Freiheit

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Und dann war er plötzlich da.
Der Tag, der alles ändern sollte.
Der Tag aller Tage.
Der Tag meiner Entlassung.

Die ganze Nacht konnte ich vor Aufregung kaum schlafen und so saß ich bereits wach und fertig in meinem Bett, als Toni schließlich um Punkt acht Uhr in der Früh mein Zimmer betrat.

Mir fiel auf, dass er feierlich in einem bunten Hemd gekleidet, welches ich noch nie zuvor an ihm gesehen hatte. Unwillkürlich musste ich wegen der süßen Geste lächeln.

"Guten Morgen, Liebster", sagte Toni und legte eine Tüte, welche er mitgebracht hatte, auf mein Bett. Er war mindestens so aufgeregt wie ich, das spürte ich sofort.

"Hi", antwortete ich und versuchte dabei, möglichst entspannt zu wirken.

Kurz lächelte mir Toni zu, dann zog er einige Kleidungsstücke aus der Tüte.

"Ich dachte, du kannst nicht in diesen Krankenhausklamotten dein neues Leben beginnen", sagte er, "deshalb hab ich dir ein paar von meinen Klamotten mitgebracht, ich hoffe, sie passen einigermaßen."

Ich lächelte schief und nickte. Er war einfach der Beste.

Dann half Toni mir in die Klamotten. Es fühlte sich fremd in ihnen an. Aber auch irgendwie aufregend neu. Außerdem rochen sie nach ihm und irgendwie beruhigte mich das.

Nervös atmete Toni ein und aus, dann fragte er mich: "Sonst alles fertig?"

Ich nickte und er holte meinen Rollercoaster herbei und half mir beim Hineinsetzen. Dann schob er mich ein Stück in Richtung Tür und ein letztes Mal schaute ich mich in meinem Zimmer um, dem Ort, an dem ich so bedeutende Dinge erlebt hatte und an dem die schönste und schlimmste Zeit meines Lebens passiert war.

Leise seufzte ich.

Ich war so aufgeregt und freute mich so, aber irgendwie war es auch fürchterlich traurig, dass ich jetzt ging. Plötzlich fielen mir tausend Dinge ein, die draußen vielleicht schlechter und schwierig werden würden und ich bekam Angst. Aber es gab kein Zurück mehr und so schluckte ich den Klos in meinem Hals herunter.

Gerade wollte ich mich abwenden, da fiel mir das Fenster ins Auge, von dem ich mich in der Anfangszeit immer gefragt hatte, was es zeigen würde.

Wie von selbst rollte ich nun an das Fenster heran und nach und nach eröffnete sich mir der Blick nach draußen.

Erst sah ich nur den blauen Himmel, dann Berge am Horizont und dann die Stadt. Man sah einige graue Häuser und unten eine Straße, die von Autos befahren war. Außerdem eine Frau mit Kind und ein Mann mit Hund, die den Bürgersteig entlangliefen. Absolut unspektakulär eigentlich, aber in diesem Moment bedeutete es mir viel.

Toni war inzwischen hinter mich getreten und einige Zeit schauten wir beide nur schweigend nach draußen und betrachteten sie Stadt. Mein Herz pochte, als Toni schließlich seine Lippen an meine Ohr legte.

"Hast du Angst?", fragte er leise.

Ich schluckte erneur. "Ein bisschen."

Seine Lippen legten sich auf meinen Hals und ich schloss die Augen, während ich noch einmal alles in mich aufsaugte.

Dann zog Toni langsam meinen Rollstuhl zurück und ohne noch einmal zurückzublicken, verließ ich mein Zimmer.

Langsam, ja fast bedächtig schob Toni mich durchs Krankenhaus und mein Herz klopfte immer schneller. Am liebsten hätte ich mich umgedreht und diese verrückte Idee, entlassen zu werden, verworfen.

Doch schneller als erwartet bogen wir schließlich schon um die Ecke zur Eingangshalle und ich traute meinen Augen nicht: Alle waren da. Alle Menschen, die mich hier behandelt hatten, die sich um mich gekümmert und für mich da gewesen waren. Sie alle standen jetzt in einer langen Reihe in der Eingangshalle und lächelten mich an.

Schnell drehte ich mich zu Toni um. "Hast du damit was zu tun?", fragte ich nervös.

Toni zwinkerte mir zu. "Ich dachte, du würdest dich freuen, wenn alle nochmal da sind und dich quasi noch einmal begleiten."

"Wow... Danke", hauchte ich und drehte mich wieder zu den Menschen um. Ich griff an die Räder meines Rollstuhls und fuhr langsam auf sie zu.

Prof. Dr. Onkh war der Erste in der Reihe. Als ich vor ihm stehen blieb, lächelte er mir mit seinem warmherzigen Lächeln zu. Dann gab er mir die Hand, entschied sich dann aber doch dafür, mich in den Arm zu nehmen.

"Danke für alles", flüsterte ich ihm gerührt zu, "Sie waren wie ein Fels in der Brandung für mich." Dr. Onkh zwinkerte mir zu. "Ich wünsche dir alles Gute", sagte er und klopfte mir auf die Schulter.

Dann folgten Massen von Ärzten und Schwestern. Sie gaben mir die Hand und einige umarmten mich. Tausende Gefühle wirbelten dabei in mir herum. Aufregung, Dankbarkeit, Freude, Traurigkeit.

Dann sah ich den Tiger und den Clown, welche beide voll kostümiert gekommen waren. Rezo strahlte, als ich ihn sah und umarmte mich stürmisch und Joey hielt mir grinsend ein Luftballontier hin. Ich lächelte beide an und nickte ihnen zu.

Plötzlich war die Tür sehr nah und schließlich waren da nur noch Ju und Anni übrig.

Anni weinte und stürzte auf mich zu, während sie unverständliche Dinge redete und fest ihre Arme um mich schlang. Auch mir schnürte es dabei die Brust zu und ich klammerte mich genauso fest an sie wie sie sich an mich. Eine Weile hielten wir uns gegenseitig fest, dann löste sich Anni von mir. Wie ein begossener Pudel stand sie da und Ju legte einen Arm um sie.

"Es ist...", sagte sie weinerlich, "Als würde man mühevoll einen kleinen Welpen aufziehen und dann wird er weggegeben."

Ju strich ihr noch einmal über den Arm, dann wandte er sich mir zu. "Ich bin so stolz auf dich, Bruder", sagte er zu mir und ich musste lächeln.

Dann sagte ich aus vollem Herzen: "Danke Ju. Danke ihr Beide. Ihr habt mir so geholfen und Ihr wart so wichtig für mich und seid es immer noch."

Anni schniefte und Ju hob grinsend die Hand und ließ mich einschlagen. Dann zog auch er mich noch einmal in seine Arme.

Der Abschied von Ju und Anni fiel mir am allerschwersten und ich wollte mich gar nicht von ihnen trennen, aber es war Zeit. Nachdem ich hoch und heilig versprochen hatte, sie besuchen zu kommen, fuhr ich also die letzten Meter in Richtung Krankenhaustür.

Direkt davor blieb ich stehen. Ich drehte mich um und schaute zu Toni hoch, welcher direkt hinter mir stand. Dieser lächelte und nickte. Mit pochendem Herzen holte ich nun also tief Luft, fasste mit beiden Händen an den Griff und öffnete die Tür.

Grelles Sonnenlicht kam mir  entgegen und instinktiv suchte ich Tonis Hand, während ich die Augen schloss und alles in mich aufnahm. Alle Traurigkeit, die ich eben noch in mir gespürt hatte, war wie weggefegt. Da war nur die Euphorie dieses Augenblicks.

Mit geschlossenen Augen schmeckte ich die frische Luft. Es war nicht die perfekte Luft. Man konnte die Abgase riechen und den Staub im Hals spüren, aber für mich war es dir klarste, erfrischendste und beste Luft, die ich wohl je geatmet hatte. Ich atmete tief ein und aus und genoss.

Nach und nach drangen nun auch Geräusche in mein Ohr. Hauptsächlich waren es die Autos auf der nahe gelegenen Straße, aber als ich mich konzentrierte, konnte ich auch den Wind in den Bäumen und Vogelgezwitscher hören.

Schließlich öffnete ich langsam die Augen. Alles war so groß, so weit, so frei. Ich fühlte mich, als würde ich gerade geboren werden. Ich fühlte mich, als sei ich neu in einer wundervollen, bunten, farbigen, weiten, freien Welt geboren.

Eine Weile schob mich Toni durch die Straßen und wir beide sagten kein Wort, sondern genossen nur.

Unbändige Freude hatte sich in mir ausgebreitet. Ich hatte es geschafft! Ich lebte und ich fühlte mich gesund und ich hatte Toni und ich hatte die Welt.

Irgendwann blieb Toni stehen und kniete sich vor mich, um auf Augenhöhe mit mir zu sein.

Ich grinste über beide Ohren und Toni grinste zurück. Unsere Blicke sagten mehr, als alle Worte der Welt.

Pures Glück.

"Und jetzt, Doktor Pirosa?", flüsterte ich schließlich.

"Alles, Nia."

You Restore Me - Tonia Where stories live. Discover now