H a r p e r

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*brrrrrrr* *brrrrrrr* *brrrrrrr*

Ich kniff die Augen noch enger zusammen und presste meine Lippen aufeinander.

Inzwischen war es nach fünf und damit Stunden her, dass ich mich mit Sully treffen sollte. Ich hatte ihn einfach hängen lassen, weil mit mir die Panik durchgegangen war. Das Schlimmste daran? Er versuchte mich seitdem permanent auf dem Handy zu erreichen. Er schrieb eine Nachricht nach der nächsten, rief mich an und hinterließ sogar Nachrichten auf der Mailbox. Doch ich ging auf all das nicht ein. Ich ignorierte es und las schon nach der zweiten Nachricht nicht mehr mit. Noch mehr schlechtes Gewissen konnte ich nicht gebrauchen.

Dad hatte ich von alldem nichts erzählt. Als ich Zuhause angekommen war, hatte ich mich wieder halbwegs im Griff gehabt und mich nach einem kurzen Hallo in mein Zimmer verkrümelt. Und seitdem lag ich auf meinem Bett, zusammengerollt, neben mir Buttons, und besaß das wohl größte schlechte Gewissen, das ein Mensch je gehabt hat.

*brrrrrrr* *brrrrrrr* *brrrrrrr*

Mein Handy vibrierte erneut und kündete damit den inzwischen neunten Anruf von Sully an. Ich hatte es nicht vermeiden können mitzuzählen.

Ich fühlte mich grauenhaft, weil ich Sullivan einfach hatte hängen lassen. Er musste enttäuscht sein und das versetzte mir ein schmerzlich beklemmendes Gefühl im Brustkorb. Doch so traurig ich darüber war, so wütend war ich auch über mich selbst. Darüber, dass ich den Scheiß einfach nicht in den Griff bekam und mich auch noch zwei Jahre später von dieser dämlichen Furcht leiten ließ.

Keine Ahnung, wie lange ich noch wach lag. Als Dad abends noch einmal an meine Zimmertür klopfte und den Kopf hereinsteckte, stellte ich mich schlafend. Ich wollte nicht, dass er sich noch mehr Sorgen machte als ohnehin schon.

Gegen sieben hörten die Anrufe und Nachrichten von Sully auf. Ob er es akzeptiert hatte, dass ich ihm nicht antwortete, oder ob er einfach keinen Bock mehr hatte, wusste ich nicht. Und das war wohl auch der Gedanke, der mich bis spät nach Mitternacht wach hielt.

Von Sully kam nichts mehr. Er kam auch nicht vorbei, so wie er es schon mal getan hatte.

Und darüber war ich froh, auch wenn ich nicht wusste, was es für uns zu bedeuten hatte.

Der Montagmorgen war dem Wochenende entsprechend miserabel. Ich war todmüde, fühlte mich völlig fertig und sah vermutlich auch genauso aus. Doch dank ein wenig Schminke schaffte ich es selbst vor Dad einen passablen Eindruck hinzulegen, damit er mir nicht auf die Schliche kam. Ich wollte nicht, dass sich seine Meinung, Sully wäre kein guter Kontakt, stärkte. Er sollte nicht schlecht von ihm denken oder ihm gar die Schuld für meine Verfassung zuschieben, denn das wäre ihm in keinem Fall fair gegenüber.

Mehr schlecht als recht schleppte ich mich am Montag durch den Schultag. Sully hatte mich nicht abgeholt und auch dafür war ich dankbar. Ich wusste nämlich nicht, wie ich in seiner Nähe reagieren oder was ich sagen sollte.

»Sorry«, murmelte ein fremdes Mädchen, als sie mich aus Versehen anrempelte, während ich vor meinem Spind stand und meine Bücher darin verstaute. Es war kurz vor der Mittagspause und der ganze Schulflur war rappelvoll mit Schülern. Quatschende Mädchen, die nichts besseres zu bereden hatten als die heißesten Kerle, Jungs, die über irgendeinen dreckigen Witz lachten und ein paar Einzelgänger, die genauso verloren vor ihrem Spind standen wie ich.

»Harper.«

Erschrocken zuckte ich zusammen. Mein Kopf schoss zur Seite und sofort begegnete ich Sullys grün-braunen Augen.

»Ist alles gut bei dir?«

Ich öffnete den Mund, doch meine Stimme war verpufft. In dem Moment war ich so überfordert, dass ich nicht einmal wusste, ob ich jemals eine gehabt hatte.

Greatest PretendersWhere stories live. Discover now