Too guilty to be happy

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Ein paar Stunden später wird er neben ihr wach. Wie er gesagt hat, hat er sich noch zu ihr gesellt und ist auch sofort eingeschlafen. Er liegt zu ihr hingedreht und blickt in ihr Gesicht. Sie schaut friedlich, aber auch etwas fertig aus. Natürlich kommt ihn sofort der Sex mit ihr in den Kopf, der ihn tief ein und wieder ausatmen lässt. Richard dreht sich auf den Rücken und starrt an die Decke. Was hat er sich dabei nur gedacht gehabt? Er hat das bekommen, was er seit einigen Tagen begehrt hat, doch wirklich glücklich fühlt er sich dabei gerade nicht. Der Mann steht auf und geht ins Bad, um sich umzuziehen. Er beschließt sich ins Studio zu fahren, obwohl er seinen Wagen noch nicht mal bewegen dürfte, so schwummerig ist ihm noch von dem Alkohol. Als er fertig ist, geht er wieder ins Schlafzimmer und sammelt dort seine Sachen auf, die er an Ort und Stelle fallen gelassen hat. Er legt sie zur Seite und schleicht sich dann heraus. Er hält sich nicht länger als nötig in der Wohnung auf. Nur für eine Zigarettenlänge und einen Kaffee, den er kaum genießt sondern sich einfach nur hinter kippt. Genießen will er ihn auch nicht, er soll ihn nur wach machen und etwas klarer im Kopf. Dann nimmt er seinen Schlüssel und geht.

Eine Stunde später wacht auch Kim leicht verkatert auf. Sie schaut neben sich, doch niemand ist da. Auch nach extremen lauschen, vernimmt sie keine Bewegung in der Wohnung. Es herrscht pure Stille. Sie denkt an die heiße Nacht mit ihm und weiß gerade nicht, ob sie sich freuen oder weinen soll. Sie steht auf ihn, dass ist ihr mehr als klar. Er bringt ihr Herz zum rasen und der Sex war mehr als nur guter. Doch er hat danach so komisch gewirkt, so als ob er das ganze bereuen würde. Doch warum? Ist es wirklich nur weil sie in der Bar arbeitet oder ist da noch was anderes? Sie stellt sich gerade sehr viele Fragen, da er sie einfach, ohne Erklärung, liegen gelassen hat. War es das jetzt oder geht es zwischen ihnen noch weiter? Sie zieht sich ihre Decke über den Kopf, will sie diese Gedanken gerade gar nicht haben. Nachdem sie noch etwas in dem Bett verweilt hat, steht sie dann doch mal auf und hopst unter die Dusche. Das hemmt das Grübeln nicht wirklich ein und ihre Laune wird immer schlechter. Sie möchte das gar nicht, doch ungewollt verbreitet sich schlechte Stimmung in ihr. Nachdem sie sich frisch gemacht hat, beschließt sie ihren Gammeltag nachzuholen, der einst von ihm unterbrochen wurde. Doch als sie im Wohnzimmer angekommen ist, sieht sie das Chaos auf den Tisch, welches sie schon über Nacht verdrängt hat. Schnaufend und lustlos macht sie sich ans Aufräumen. Die Flaschen sammelt sie alle in der Kiste und die restlichen pfandfreien Flaschen, Gläser und Pinchen stellt sie in die Küche. Zu mehr hat sie jetzt keine Lust mehr. Den Aschenbecher entleert sie dennoch, kann sie diesen Geruch der Zigarettenstümmel gerade gar nicht ertragen. Auch diesen hat sie nun verbannt und kann sich dann endlich auf dem Sofa breit machen. Sie nimmt sich die Wolldecke von der Lehne und vergräbt sich in ihr. Sie möchte ja nicht theatralisch klingen, aber so wie sie sich gerade fühlt, mit dieser Ungewissheit, fühlt es sich wie Liebeskummer an. Liebeskummer, so was, was die Teenies sonst immer haben und was sie auch das letzte mal in diesem Alter verspürt hat. Sie nimmt sich ihr Handy, was auf den Tisch liegt und stellt sich vorsichtshalber einen Wecker. Wird sie bestimmt gleich wieder wegdösen und muss sie später noch zur Arbeit. Anschließend guckt sie in ihre Nachrichten rein. Keine von ihm, obwohl er heute schon online gewesen ist. Soll sie ihn schreiben? Sie ist sich gerade so unsicher, dass sie ihr Vorhaben aus den Kopf schüttelt. Sie legt ihr Handy wieder nieder und lässt sich von dem Fernsehprogramm berieseln, während sie langsam aber sicher wieder einschläft.

In der Zwischenzeit im Studio. Der Track, den er noch spontan aufgenommen hat, ist nun fertig. Ein letztes mal geht er durch den Feinschliff, bis er auch 100%ig damit zufrieden ist. Paul und Joe sind derweil auch schon angekommen. Sie sind auch verkatert, doch wirken sie frischer, als Richard. Der Drummer setzt sich links von Richard und Paul bleibt links von Joe stehen. Zum vorerst letzten mal, lässt er den Song, welcher den Namen 'Babe' trägt, laufen und alle hören gespannt zu. Nichtmal reden tun sie dabei. Richard ist dabei leicht nach vorn gebeugt und als das Lied zu Ende ist, lehnt sich Joey zurück in den Stuhl und klopft auf Richards linke Schulter.
„Oh man, you really have a crush on her!", sagt er dazu freudig, doch merkt man den Gitarristen schnell an, dass er es nicht so erfreulich findet. Scholle schnaubt etwas und lehnt sich dabei weiter nach vorn. Seine Ellenbogen stützt er auf das Mischpult ab und reibt sich anschließend mit seinen Händen durch sein Gesicht. Beide sehen ihn eine gewissen Verzweiflung an. Der Drummer guckt ihn an und ahnt da was.
„Ooooh dude, did you slept with her?".
Auch Paul guckt gespannt zu den gefragten.
„Ja.", gibt er ihnen die ehrliche Antwort und atmet dabei stark aus.
„What?!", bricht ihnen gleichzeitig auf englisch hervor.
„Es ist halt so passiert...", spricht er verzweifelt weiter.
„Scholle, du kleener Schlingel. Sach, wie war's?", grinst der Berliner, kann er gerade nichts schlechtes dran sehen. Gerade weil er immer ihre Nähe sucht und sie diese auch nicht ausschlägt.
„Mensch Paul, dass ist nicht lustig!", sagt Richard mit leichten aggressiven Ton.
„Ick mach' mich och nit lustig darüber. Ick weeß nit wo deen Problem liegt?", verteidigt Paul sich, verschränkt seine Arme dabei und ist plötzlich nicht mehr der immer fröhliche Berliner.
„Really. Where's your problem? She is amazing and really funny. She's such a beautiful woman.", fügt der Amerikaner etwas aufgebracht hinzu. Förmlich kann er dann auch spüren, wie Paul hinter ihm die Augen verdreht, kommt er gerade selber auf die Antwort.
„Oh man, es jeht um diese dämliche Rejel oder?", „Which rule?", möchte der Drummer nun auch wissen, dreht sich dabei auf dem Stuhl zu den Rhythmusgitarristen um. Weiß er denn davon nichts.
„Ach weeßte, der Herr Kruspe hat sich selber die Rejel aufjelegt, nichts mit Rick's Personal anzufangen, nich' ma' eenen One Night Stand.", klärt er ihn auf und lässt es sich nicht nehmen, dass man anhand seiner Stimmlage sofort merkt, wie dämlich er diesen Vorsatz doch findet. Gerade jetzt wo das mit Kimmy passiert ist.
„Are you kiddin'? Give a damn fuck of this stupid rule! This is bullshit, Richard and you know this!", regt sich nun auch sein Kumpel aus Übersee auf. Natürlich ist das dämlich, dass weiß der schwarzhaarige selber auch, doch den Gedanken daran, dass er die Kontrolle über was verloren hat was er sich selber aufgelegt hat, dass macht ihn nachdenklich.
„Die Frau tut dir echt jut, dit merken wa alle. Du bist immer jut jelaunt, bis jetzt, und super kreativ. Du hast een Lied über sie jeschrieben. Ick find' mehr brauch' man dazu nich' sachen. Verjiss diese Rejel.", „Yeah man break the fucking rule.", reden beide auf ihn ein und versuchen ihn in die richtige Richtung zu lenken. Scholle verstummt. Er weiß nicht, was er dazu noch sagen soll. Sein Kopf dröhnt, so viel ist in diesem los. Er will gerade nur eins und zwar aus dieser Situation raus. Wortlos steht er auf und geht Richtung Ausgang.
„Ich muss mal an die frische Luft.", gibt er noch Bescheid und bevor ihn seine Freunde davon abbringen können, ist er auch schon verschwunden. Ein Spaziergang, den brauch er jetzt. Er muss seinen Kopf frei bekommen, was sehr schwierig wird. Er ist an einem Punkt angekommen, an dem er selber nicht mehr weiß, was er will oder was ihm wichtiger erscheint.

Später am Tag hat Kim ihren Dienst an der Theke angetreten. Der Mittagsschlaf hat ihr gut getan. Die Kopfschmerzen sind, durch ihr Nickerchen, verflogen, doch die miese Stimmung ist leider geblieben. Heute hat sie sich freiwillig für den Ausschank gemeldet und Fancy übernimmt ihren Platz an der Spüle. Sie braucht Arbeit. Um so mehr sie zu tun hat, um so weniger denkt sie an ihn und anfangs klappt das auch sehr gut. Irgendwann betritt dann Paul die Bar und zwar alleine. Kein Richard, kein Joe, nur er. Anstatt sich auf den Hocker zu setzen, geht er hinter die Bar, um seine Freundin mit einen Kuss zu begrüßen. Rick und Martha haben nichts dagegen. Er ist Scholle's Kumpel und mindestens genauso hilfsbereit, wenn mal was ist. Ja sogar an der Zapfsäule stand er schon, als der Schuppen brannte.
„Hey Großer, na wie war dein Tag? Wieder nüchtern?", begrüßt die Brünette ihn herzlich und erwidert seinen Kuss.
„Naja, jeht so, ne. Also zu beedem.", grinst er und legt seine Hände auf ihre Hüfte. „Und dir so?", erkundigt er sich dann natürlich auch nach ihrem Wohlbefinden.
„Ich lag noch lange, gemütlich in deinem Bett und ließ den Fernseh laufen.", lächelt sie und zieht ihn damit etwas auf, weiß sie das auch er gerne liegen geblieben wäre.
„Da wär ick jern mit dabei jewesen.", schmollt er, bekommt dann aber als Trost von ihr einen Kuss. Dann erspäht er Kim, die gerade einige Biere zapft. Klar hat sie ihn schon bemerkt, aber nichts gesagt. Reden ist heute nicht so ihre Leidenschaft.
Er lässt von seiner Freundin und guckt grinsend zu Richards Mitbewohnerin.
„Du kleene Maus warst mit dem Scholle im Bett hab ick jehört?", spricht er sie, mit seinem immer gut gelaunten Gesichtsausdruck, darauf an. Bevor die Frau darauf reagieren kann, drehen sich Martha, Sally und Fancy mehr als nur überrascht, ja sogar fast geschockt zu ihr um.
„WAS???", kommt von allen laut und wie aus der Kanone geschossen. Mit einem bösen Blick guckt sie ihn an. Was muss er das jetzt ansprechen, vor all den anderen?
„Danke, Paul.", sagt sie dann nur sauer und mit einem abwertenden Ton. Ihm entgleiten alle Gesichtszüge, wollte er sie damit nicht in die Pfanne hauen, doch ahnt er nicht, dass das hier noch nicht die Runde gemacht hat.
„Oh 'tschuldigung. Ick dacht' ihr Mädels hättet da schon drüber jesprochen.", „Nee haben wir nicht und ich muss sagen, ich bin gerade ziemlich neidisch.", mischt sich Fancy mit ein. „Nichts für ungut, Honey.", hängt sie noch hinten dran, doch weiß Paul wie es seine Freundin meint. Kennt er die Geschichte von den beiden ja. Er winkt es dann nur grinsend ab, denn ist sie nun seine Freundin.
„Wow, jahrelang hat er es geschafft und dann kommt unsere Kimmy und knackt den Typen.", sagt Martha schon fast stolz.
„Und wie war es? War er gut?", will nun auch Sally wissen und steht mit erwarteten Blick vor ihr. Keiner bemerkt gerade, dass ihr es nicht nur etwas unangenehm ist, sondern auch nicht gerade glücklich drein schaut. Viel zu groß ist die Aufregung bei ihren Kollegen. Paul nimmt es wahr, hat er den gleichen Ausdruck schon bei seinem Kumpel sehen müssen. Auch die Tatsache, dass er nicht hier ist, sondern Paul alleine die Bar betreten hat, knickt sie zusätzlich.
„Ick glob wir sollten se erstma still schweigend jenießen lassen.", rettet ausgerechnet der Berliner, der sie erst in diese Lage gebracht hat, die junge Frau aus dem Verhör und bestellt anschließend eine Cola bei der Brünetten. Daraufhin setzt er sich auf einen der Barhocker und wartet auf sein Getränk. Dabei beobachtet er Kim, wie sie sichtlich in ihrer Welt versunken ist. Sie ist ruhig. Redet nur wenn sie muss. Ein Smalltalk sucht er bei ihr heute vergeblich. Ihm tut es gerade sehr leid, dass er mit seiner Aussage von vorhin, mit der Tür ins Haus gefallen ist.
„Is' allet ok bei dir?", fragt er sie ruhig. Er bekommt ein Seufzer als Antwort, will sie doch da nicht drüber nachdenken, wie schlecht sie sich wegen einer tollen Nacht fühlt. Es ist ein Widerspruch in sich, aber das er nicht da ist, verstärkt ihr Gefühle ungemein. „'Tschuldige, ick wollte nischt aufwühlen oder so und wejen jerade tut mir och leid.", „Ist schon in Ordnung, Paul... Doch heute morgen war er nicht mal mehr da. Kein Zettel, keine Nachricht... die hat er mir sonst immer geschrieben... Ich meine... das er jetzt auch nicht hier ist, sagt ja schon alles.", sprudelt bedrückt aus ihr heraus. Paul muss zugeben, dass es wirklich komisch ist, dass er nicht mitgekommen ist. Ist er sonst jeden Abend hier, allein schon um sie mit nach Hause zu bringen. Doch will der Workaholic noch was im Studio hantieren, was der Berliner ihr auch nicht vorenthalten möchte. Vielleicht kann er sie damit etwas beruhigen.
„Ach du, der wollte noch etwas werkeln. Kennst'n doch und Joe hat noch einijes zu erledijen, weswejen ick aleene hier bin.".
„Wie war er heute so drauf?", hakt sie nach. Eigentlich möchte sie es gar nicht wissen, doch die Neugier lässt nicht locker.
„Joey? Der war super...", fängt er an und wird sofort von Kim unterbrochen.
„Paul, im Ernst. Wie ist er drauf gewesen.?", fragt sie erneut. Ihr ganzer Körper spannt sich an und wartet auf die Antwort des Rhythmusgitarristen.
„Sehr nachdenklich und nich' janz so glücklich, etwas...", „Das hab ich mir schon gedacht...", unterbricht die Barkeeperin mit den schwarzen langen Haare ihn wieder.
„Hey hey, mal' den Teufel nich' gleich an de Wand. Der kricht sich wieder een. Manchmal is' er halt een bisschen schwierich, weeßte? Lass ihm seene Zeit, wat anderes nützt da nischts bei ihm."; versucht der Berliner ihr Mut zuzureden und erklärt ihr, dass Richard nicht immer so einfach und ausgeglichen ist, wie er es in der letzten Zeit immer gewesen ist. Kimmy versucht ein kleines Lächeln auf ihren Lippen zu zaubern, was ihr nur wenig gut gelingt, aber der Ansatz ist da.
„Na siehste, da is' een kleenes Lächeln.", entfährt ihn auch eines, muss seine Beruhigung etwas geholfen haben.
Der Berliner bleibt auch nicht lange, ist er noch ziemlich fertig von der Nacht, was Fancy verstehen kann. Sie hat sich ja noch ausruhen können, doch er hatte Dienst am Mischpult. Davon mal abgesehen sind sie mit ihren eigenen Autos hier, also ist es nicht schlimm, wenn einer von ihnen früher fährt. Sie verabschieden sich noch zärtlich und dann fährt er.
Den restlichen Abend ist von Scholle nichts zu sehen. Keine Nachricht, nichts. Selbst als sie Feierabend hat, steht er nicht vor der Tür, um sie abzuholen. Sichtlich geknickt steht sie am Straßenrand. Fancy läuft von hinten auf sie zu und legt ihren Arm um sie.
„Hey, komm mit. Ich bringe dich.", bietet sie ihr einfühlsam eine Mitfahrgelegenheit an. Nickend nimmt Kim die Geste an und folgt ihr wortlos. Auf der ganzen Fahrt reden sie kein Wort. Franziska weiß aus eigener Erfahrung, wie es ihr gerade ergehen muss. Auch weiß sie, dass ihre Kollegin Richard wohl nicht nur mag, sonder sich in ihn verliebt haben muss. Die Blicke die sich immer ausgetauscht haben und die Nähe die sie ab und an zu einander hatten, haben immer tausend Bände gesprochen.
Als sie da sind, hält sie vor dem Mehrstöckigen Haus und die gebürtige Amerikanerin schaut nachdenklich aus dem Fenster. Dann atmet sie stark aus und greift nach ihrer Tasche, die im Fußraum liegt.
„Kimmy, wenn was ist kannst du immer gerne zu mir kommen.", bietet sie ihr ein offenes Ohr und seelische Unterstützung an. Das bringt Kim zu einen verhaltenen Lächeln. Wenn man bedenkt, dass sie anfangs wegen Scholle auf Kriegsfuß gestanden haben, ist sie um so glücklicher über Fancy's Angebot.
„Danke... und Danke für's bringen.", „Keine Ursache.", lächelt auch die Fahrerin und verabschiedet sich bei ihr, als Kim aussteigt. Auf den Weg zur Haustür, sucht sie ungewollt sein Auto, doch sehen kann sie es nirgendwo. Als sie die WG betritt, stellt sie fest, dass sie alleine ist. Die junge Frau macht nicht mehr viel und geht ins Bett. Sie will einfach nur schlafen, über nichts mehr nachdenken. Sie kann von Glück reden, dass sie ziemlich müde ist und schnell einschläft.

Tiefe Wasser sind nicht stillWo Geschichten leben. Entdecke jetzt