Heimkehr

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Seufzend lehnte Annabeth ihren Kopf an Percys Schulter. Der Zug ratterte über die Schienen, doch der Sohn des Poseidon schlief scheinbar seelenruhig. Einzig seine gequälte Miene zeigte seiner Freundin, dass er vermutlich nicht so gut träumte.
Doch aufwecken wollte sie ihn nicht. Ein bisschen Schlaf tat ihm nämlich sicher gut, selbst wenn die Träume nicht schön sind, wie sie fand.
Annabeth selbst konnte nicht schlafen. Zu groß war die Angst, die Erinnerungen der letzten Wochen könnten sie heimsuchen. Sie seufzte leise als sie an ihre Freunde dachte.
Was sie wohl gerade machten? Aus dem Augenwinkel sah sie den Schaffner vorbeilaufen. Er wirkte müde und gähnte. Sicher freute er sich auf Zuhause, auf seine Familie, sein Bett, seinen lang ersehnten Schlaf.
Annabeth auch, nur dass sie nicht wusste wo ihr Zuhause war.
Sicher, in Camp Half-Blood war sie aufgewachsen, doch wie lange konnte sie da ohne Gedanken an die Halbgötter, die im Krieg starben, in Ruhe leben?
Die Kriegsgeräusche waren noch nicht ganz aus ihrem Kopf verschwunden, noch immer hallten Schreie und aufeinander treffende Klingen in ihren Gedanken wieder.
Seufzend drehte sie ihren Kopf zum Fenster, sehnlichst hoffend, ihre Gedanken in eine andere Richtung lenken zu können.
Draussen zog die Umgebung vorbei, doch viel sah man von der ,bei Tageslicht wunderschönen Umgebung, in der Dunkelheit nicht. Die Schwärze vor dem Fenster erinnerte Annabeth an den Tartarus. Beim Gedanken daran erschauderte sie.
Sie zog ihre Füße an sich, schlang ihre Arme um ihr Knie und stützte darauf ihr Kinn ab.
Warum nur konnte sie kein ganz normaler Teenager sein? Annabeth wünschte sich nichts mehr als ein normales Leben, mit einer normalen Familie, normalen Freunden, mit einer ganz normalen Schulzeit. Doch die Vergangenheit kann man ja bekanntlich nicht ändern.
Doch anderseits war Annabeth über vieles, was ihr passiert war, froh. Wäre sie keine Halbgöttin, hätte sie ihre Freunde nie kennengelernt und Percy somit auch nicht. Und ohne den Sohn des Meeresgottes zu leben, konnte sie sich inzwischen nicht mehr vorstellen.
Lächelnd betrachtete sie ihn. Er hatte sich inzwischen wieder entspannt und schlief seelenruhig weiter.
Annabeths Blick wanderte weiter zu dem Platz ihr gegenüber. Dort saß Nico di Angelo, völlig erschöpft und kurz vor dem Einschlafen. Er bemerkte ihren Blick und sah sie fragend an.
,,Alles gut?" fragte Annabeth ihn leise. Er nickte. ,,Hab mich wahrscheinlich nur etwas übernommen" meinte er und starrte aus dem Fenster. Sie musterte ihn noch eine Weile.
Der Sohn des Hades schlief langsam ein. Annabeth musste leicht grinsen. Es sah irgendwie witzig aus wie er an der Fensterscheibe klebte, den Mund leicht offen, die Haare total verstrubbelt. Inzwischen begann Percy leicht zu schnarchen.
Annabeth unterdrückte ein Lachen um die Jungs nicht aufzuwecken.

Anscheinend war sie irgendwann doch eingedöst, denn sie wurde erst wieder wach, als eine Durchsage ihren Bahnhof ankündigte. ,,Percy? Nico? Aufwachen!" rief sie und rüttelte ihren Freund an der Schulter.
Schlussendlich waren alle halbwegs wach und stiegen mitsamt ihrem Gepäck aus. Es war mitten in der Nacht und der Bahnhof fast menschenleer. Die einzigen hier waren eine Gruppe betrunkener Jugendlicher und zwei ältere Herren, die in den Zug aus dem die Demigötter kamen, einstiegen.
Hastig liefen die drei los, besser gesagt liefen Percy und Annabeth und zogen Nico beinahe hinter sich her.
Gegenüber des Bahnhofes warteten schon zwei andere Halbgötter. Percy winkte ihnen und sie eilten herüber.
,,Mann Nico!" Will sah den leichenblassen Hadesjungen vorwurfsvoll an ,,Ich hab doch gesagt dass ich Argus frage ob er Percy und Annabeth übermorgen fahren kann. Du sollst doch noch nicht Schattenspringen!" Dann wandte er seine Aufmerksamkeit dessen Begleitern zu. ,,Und was genau ist eigentlich passiert? Warum hat uns Annabeth angerufen und gefragt, ob wir Nico hier abholen können? "
Annabeth erklärte:,,Nico sagte, du hättest ihm erlaubt, dass er uns zu Percys Mum bringen darf. Wir sind jedoch nur ein paar Kilometer weit gekommen, dann ist er in Ohnmacht gefallen. Percy machte den Vorschlag mit dem Zug zu fahren und ich habe dich, Will, angerufen, um zu fragen ob du uns hier abholen kannst."
Der Halbgott seufzte und betrachtete Nico, der an Percys Schulter gelehnt, ruhig weiterschlief und nichts von seiner Umgebung mitbekam. Der Sohn des Poseidon selbst sah zwar auch nicht gerade völlig wach aus, musterte jedoch aufmerksam die Umgebung und registrierte jede noch so kleine Veränderung.
Eine weitere Sache, die der Krieg verändert hatte, dachte Will, alle sind aufmerksamer denn je zuvor, sie können sich nicht mehr entspannen.
Vorsichtig nahm er Nico Percy ab. Der Sohn des Hades schlummerte friedlich weiter.
Kayla, Wills Schwester trat hinzu. ,,Sollen wir euch auch wieder mitnehmen? Argus wartet in der Nähe mit dem Bus.",bot sie an.
Percy schüttelte den Kopf. ,,Ich gehe zu meiner Mom." ,,Und ich gehe mit Percy",sagte Annabeth.
,,Gut, dann... man sieht sich",verabschiedete Will sich schwach lächelnd. ,,Passt auf euch auf."
,,Machen wir",versprachen die beiden synchron, dann wandten sie sich ab und gingen, Hand in Hand, in die entgegengesetzte Richtung davon. Schon bald waren sie in der Dunkelheit nicht mehr zu sehen. Auch ihre Schritte verhalten langsam.
Will sah ihnen nach. Er wusste, dass es unwahrscheinlich war, dass die beiden es nicht mehr zurück ins Camp schafften, waren sie doch einige der besten Kämpfer des Camps, doch trotzdem machte er sich Sorgen. Böse Überraschungen konnte es immer geben, außerdem wusste er nicht, wie weit die Verletzungen aus der Schlacht die beiden im Kampf behindern konnten.
Du machst dir zu viele Gedanken, schimpfte er sich selbst, es wird schon nichts geschehen.
Er warf einen Blick auf Nico, der langsam anfing zu sabbern, und seine Mundwinkel zogen sich nach oben.
,,Na los, bringen wir dich mal nach Hause",murmelte Will leise und folgte dann Kayla, die sich schon auf den Weg zu Argus gemacht hatte.

Hand in Hand liefen Percy und Annabeth die Straßen entlang. Ein dünner Nebel lag in der Luft, die Straßenlaternen erleuchteten so gut wie es geht die dunklen Wege und hier und da huschte ein Tier vorbei.
Die beiden genossen die Stille und die Gegenwart des anderen. Einzig und allein ihren Atem und ihre Schritte hörte man, wenn man genau aufpasste.
Percy betrachtete Annabeth.
Ihre Haare glänzten, wenn das sanfte Licht der Straßenlaternen auf sie fiel. Percy fand, seine Freundin sah wunderschön aus und war froh, dass sie ihn begleitete.
Was er ohne sie tun würde, konnte er sich gar nicht vorstellen. So viele seiner Missionen hätte er nicht geschafft, wenn sie nicht gewesen wäre.
Auch ob er im Tartarus ohne sie überlebt hätte, war fraglich.
Annabeth hatte ihn immer voran getrieben.
Der Gedanke an sie hatte ihm in Camp Jupiter geholfen, er hatte Percy in Alaska und der ganzen Reise motiviert nicht aufzugeben; Annabeth war sein ein und alles.
Die blonde Halbgöttin bemerkte seinen Blick nun. Fragend drehte sie ihren Kopf zu ihm. ,,Percy? Ist was?"
Er schmunzelte nur.
,,Du bist wunderschön, Wise Girl",meinte er leise und lächelte, als er merkte, wie Annabeth leicht errötete.
Schweigend liefen sie weiter, beide mit einem Lächeln auf dem Gesicht.

Es war kurz nach zwei Uhr nachts als Sally aus ihrem Schlaf hochschreckte. Neben ihr wurde auch Paul wach. ,,Wer klingelt denn bitte um diese Uhrzeit?",grummelte er nach einem Blick auf den Wecker.
Sie sahen sich an und wussten, der andere dachte genau das gleiche.
,,Percy",flüsterte Sally mit weit aufgerissenen Augen, als diese Erkenntnis sie durchströmte. Ihr Herz schlug wie wild und ihre Hände begannen zu zittern.
Auch Paul blickte Sally aufgeregt an. Sie zögerten nicht lange, sondern standen sofort auf. Paul schlüpfte schnell in seine Hausschuhe und bewahrte seine Freundin davor, über ein am Boden liegendes Buch zu stolpern.
Sally spürte, dass es Percy war, der vor der Tür stand.Wer sonst würde denn sonst nachts an der Tür klingeln?
Betrunkene, geistig Verwirrte und... nun ja, Percy halt.
Aber sie wusste ganz genau, dass es ihr so lang vermisster Sohn war, es war einfach ein Bauchgefühl, dem sie vertraute.
Die beiden hasteten zur Wohnungstür, rannten unterwegs gegen die unterschiedlichsten Gegenstände und standen schlussendlich vor der Tür.
Mit zitternden Händen drückte Sally die Türklinke hinunter, und zog langsam die Tür auf.
,,Mom...",kam es zögernd und unsicher von Percy, als er seine Mutter erblickte. Sally starrte ihn nur an. In ihren Augen sammelten sich Tränen, die langsam ihre Wangen hinunter rollten. ,,Ich - ich bin zuhause",brachte Percy noch zaghaft raus, bevor Sally ihn schon in eine feste Umarmung zog und hemmungslos schluchzend ihr Gesicht in seiner Halsbeuge vergrub.
Auch in Percys Augen sammelten sich Tränen als er den vertrauten Geruch seiner Mom roch und sie endlich umarmen konnte.
In seinem Hinterkopf jedoch war nur ein Gedanke:
,,Ich bin Zuhause."

Oneshots aus dem verrückten Leben unserer HalbgötterWhere stories live. Discover now