ich gestern doch gestorben und heute wieder geboren worden. Und als würde mein Inneres nach einem neuen Bestreben suchen. Und mein Instinkt sagte mir, dass dieses Mädchen meinem Leben einen neuen Sinn geben würde. Ich fühlte mich plötzlich unglaublich glücklich, obwohl ich mir dieser schwachsinnigen Gedanken bewusst war. Aber in diesem Moment war es mir egal, es war mir völlig gleichgültig. „Hast du dich doch noch nicht entschieden?" Riss mich ihre Stimme aus meinen Gedanken. Sofort wurde mir klar, dass diese spontan formulierte Frage nicht die war, welche sie mir zuvor stellen wollte. Etwas verwirrt wiederholte ich ihre Frage und überlegte, ob sie recht haben könnte. Ich meine worüber habe ich denn die ganze Zeit nachgedacht? Hat sie sich in mein Unterbewusstsein geschlichen und mich umgestimmt? Nein, wenn wäre es schon noch mein Entschluss, doch sie hat ihren Einfluss genommen. Tatsächlich hat sie mich manipuliert, mit nur wenigen Worten und eigentlich durch ihre simple Anwesenheit. „Hey Fremder!" Wieder holte sie mich in die Realität zurück. „Du glaubst, du hast dich noch nicht entschieden, du kannst es nicht, aber dein Herz hat längst die Richtung gewählt. Jetzt liegt es bei dir, welches Leben du wählen willst. Das ist das Recht der Lebenden." Sprach sie ganz sanft und doch bestimmend. Zum jetzigen Zeitpunkt verstand ich es nicht und doch schienen mir ihre klaren Worte Einsicht zu verleihen. Sie hat es geschafft, dass ich wieder überleben wollte. „Wie lautet deine Frage?" Wollte ich nun mit ehrlichem Interesse wissen und hoffte diese Frage nicht nur für sie, sondern auch für mich selbst beantworten zu können. Denn ich hatte das Gefühl, sie würde entscheidend für mich sein. Also blickte ich nun gespannt auf ihre verdeckten Lippen. „Was bist du wirklich?" Fragte sie, doch wieder verstand ich nicht ganz was sie meinte, worauf sie hinaus wollte. „Mensch, vielleicht? Oder ein Monster, so wie die Menschen uns bezeichnen?" Wollte sie wissen, aber ich wusste nicht wohin ich gehöre. Also schüttelte ich nur verzweifelt den Kopf. „Ich kann dir einen Ausweg bieten." Flüsterte sie und pflanzte unauffällig ein unendliches Verlangen nach ihr in meinen Verstand, in mein Herz. Sie bot mir eine ganz neue Chance, eine Identität die weder Mensch noch Monster sein sollte und mir endlich wieder Hoffnung schenkte. Quälend rollte ich mich auf die Seite und versuchte meinen ausgehungerten Körper hochzustemmen. Mühsam presste ich meine Hände auf den dreckigen Asphalt. Mein Magen sträubte sich gegen den plötzlichen Aufschwung und ich übergab mich. Keuchend schnappte ich nach Luft und spuckte in die Pfütze unter mir. Entschlossen drückte ich mich mit meinen Beinen hoch. Wackelig stolperte ich auf meinen Füßen durch mein Erbrochenes, das sich mit dem Gasseninhalt vermischte. Meine Wirbelsäule knackte ekelhaft, als ich mich langsam gerade aufrichtete. Aufrecht stand ich dem unbekannten Mädchen entgegen und blickte zu ihr hoch. „Lass uns eins Spiel spielen. Es ist ein Rätsel, welches du innerhalb von 7 Tagen lösen musst. Ein Rätsel dessen Lösung dir ein völlig neuartige Welt präsentieren wird. Ein Leben in der Unterwelt, dennoch abseits deines jetzigen Daseins. Was meinst du, willst du mit mir spielen?" Erklärte sie mir ihre Bedingungen und ich war bereit, auf diesen Deal einzugehen. „Und wie lautete dieses Rätsel?" Verlangte ich nach ihrer Frage, doch sie lachte nur wieder und schüttelte belustigt den Kopf. "Du wirst Zeit brauchen, um dein Leben zurückzubekommen." Sagte sie und ich musterte dieses freche und gleichzeitig gefährliche Mädchen. „Ich nehme deine Herausforderung an." Gab ich meine Unterwürfigkeit preis und ging komplett auf ihr tödliches Spiel ein. Augenblicklich begann sie fürchterlich zu kichern und etwas blitzte in ihren Augen auf. „Dann sag mir, wo ich zu finden bin. Denn dies ist einzig und allein der Platz, wo auch du bestimmt bist zu sein!" Offenbarte sie ihr Rätsel, bevor sie sich von mir abwandte und sich umdrehte. „Warte!" Rief ich ihr hinterher und sie blieb stehen. „Wie finde ich dich? Wie lautet dein Name?" Fragend starrte ich auf ihren zierlichen Rücken und hatte Panik ich würde sie nie wiedersehen. „Die, die so sind wie wir, nennen mich Eva. Kannst du mich erreichen Fremder?" Damit war sie verschwunden und nur noch ihr verrücktes Lachen hallte in den Gassen der Stadt. Und ich fragte mich augenblicklich, was geschehen mag wenn ich versage. Doch schon bald kam die Stille zurück und breitete sich bis in mein Inneres aus, wo sie neben meiner Einsamkeit immer schon Zuhause war. Doch ab dem heutigen Tag begann noch etwas anderes in mir zu schlummern: Hoffnung.

Fortsetzung folgt...

Bungou Stray Dogs - Adam und EvaWhere stories live. Discover now