9. Kapitel

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"Meinst du das ernst?", fragte Julius sie, legte den Kopf schief und sah sie fragend an.            

Er war der Junge, der Samantha seit der fünften Klasse jeden einzelnen Tag schikaniert hatte. Wie oft hatte er sie geschlagen, wie oft hatte er sie beleidigt, wie oft hatte sie sich geschworen, es ihm irgendwann heimzuzahlen.

"Klar." Sie grinste ihn unschuldig an und fuhr sich durch die Haare.               "Du kleine Hure meinst also, du bläst mir einen, wenn ich dich heute in Ruhe lasse?", fragte er zum zweiten Mal und Samantha verdrehte die Augen. Sie antwortete ihm nicht noch einmal, doch dann grinste auch er, griff ihr Handgelenk und zerrte sie in eine Ecke des Schulgeländes, hinter einige Efeuranken.                                                                                                           "Na los", sagte er selbstsicher, "auf die Knie mit dir!"                                             Doch Samantha dachte nicht einmal daran. Julius stand in der Ecke und noch bevor er auch nur ein weiteres Wort sagen konnte zog sie etwas aus der Tasche ihres Pullovers und sagte seelenruhig: "Wenn du wüsstest, wie lange ich hierauf gewartet hab."             "W-Was hast du damit vor?", stammelte Julius fassungslos.                 "Das, was ich schon vor Monaten, vielleicht sogar Jahren, hätte tun sollen", sagte sie kühl und machte ein paar Schritte auf ihn zu.                           Als sie direkt vor ihm stand, setzte sie die kleine, silberne Pistole an seiner Stirn an und schmunzelte, weil sie genau wusste, dass die Autos und Buse, auf der anderen Seite des Efeus und hinter der Mauer, alles übertönen würden.                                   "Ich weiß, du hast mich immer gehasst und ich wüsste auch gerne, warum du es tust, weil ich dir nie irgendwas getan habe, aber das ist mir jetzt egal. Alles, was mich jetzt wirklich interessiert ist, die Gewissheit, dass du nie wieder die Gelegenheit haben wirst, mir zu zeigen, dass und wie sehr du mich hasst."

Sie wartete keine Antwort nicht ab, sie presste ihm nur schnell die Hand auf den Mund, wobei sie das wahrscheinlich auch hätte sein lassen können, denn er war wie erstarrt und rührte sich nicht. Er sackte lediglich zu Boden, als sie den Abzug betätig hatte und Samantha machte sich auch nicht die Mühe, seinen leblosen Körper, mit den immer noch weit aufgerissenen Augen, zu verstecken, denn der Unterricht hatte längst begonnen und es merkte ohnehin niemand, wenn sie fehlte. Das Efeu würde ihr genug Zeit verschaffen und wenn jemand Julius fand, würde sie längst nicht mehr dafür gerade stehen müssen.

"Wo bist du?", brüllte er durch die Wohnung und schlug sein leeres Bier gegen die Wand.
Samantha war von der Schule bis zur Wohnung ihrer Mutter und ihres Stiefvaters gesprintet. Sie war so schnell gerannt, dass sie immer noch kaum Luft bekam, aber sie hatte immer noch so einen enormen Adrenalinschub, dass es sie nicht weiter kümmerte.

Jetzt oder nie

dachte sie, kam aus ihrem Versteck hervor, schlich ihrem Stiefvater, der gerade die Küche betreten hatte, hinterher und schlug ihm mit einer Wasserflasche auf den Hinterkopf.

dry tearsWhere stories live. Discover now