Kapitel 5

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Eva's Himmelfahrtskommando.


Die nächsten sieben Tage vergingen wie im Flug, schnell und unbemerkt. Und ich konnte keinem Hinweis nachgehen, denn es gab keine. Als hätte sie nie existiert. Nach so einer Begegnung denkt man viel nach und lässt die Zeit unbedacht verfliegen. Ja, ich bin immer noch am Leben. Seit dem Zusammentreffen mit dem Mädchen scheint die Welt mich nicht mehr anzugreifen. Vielleicht liegt es an ihrem Duft, der an mir haftet. Nur kann ich mir nicht vorstellen, dass irgendjemand außer mir diese leichte Spur wahrnehmen könnte. Wahrscheinlich bilde ich mir das alles sowieso nur ein. Ich habe seit Tagen auch schon mega dir Paranoia verfolgt zu werden. Wobei ich mir da schon sicher bin, dass mich irgendwer beobachtet. Kopfschüttelnd versuchte ich meine Gehirngespinste loszuwerden und bog um die nächste Hausecke. Natürlich war ich Nachts unterwegs und die bunten Lichter des Supermarktes strahlten mir entgegen. Die Gegend hier war ziemlich verlassen und echt heruntergekommen, aber der Laden sah noch ganz in Ordnung aus. Selbst die Stromversorgung funktionierte noch und die Ladentüren öffneten sich automatisch, als ich davor stand. Lässig, die eine Hand in der Hosentasche, schlenderte ich in den leeren Laden und griff mir eine Trinkdose aus dem Kühlregal, die ich auch sofort öffnete und einen Schluck nahm. Mit meinem Blick durch die Reihen schweifend, ging ich weiter auf der Suche nach etwas essbarer Nahrung. Das Gemüse war bereits gammelig geworden und roch verfault. Der ganze Laden schien nicht mehr wirklich up to date zu sein. Als einziges sprach mich der leichte Alkoholgeruch, der in der Luft lag, an. Doch war es heute nun mal nicht meine Absicht mich ordentlich zu betrinken. Ich wollte nur etwas Essbares finden, dass halbwegs genießbar ist. Als ich gerade Richtung Fleischwaren Theke gehen wollte, nahm ich einen Schatten im Augenwinkel war und blieb stehen. Langsam drehte ich meinen Kopf zur Seite. Im selben Moment wandte sich der schmächtige Junge mir zu. Er war seltsam, genauso seltsam wie das fremde Mädchen. Er trug eine weiße Hose und ein weißes offenes Gewand darüber mit roten Verzierungen. Alles in allem glich es einer Uniform für Straftäter, was auch den Eisenreif um seinen Hals erklären würde. Allerdings schien seine Kleidung mich doch etwas zu sehr an einen Aufenthalt im Krankenhaus zu erinnern, obwohl es auch nicht wirklich passte. An seinen Gelenken waren deutliche Narben zu sehen, die zwar von Operationen aber auch von Experimenten stammen konnten. Ich musterte ihn und rührte mich nicht, ebenso wie er sich keinen Zentimeter bewegte. Auf seinem Gesicht zeichnete sich ein Lichtstreifen ab und ließ seine blasse Haut noch heller wirken. Die Reflektion stammt von dem glänzenden Beil, das in dem Holzbrett auf der Theke steckte. Das braune Holz war von dem getrockneten Blut des zerhackten und verarbeiteten Fleischs rötlich gefärbt. Allerdings muss es lange her sein, dass jemand hier seine Arbeit verrichtet hat und das schroffe Hinterlassene roch schon ganz fies, ebenso wie es aus der hinteren Kammer nach Verwesung stank. Da werde ich mit Sicherheit nichts Essbares mehr finden. Plötzlich ließ der ältere Junge seinen Kopf leicht nach hinten kippen, bevor dieser zur Seite fiel und seine gelben Augen mich verrückt anstarrten. Obwohl sein breiter Mund wie für ein verzerrtes Grinsen geschaffen war, verzog er keine Miene. Ich wusste nicht was oder wer er war, aber sein Auftreten wirkte verdammt selbstbewusst. Trotzdem wurde mir augenblicklich klar, dass er weder im Knast noch in einer Klinik gesessen hat. Nein, er muss aus einer Klapse ausgebrochen sein, denn ich war mir ziemlich sicher das er nicht entlassen worden ist. Der Erkenntnis nahe, dass er ein Verrückter sein musste und mir jeden Moment die Halsschlagader aufschlitzen würde, machte ich zögerlich einen Schritt zurück. Das ich vor wenigen Minuten noch einen riesen Hunger verspürt habe und nicht mal der Anblick der blutverschmierten und stinkenden Fleischtheke mich abschrecken konnte, wurde sofort nebensächlich. Schweiß perlte meine Schläfe hinunter und mein Körper wehrte sich verzweifelt gegen die Anwesenheit des Fremden, obwohl er nichts weiter tat, als still da zustehen. Während ich ihn nicht aus den Augen ließ, bewegte sich auf einmal eine dunkle Silhouette hinter den runden Scheiben der Kammertür. Wie versteinert starrte ich durch das Glas in der Hoffnung mir die Gestalt eines weiteren Fremden nur eingebildet zu haben. Noch im selben Augenblick zerberste ein Messer das Bullauge und blieb neben meinem Kopf in dem Regelrücken hinter mir stecken. Das Auge des zweiten Jungen blickte durch die zersplitterte Scheibe. Abrupt und mit plötzlich aufkommender Energie, wobei es eher heißes Adrenalin war, was durch meine Muskeln drang, machte ich kehrt und flüchtete vor den grellen Lichtern und der Jungen giftige Augen. Ich hatte weder die Realität noch ein erhofftes Ziel vor Augen und schlitterte um die Ecke direkt in meine alte Gasse. Die Gasse, die mir den roten Faden in diesem Stadtlabyrinth bot und mir eine Art Zuhause schenkte. Diese ekelerregende Gasse, in der ich auf einmal etwas so abscheuliches mit ansehen musste, sodass sie mir plötzlich völlig fremd und abstoßend vorkam. Ich konnte meine Augen nicht von dem glänzenden Lauf der polierten Waffe abwenden. Ob ich es wollte oder nicht, es war einer dieser Momente denen man nicht ausweichen, geschweige denn entkommen konnte. Der Tote unter der leicht bekleideten Frau, lag im Schatten der flackernden Laterne. Wieder durchströmte mich die pure Angst im Angesicht der seltsamen Fremden, die sich langsam und ohne mir auch nur einen Hauch von Aufmerksamkeit zu gönnen, zu ihrem Opfer beugte. Schlagartig wurde mir klar, dass sie ein Psychopath ist. Ein blutrünstiges Weib, realitätsfern und mit geschminkten Lippen, welche sich leicht öffneten. Erschrocken starrte ich auf ihre zierlichen Hände, die sich auf die gebräunte Haut an dem freiliegenden Hals des verstorbenen Mannes legten. Es war entsetzlich wie genüsslich sie seine Leiche folterte und erneut ihre Waffe ansetzte. Eine eiskalte Gänsehaut breitete sich über meinem Körper aus und mir wurde schlecht. Mein würgender Versuch meinen ungefüllten Magen zu erbrechen, holte mich aus meiner Starre und ich versuchte torkelnd wegzukommen. Immer wieder stützte ich mich an den kalten Hauswänden ab. Dann ertönte ihr Schuss. Ich hätte mir keine Hoffnungen machen sollen. Ja, vielleicht greift mich die Welt nun nicht mehr gezielt an, doch sie scheint mich mit einem gigantischen Spaß auf grausame Weise zu jagen. Direkt bis hier hin, zu dem verlassenen Basketballfeld im Ghetto. Keuchend, total außer Atem blieb ich stehen und stützte mich auf meinen Knien ab. Neben mir hörte ich mehrmals einen dumpfen Aufprall und drehte meinen Kopf in die Richtung des Geräusches. Etwas stieß an meinen Fuß und mein Blick schweifte nach unten. Ein orangefarbener Basketball lag dort, seelenruhig und ohne jegliche Bewegung. Misstrauisch erhob ich mich aus meiner gebückten Haltung und wandte mich zu der Richtung, aus die der Ball gekommen war. Drei junge Mädchen musterten mich mit ernstem Gesichtsausdruck. Alle waren sie merkwürdig gekleidet und hatten dieselbe seltsame Ausstrahlung wie all die anderen, die mir heute zufälliger Weise über den Weg gelaufen waren. Wahnsinnig riss ich meine Augen auf. Es war Horror, der blanke Horror, als würde ich in einem ausweglosen Alptraum gefangen sein. Nein, es ist kein Traum! Jetzt schien ich es zu begreifen. Es ist ihr schreckliches Spiel, auf welches ich mich so naiv eingelassen habe. Das ist die einzige plausible Erklärung. Ich bin nicht paranoid, diese Irren sind hinter mir her, sie haben es auf mich abgesehen. Egal wo ich hinlaufe, sie sind überall. Und doch sehen sie mich an, als würde ich sie in ihren Tätigkeiten stören. Als wäre ich der Irre! Verzweifelt schrie ich auf und krallte mich schmerzend in meine Haare. Ich bin verrückt, wie diese seltsamen Jungen aus dem Supermarkt. Ich bin gestört, wie die seltsame Lady aus der dunklen Gasse. Ich bin gruselig, wie die drei seltsamen Mädchen vom Basketballfeld. Ich bin nicht besser als all diese Monster, warum sollte es einen Ausweg für mich geben. Dieses Dasein ist mein Urteil und auch nicht dieses seltsame Mädchen mit ihren hoffnungsvollen Worten kann meine Fesseln lösen. Es ist eine reine Lüge gewesen, sie hat mich angelogen! Ohne mit der Wimper zu zucken hat sie mich verarscht. Wie konnte sie nur, nein, wie konnte ich nur so leichtgläubig sein. Brennend strömte das Blut durch meinen Körper und eine Welle aus Wut über mich selbst und diese gnadenlose und ungerechte Welt überschwemmte mich. Doch als ich mich schaurig lachend und mit tödlichem Blick zu meinen neu auserwählten Spielzeugen umdrehte, waren sie nicht mehr zu sehen. Die drei Mädchen waren verschwunden. Suchend streiften meine Augen über den einsamen Platz. Die aufflammende Verwandlung wurde augenblicklich erstickt, als ich wieder diese unangenehme Vorahnung verspürte. Urplötzlich hatte ich das miese Gefühl beobachtet zu werden und instinktiv verschärften sich meine Sinne. Diese stechenden Blicke in meinem Rücken, konnte ich auf einmal ganz deutlich wahrnehmen und drehte mich blitzschnell um. Ernst blickte ich meinen zwei Verfolgern entgegen, die es tatsächlich und auf unerklärliche Weise geschafft hatten, so lange Zeit unentdeckt zu bleiben.

Fortsetzung folgt...

Bungou Stray Dogs - Adam und EvaWhere stories live. Discover now