Wer die Schuld trägt

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Loki POV

Das ruhige Atmen des Mannes war das einzige Geräusch, welches den Raum erfüllte. Kein Laut drang aus der Stadt zum Wald, welcher totenstill dalag. Man mochte meinen, wenigstens ein Rauschen von Blättern oder die Laute der nachtaktiven Tiere sollten zu hören sein, jedoch erschall nicht einmal der klagende Ruf eines Kauzes. Diese einsame Stille war unangenehm, fast unerträglich, und doch kannte ich sie.
In meiner Gefangenschaft hatte ich oft in dieser stummen Welt ausharren müssen, wollte ich ein Geräusch hören, so musste ich selbst eins erzeugen. Auf Wände einzuschlagen oder dem Boden herumzutrommeln war unter meiner Würde, zum Singen war mir nicht zumute, also blieb ich still – im Gegensatz zu anderen Gefangenen, die alle paar Tage ihren Frust in die Welt hinausschrien.

Ich stand auf, streckte mich und sah zum Fenster hinaus. Ich hatte keine Möglichkeit einzuschätzen wie lange ich schon hier saß und wartete, jedoch vermutete ich einige Stunden. Die Nacht war nun komplett hereingebrochen und über den Baumwipfeln sah man die Sterne funkeln. Sie waren schön, jedoch nicht so klar und leuchtend wie auf Asgard – in der Stadt hätte man sie gar nicht gesehen. Der Mond wanderte zwischen den Wolken entlang und ließ ein silbernes Licht auf die Gräser, Büsche und Bäume fallen. Es war fast Vollmond, er leuchtete hell, klar und unberührt am schwarzblauen Nachthimmel, welcher ab und an von grau-weiß-melierten Wolkenmassen durchzogen wurde. Ich hatte diesen Anblick lange nicht mehr genießen dürfen.

Ich drehte ruckartig am rostigen Griff des Fensters, welches sich nach einem kurzen Knirschen öffnen ließ und atmete die kühle Nachtluft.
In eben diesen Momenten wird einem wahrhaft bewusst, was Freiheit eigentlich bedeutet; nach so einer grässlichen Gefangenschaft...
Ich seufzte. Dann erklang plötzlich ein klagender Schmerzenslaut – mein Gefangener war wach.

Tom POV

Schmerz. Stechender Schmerz so ziemlich überall in meinem Körper. Mein Kopf dröhnte und ich konnte kaum einen klaren Gedanken fassen. Nachdem die ersten Schmerzwellen abgeklungen waren, kam ich langsam wieder zu ganzem Bewusstsein. Nur mühsam konnte ich meine Augen öffnen, jedoch war es stockdunkel und ich konnte kaum etwas ausmachen.
Wo bin ich? Was ist passiert? Warum ist es so dunkel und... wieso zum Geier tut mir alles weh? Es fühlt sich an als hätte mich eine Menschenmasse einfach überrannt...
Instinktiv wollte ich mir an den Kopf fassen, vielleicht hatte ich ja eine Platzwunde, aber ich merkte, dass ich meine Arme nicht bewegen konnte. Es brauchte noch einen Augenblick bis ich realisierte, dass das nicht an mir lag, sondern an einem festen Seil.
Eine Fessel? Warum...?! Was-??

Das plötzliche Ausmaß einer potenziellen Gefahr ließ mich hellwach werden und ich versuchte mich verbissen an den heutigen Tag zu erinnern. Nur träge kamen die Erinnerungen zurück, es war frustrierend. Nach und nach hatten sich meine Augen an die Lichtverhältnisse gewöhnt und ich konnte zumindest die Schemen eines Raumes erkennen. Er war recht klein und hatte nur ein Fenster, durch welches spärlich Licht drang; die Wand hinter mir schien aus Latten zu bestehen.
Gefesselt, in einem dunklen kleinen Raum – mein Gehirn arbeitete und ich fürchtete meine Fantasie würde mit mir durchgehen.
Wurde ich entführt? Eine Geiselnahme? Oder ist das alles nur ein riesiger Streich? Nein, niemand würde so weit nur für einen Witz gehen... Verdammt was ist hier los?

Plötzlich hörte ich das Knarren von Dielen und mir wurde klar, dass ich nicht allein war. Mein Blick wanderte erneut zum Fenster und ich sah die undeutlichen Umrisse einer Person. Sie stand neben dem Fenster, sodass das Licht nicht auf sie fiel.
Ich versuchte, mich aufzurichten oder gar aufzustehen, jedoch war ich zu schwach und mein Körper schien mir nicht gehorchen zu wollen. Ich verlor die Balance und knallte unsanft mit dem Hinterkopf gegen die Lattenwand. Der dumpfe Aufschlag wurde von meinem leisen, erstickten Aufschrei übertönt, als mein Schädel vor Schmerzen zu explodieren schien. Ich kniff die Augen zu und biss die Zähne zusammen, wartend, dass das qualvolle Gefühl abebbte. Als ich nach einigen Sekunden erneut zum Fenster sah, drehte sich die Person um und ging einen Schritt nach vorne. Die Wolken vor dem Mond zogen davon und das helle Licht schien direkt auf Gesicht und Kleidung des Mannes.

Aus der RolleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt