Ein seltsames Lächeln

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"Die wollen dich jetzt echt gehen lassen?" ,fragt mein geliebter Bruder und kommt mir langsam näher.

"Ja", antworte ich knapp und stopfe meine wenigen Eigentümer in die Tasche.

"Schade, es war schön ohne dich.",sagt er und lacht, als wäre das tatsächlich lustig gewesen. Am liebsten würde ich ihm in die Fresse schlagen, doch dieses Gefühl kann ich schon seit 18 Jahren verdrängen.

"Komm jetzt." ,fordere ich ihn auf und schiebe ihn vor mir durch die Tür, bis wir das schreckliche Zimmer endlich verlassen und im Flur stehen.

Wir laufen stumm nebeneinander her den Flur runter.
Auch im Aufzug sagt keiner was.
Dann verlassen wir endlich das Krankenhaus und reißen die Türen der alten Schrottkarre auf.

Als ich mich auf den alten Ledersitz fallen lasse, wird mir kurz schlecht. Nicht etwa von dem ekligen Geruch nach fettigen Pommes und Zigaretten der sich durch meine Lunge frisst und auch nicht wegen des abscheulichen Gesichts meines Bruders, das mich durch den kleinen Rückspiegel angrinst, obwohl das ebenfalls gerechtfertigte Gründe wären. Doch mir wird schlecht bei den Gedanken an den Unfall. Dieser grässliche Autounfall.

"Keine Sorge. Ich kann fahren."

Ich könnte ihn umbringen. Jetzt gleich. Hier in dem Auto.

Doch ich werde es nicht tun. Ich könnte nicht selber fahren, er muss fahren.

"Kyle. Halt's Maul und fahr." ,befehle ich ihm also so ruhig ich kann und schließe meine Augen.

"Ja Papa." ,antwortet er, provozierend wie er ist, startet dann aber doch endlich den Wagen.
Quitschend rattert die alte Karre über die Hauptstraße, bis das kleine Schild zu unserer Straße erscheint, in die Kyle einbiegt.

Mit einem lauten Quitschen kommt der Wagen in unserer Auffahrt zum Stehen.
So schnell ich kann reiße ich die Tür auf und springe aus dem Auto. Als ich sie mit Schwung wieder zu knalle, bricht der Wagen beinahe auseinander.

"Chase Schatz! Du siehst toll aus!"

Kyle verdrückt sich ein Lachen.

Ich schaue auf und beobachte die kleine Frau dabei, wie sie in Schlappen aus der Tür gelaufen kommt und mit schnellen Schritten über die knartzende Veranda zu mir kommt.

"Tante Sarah!"

Ein Hauch Euphorie ist in meiner Stimme zu hören.

Sie schlingt ihre Arme um mich und lächelt mich mit leuchtenden Augen an.

Ich fahre mir durchs Haar, doch 4 schlaflose Krankenhausnächte kann ich nicht einfach so vertuschen. Ich sehe sicher nicht toll aus.

"Alles gut kleiner?" ,fragt sie nun nicht mehr so fröhlich. Vielleicht sehe ich ja von weitem besser aus.

"Ich bin zwei Köpfe größer als du." ,merke ich an und weiche der Frage dabei bewusst aus.
Sie lächelt wieder.

"Für mich bleibst du mein kleiner Chase!" ,sagt sie lachend und geht wieder zurück zum Haus.

"Deine Sachen." ,erklingt Kyles Stimme neben mir, während er lieblos die Tasche vor meine Füße wirft.

"Danke" ,entgegne ich ironisch und greife nach ihr.

Als ich die Türschwelle übertrete und durch den schmalen Flur in das Wohnzimmer laufe, überkommt mich ein seltsames Gefühl. Es fühlt sich an, als wäre ich ewig weg gewesen. Als hätten sie alle normal weitergelebt, nur ich nicht. Ich hab diesen ganzen Scheiß durchlebt, während jeder einzelne von ihnen hier saß und so getan hat als wäre alles normal. Und sie spielen ihr Spiel immernoch.
Ich sehe zu Kyle, der auf sein Handy starrend den Kühlschrank öffnet und ohne einmal den Blick zu heben eine Energydose herausholt.
Dieser Idiot hat sicher nicht einen Gedanken an mir verschwendet während ich weg war.

 𝙒𝙚𝙡𝙘𝙝𝙚 𝙎𝙥𝙧𝙖𝙘𝙝𝙚 𝙨𝙥𝙧𝙞𝙘𝙝𝙩 𝙎𝙖𝙩𝙖𝙣? Where stories live. Discover now