Weiße Wände

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Ich schiebe das graue Plastiktablett von meinem Schoß weg, bis es auf meinen Knien liegt und schaue dabei ausdruckslos zu meiner Mum.

"Ich esse das nicht."

Sie schaut auf das trockene Brot und die seltsam richende Suppe auf dem Tablett herab und schaut dann zu mir. Sie würde den Fraß selbst nicht essen.

"Schatz.." ,sagt sie und schaut mich mit einem seltsam bemittleidenem Blick an.

Es hörte sich an als würde sie weiter sprechen wollen, doch das tut sie nicht. Sie gibt es endlich auf und nimmt mir das Tablett von den Beinen. Sie steht von der Bettkante auf und stellt das Tablett auf den kleinen Tisch, der auch in dem Zimmer steht. Mein Blick schnellt zur Tür, als diese sich langsam öffnet.

Der durschnittliche, dünne Mann tritt herein und lächelt mir freundlich zu. Das ist meine Krankenschwester. Ein Typ. Meine Krankenschwester ist ein Typ.
Sollte das nicht anders heißen? Krankenbruder?

"Hey Austin", begrüße ich ihn und versuche dabei nicht zu freundlich zu klingen, was mir auch überhaupt nicht schwerfällt.

"Na?"

Ich glaube es heißt Krankenpfleger.

"Wie geht's dir?" ,fragt er und nimmt nun den Platz meiner Mum an der Bettkante ein, genau dort wo sich das Bettlaken von ihr abgezeichnet hat. Ich beobachte ihn dabei wie er sich setzt und mich dann erwartungsvoll anlächelt.

"Kann ich jetzt nachhause?" ,frage ich trocken und höre direkt einen leises "Chase!" aus der Richtung meiner Mum zischen.

Ich sehe sie nicht an, sondern warte auf Austins Antwort.

"Naja, also die Wunden sind eigentlich schon gut verheilt und deinem Kopf geht es sichtlich besser. Aber der Arzt müsste sich das nochmal anschauen."

Ich nicke. Da er scheinbar nichts mehr zu sagen hat, verlässt er nach einem kurzen Moment des Schweigens das Zimmer.

Ich schaue zu Mum, die mir irgendwas mitteilen will. Langsam kommt sie näher, kniet sich an das Bett und schaut mir ernst in die Augen.

"Was?"

Sie atmet laut ein.

"Hör zu Schatz, am Freitag ist die Beerdigung von..."

Ihre Lippen bewegen sich weiter, doch die Worte verstummen. Nur ganz leise, hallt ihre Stimme in meinem Kopf.
Doch ich weiß genau was sie sagt.
Mein Gehirn setzt aus.
Die letzten Tage habe ich nicht einmal ihren Namen über die Lippen gebracht. Nicht einmal habe ich ihn gehört.
Mir wird schwindelig. Meine Mum ist plötzlich weg. Da ist kein Krankenbett, kein Zimmer.
Feuer. Flammen. Mir wird unglaublich heiß und schlecht. Und sie. Ich sehe sie. Ihr Gesicht, ihre Augen. Verdammt ihre Augen. Ich kann nicht mal weinen, nicht schreien, ich kann nicht wegschauen. Ihr langes braunes Haar. Und plötzlich sehe ich mich. Bewusstlos auf dem Asphalt. Und dann ist da dieses Feuer. Ich spüre jeden einzelnen Schweißtropfen wie er über meine Haut rinnt. Ich weiß nicht ob es die Hitze des Feuers ist, oder die Angst. Panik.

"Chase? Chase?! Schatz?!"

Auf einen Schlag ist es weg. Das Feuer. Und sie.
Ich bin zurück in dem Krankehauszimmer, auch wenn ich nie wirklich weg war. Zurück in der Realität. In einer verdammten scheiß Realität. Zurück auf dem Bett, in den Armen meiner besorgten Mutter.

"Schatz was ist los? Alles gut? Soll ich einen Arzt holen?" ,fragt sie, leicht panisch und mit besorgtem Blick. Ihre Hände liegen auf meinen Schultern

"Nein Mum. Alles gut." ,erwieder ich mit überraschend fester Stimme. Es ist nicht alles gut. Es wird nie wieder alles gut sein.

"Es..es tut mir leid. Ich sollte nicht über sie sprechen."

Ich schaue sie an. Sie hat mich losgelassen und sitzt nun da, mit besorgtem Blick.
Ich würde ihr gerne wiedersprechen und sagen, das ich stark bin und sie ruhig über sie reden kann, aber es wäre gelogen.
Ich bin nicht stark. Zumindest nicht stark genug.

"Chase, du willst nicht hingehen, oder?"

Es ist dumm von mir, aber im ersten Moment verstehe ich tatsächlich nicht einmal was sie meint. Als würde mein Gehirn den Gedanken verdrängen wollen.
Aber wer denkt schon gerne über den Tod seiner Freundin nach? Sogar als stiller Gedanke hört sich das verdammt scheiße an.

Langsam schüttel ich den Kopf. Ich würde es nicht überleben dort hin zu gehen.

"Vielleicht überlegst du dir das ja noch. Ich muss gleich zur Arbeit, wenn was ist ruf mich bitte an. Falls du das Krankenhaus verlassen darfst, dann ruf deinen Bruder an okay?"

Ich werde mir das nicht mehr überlegen. Da gibts nichts zu überlegen. Ich werde da nicht nur nicht hingehen, sondern nie wieder irgendwo hingehen. Oder irgendwas tun.

Ich nicke und sie lächelt mir nocheinmal zu bevor sie mit großen Schritten zur Tür marschiert und den Raum verlässt.

Jetzt bin ich allein. Wieder allein in diesem scheiß Raum.
Allein mit mir selbst und meinen Gedanken.
Doch bevor die Gedanken meinen Kopf überwuchern können, wird die Tür wieder geöffnet und herein tritt ein Artz, der ärtzlicher nicht aussehen könnte.
Dr. Westmoreland.

"Guten Morgen, Chase." ,begrüßt er mich freundlich und schließt die Tür hinter sich.

"Hallo."

"Wie geht es dir?"

Ach meine Freundin ist letztens wegen meiner bescheiden Fahrkünste ums Leben gekommen und mein Körper und mein mentales Dasein sind so ziemlich im Arsch, aber sonst.

"Gut" ,antworte ich und überlege kurz mich zu einem Lächeln zu zwingen. Aber das ist er nicht wert.

 𝙒𝙚𝙡𝙘𝙝𝙚 𝙎𝙥𝙧𝙖𝙘𝙝𝙚 𝙨𝙥𝙧𝙞𝙘𝙝𝙩 𝙎𝙖𝙩𝙖𝙣? Donde viven las historias. Descúbrelo ahora