Kapitel 10

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Lya merkte wie sie langsam zu sich kam. Sie spürte wie sich jemand über sie beugte und ihre Verletzung abtastete. Seltsamerweise spürte Lya sie kaum. Sie wollte die Augen öffnen und schauen wer das war, wo sie war und vor allem wo Tyr war. Denn das er es nicht war, erkannte sie am Geruch. Er würde nicht nach herben Kräutern riechen. Aber ihre Augen wollten sich nicht öffnen. Sie hörte gedämpft eine Stimme, als würde jemand mit ihr sprechen. Nur verstand sie die Worte nicht. Sie erinnerte sich, dass Tyr und sie geflohen waren und da war noch jemand gewesen. Ein Mensch, der wollte, dass sie die Mauer runter kletterten. War sie dabei gestorben? Sie konnte sich nicht erinnern unten angekommen zu sein. Ihre Gedanken verschwammen und Lya hörte auf nachzudenken und ließ sich von der friedlichen Stille davon tragen.

Als sie zum zweiten Mal aufwachte, schaffte sie es die Augen aufzuschlagen. Es war stockdunkel. Lya bekam Panik und drehte den Kopf, da sah sie einen kleinen Lichtstreifen auf dem Boden. Es musste eine Tür geben zu einem Nebenzimmer. Und in dem Nebenzimmer war jemand. Weil Lya sich lieber ihren Ängsten stellte, als unwissend zu bleiben, stieß sie vorsichtig einen Ruf aus.

"Hallo? Ist da jemand?"

Ihr Hals kratzte und sie räusperte sich. Aber ihr Hals blieb trocken. Sie brauchte dringend etwas Wasser. Ihr zögerlicher Ruf schien gehört worden sein, denn die Tür öffnete sich und eine Frau trat heraus. Lya atmete erleichtert aus. Die Frau sah nicht so aus als wollte sie Lya etwas tun. Sie hielt eine Lampe in der Hand und trat mit einem scheuen Lächeln näher.

"Wo bin ich?", fragte Lya.

"Im Krankenzimmer, du hast eine Stichwunde an der Schulter, die genäht werden musste. Erinnerst du dich?"

Lya nickte. Die Stimme klang so rau, dass Lya ein Schauer über den Rücken lief.

"Ich bin Rose", sagte die Fremde und hielt ihr ein Becher Wasser hin.

Lya nahm es dankend und trank gierig ein paar Schlucke, um ihre spröden Lippen zu befeuchten.

"Wo ist Tyr? Er ist mit mir gekommen. Kannst du ihn holen?"

Rose stellte bedächtig den Becher weh.

"Es ist spät du solltest noch ein bisschen schlafen."

Lya richtete sich ruckartig auf und zuckte zusammen als ein stechender Schmerz sie durchzuckte. Sie biss die Zähne zusammen und packte Roses Handgelenk.

"Was ist passiert? Was habt ihr mit ihm gemacht? Ich will ihn sehen. Ist er verletzt?", Lya merkte wie sie kurz davor war in Panik auszubrechen.

Ein kleiner Stich an ihrer Schulter ließ sie ungläubig den Kopf drehen. Rose hatte ihr etwas mit der Spritze gegeben. Sanft drückte Rose Lya zurück aufs Kissen, die durchs Schlafmittel zu schwach war um sich zu wehren.

"Er ist hier und es geht ihm gut. Vorerst ist er in Sicherheit", murmelte Rose nicht sicher ob ihre Patientin sie noch hörte.

~~~

Lya rannte. Hinter ihr hörte sie die Bestien heulen. Sie würden sie zerfleischen, sollten sie sie einholen. Der dichte Schneefall ließ den Weg vor ihren Augen verschwimmen. Schweiß kitzelte ihren Nacken aber sie wagte es nicht anzuhalten. Der Puls pochte im Rhythmus zu ihren Schritten. Der Wind peitschte ihr ins Gesicht. Ein Knacken rechts von ihr ließ sie den Kopf herum reißen. War da ein Schatten zwischen den Bäumen? Lya feuerte ihre Beine an noch schneller zu laufen. Sie durfte nicht anhalten, nicht ruhen.

Der Tod saß ihr im Nacken und wollte sie zerreißen. Eben noch rannte sie. Plötzlich trat sie ins Leere und fiel. Ein Schrei brach aus ihrer Kehle als sie in den eiskalten Schnee fiel. Hinter ihr ertönte Triumphgeheul. Es drang bis in ihre Knochen und ließ sie erzittern. Sie hob den Kopf uns sah eine schwarze Gestalt auf sich zukommen. Erleichterung durchfuhr sie. "Tyr", stöhnte Lya und streckte ihm die Hand entgegen. Er antwortete nicht, marschierte nur weiter auf sie zu. Lyas Haare stellten sich am ganzen Körper auf. Als die Gestalte anfing zu rennen, bekam Lya Panik und wollte sich aufrappeln, rutschte immer wieder weg. Der Körper des Fremden verformte sich, wurde zu einer der Bestien, die sie gejagt hatten. Lya schrie als er sich auf sie stürzte.

Ruckartig setzte Lya sich auf und unterbrach damit das Gespräch zweier Menschen, die vor ihrer Liege standen. Der Mann trat ans Bett. Es war der mit den grünen Augen, der ihr geholfen hatte zu fliehen.

"Hallo Lya, ich bin Zach und das ist Rose."

Er zeigte auf die Frau neben sich.

"Sie hat dich wieder zusammengeflickt."

Lya erinnerte sich dunkel an sie. Das kleine Fenster ließ genug Tageslicht herein, sodass Lya die Narbe sehen konnte, welche quer über Roses Gesichtshälfte verlief. Lya bedankte sich und wandte sich dann wieder an Zach.

"Wo ist Tyr?"

Zach sah ihr direkt in die Augen.

"Er ist in einem der unteren Räume untergebracht. Es geht ihm gut", versicherte Zach ihr.

"Ich möchte zu ihm", verlangte Lya.

Zach schüttelte den Kopf.

"Ich möchte nicht, dass du in der Verfassung aufstehst. Für die nächsten Stunden solltest du im Bett bleiben."

Lya wurde misstrauisch.

"Kann er zu mir kommen?", bohrte sie nach.

"Nein", sagte Zach entschieden.

Jetzt reichte es Lya. Entschieden warf sie die Decke zurück und schwang die Beine über die Kante. Erst jetzt bemerkte sie, dass sie nur noch ihr dünnes Unterkleid an hatte. Das Überkleid mussten sie ihr ausgezogen haben um an die Verletzung zu kommen. Zach trat vor sie bevor sie aufstehen konnte.

"Was wird das?", fragte er im ernsten Ton.

"Ich möchte ihn sehen", presste Lya zwischen zusammen gebissenen Zähnen hervor und hielt Zachs stechenden Blick stand.

Nach einer Weile nickte er.

"Na gut aber nur kurz. Rose wird dir beim Anziehen helfen."

Mit diesen Worten verließ er den Raum. Rose verschwand kurz im Nebenzimmer und kam dann mit einem Kleiderhaufen wieder heraus.

"Du bist größer als ich. Deshalb würden dir meine abgelegten Kleider nicht passen. Aber Rachel hat ungefähr deine Größe. Ich hoffe es stört dich nicht, dass es Hosen sind."

Lya hatte noch nie in ihrem Leben Hosen getragen. Es war ungewöhnlich aber nicht unangenehm. Als Oberteil bekam sie ein ausgefranstes Hemd, von dem sie die Ärmel hoch Krempel musste. Als hätte er gewusst, dass Lya fertig mit anziehen war, betrat Zach den Raum. Er kam zu Lya und schob die Arme unter Lyas Rücken um sie hoch zunehmen.

"Kann ich nicht laufen?", fragte Lya zögerlich.

Sie war noch nie jemanden außer Tyr so nahe gekommen.

"Du hast viel Blut verloren", antwortete Zach, "es kann sein, dass dir schwindelig wird. Ich will nicht, dass du dich noch mehr verletzt und dein Wolf sicher auch nicht."

Spiel der Wölfe Tyr & LyaWhere stories live. Discover now