Was Jetzt Kommt

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Als der Doktor verschwunden war, wartete Toni zehn Sekunden, huschte dann zu mir aufs Bett, nahm mein Gesicht in seine Hände und gab mir einen zärtlichen Kuss auf die Lippen.

Als sich unsere Lippen lösten, legte ich meinen Kopf auf seine Schulter und schloss die Augen, während Toni mir wieder und wieder kleine Küsse aufs Haar hauchte.

"Was bedeutet das jetzt?", fragte ich leise.

"Was?", antwortete Toni.

"Das alles", sagte ich.

Toni antwortete nicht und strich mir stattdessen mit seinen Fingern durchs Haar.

"Das bedeutet", meinte er dann und küsste mich hinter mein Ohr, "dass du sehr gute Fortschritte gemacht hast."

Ich dachte kurz über Tonis Worte nach, doch dann fragte ich: "Und meine Beine?"

Ich spürte wie Toni tief einatmete und wieder begann, mich mit Küssen zu bedecken.

"Toni!", sagte ich nachdrücklich und richtete mich ein wenig auf.

Toni schaute mir lange in die Augen, sog dann die Luft ein und sagte: "Das Problem bei deinen Beinen ist, dass die Behandlung, die wir gerade mit dir machen, nichts hilft, obwohl dein gesamter restlicher Körper sehr gut darauf anschlägt."

"Also", fragte ich vorsichtig, "werde ich... nie wieder laufen können?"

Toni presste die Lippen zusammen und schaute an die Wand. "Es gibt noch Möglichkeiten", sagte er kaum hörbar.

Ich schluckte und ließ mich wieder auf seine Brust fallen, während er seine Arme um mich schlang.

"Dieser Doktor hat etwas von Experimenten gesagt...", begann ich leise.

Ich spürte, wie sich Tonis Brustkorb hob und senkte, bevor er sagte: "Experimentelle Behandlungsmethoden, ja. Das bedeutet aber einfach, dass diese Behandlungen noch nicht so oft gemacht werden und man eben nicht so genau weiß, ob du darauf anschlägst. Aber vielleicht haben wir ja Glück."

Wir schwiegen und ich sann über Tonis Worte nach. Ich glaube, wir wussten beide, dass ein 'Vielleicht haben wir ja Glück' nicht sehr viel Hoffnung versprach.

Ich berührte seinen Hals mit meinen Fingern und schließlich mit meinen Lippen. Ich wollte mir keine Gedanken über so etwas machen. Ich wollte ihm einfach nah sein. Ihn sehen und hören und spüren.

"Was", sagte ich schließlich so leise, dass ich es selbst fast nicht hören konnte, "wenn ich gar keine Behandlung mehr will."

Ich spürte, wie Toni den Kiefer bewegte, bis er ebenso leise wie ich sagte: "Aber das ist vielleicht die einzige Hoffnung. Wir müssen wenigstens alles versuchen, das dir helfen könnte, wieder zu laufen."

"Aber Toni", meinte ich beharrlich, "was ist, wenn ich mich weigere?"

Toni schien sich unter mir zu verkrampften. "Du wirst zu nichts gezwungen." Seine Stimme klang nun so leise, dass ich all meine Energie dafür aufbringen musste, um ihm zuzuhören. Kaum hörbar fügte er hinzu: "Wenn du dich weigern würdest, dann könnten wir dich also entlassen..."

Ruckartig fuhr ich hoch. "Was?!", platzte es aus mir heraus. Auch Toni hatte sich nun aufgerichtet und schaute mich mit unergründlichem Blick an.

Er sagte nichts, also redete ich. "A-a-aber ich kann doch noch lange nicht alles. Hat der Doktor nicht gesagt, mein einer Arm wäre nur bei sechzig Prozent? Ihr könnt mich doch nicht entlassen, oder?", rief ich.

Als Tonis antwortete, war da wieder diese Sachlichkeit eines Arztes in seiner Stimme. "Für alles, was dir noch fehlt, musst du nicht hier bleiben. Du müsstest dann eben mehrmals die Woche zur Physiotherapie, aber das ist kein Grund, dich hier zu behalten"

Fassungslos ließ ich mich in mein Kissen sinken. Dieser Gedanke, dass ich vielleicht raus aus dem Krankenhaus könnte, ging nicht in meinen Kopf hinein. Natürlich hatte ich immer gehofft, ich würde bald raus können, aber irgendwie war das immer mehr ein Wunschtraum gewesen, an den ich selbst nicht wirklich geglaubt hatte. Und jetzt konnte ich vielleicht tatsächlich bald raus. Hinein in diese riesige Welt, von der ich bisher immer nur geträumt hatte.

Eine Weile lang saßen wir einfach still nebeneinander, jeder in seinen eigenen Gedanken.

"Toni?", fragte ich schließlich.

"Ja?", antwortete er.

"Irgendwie habe ich noch nicht ganz verstanden, was jetzt ist. Werden diese experimentellen Behandlungen jetzt einfach so gemacht oder werde ich gefragt und wie lange dauert das und..."

"Nia", sagte Toni beruhigend und ich verstummte, "Erst einmal treffen wir uns mit verschiedenen Ärzten und beraten uns, welche experimentelle Behandlung für dich in Frage kommen würde und dann wird sie dir vorgestellt."

"Und dann?"

"Dann ist es allein deine Entscheidung, wie es weiter geht. Deine Standardbehandlung in diesem Krankenhaus ist abgeschlossen. Du musst sagen, ob du diesen Zusatz willst."

Ich schaute an die Decke. Tausend Gedanken und Gefühle wallten in mir auf. "Uff", machte ich nur und dann schwiegen wir beide wieder einige Zeit.

"Toni?", fragte ich schließlich erneut

Toni schaute mir in die Augen und hob fragend die Augenbrauen.

"Du fändest es nicht gut, wenn ich jetzt entlassen werden würde, oder?"

Toni seufzte. "Ich würde mich sogar sehr freuen", sagte er, "Ich würde so gerne mit dir raus in die Welt. Aber ich habe eben Angst, dass wir dann deine Beine nie mehr retten können."

Ich streckte meine Hand nach seiner aus. Natürlich wollte ich laufen. Ich wollte es wirklich sehr. Aber mir war eben auch bewusst, dass es vielleicht schon lange zu spät war und dass diese experimentellen Behandlungen genauso gut nur unnötige Quälereien bedeuten konnten.

Die Welt..., dachte ich, Ich in der Welt da draußen... Aber... Im Rollstuhl? Für Immer? Und das, obwohl da vielleicht eine Chance gewesen wäre? Aber was wenn ich diese Behandlung mache und sie nicht klappt? Noch mehr Monate im Krankenhaus? Vielleicht mit noch mehr Schmerzen und Leid?

War es mir das wert?

You Restore Me - Tonia Where stories live. Discover now