*2. Kapitel*

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Zitternd stieg ich aus der Dusche. Ich hatte gehofft, ein Bad würde mich auf andere Gedanken bringen. Doch weit gefehlt. Ich musste immer an den Polarfuchs denken. Seufzend schlang ich mir das Handtuch um die Hüften und trocknete mit einem anderen meine Haare ab. Als ich die Tür vom Bad öffnete empfing mich ein Schwall kalter Luft. Fröstelnd rannte ich zu meinem Zimmer und zog mir schnell meine Kleider an. Das war mein Hauptproblem: mir war immer so schnell kalt. Ich seufzte und zog mir noch schnell meine Kuschelsocken über, die ich vor einem Jahr zu Weihnachten bekommen hatte. Dann beschloss ich, frühstücken zu gehen. Zum Glück war heute Samstag. Meine kleine Schwester war beim Schwimmen und meine große Schwester schlief meist bis zum Mittagessen. Also lief ich den Flur entlang, setzte mich an den Tisch, aß meinen Toast und räumte dann das Geschirr in die Spülmaschine. Meine Eltern waren arbeiten, deshalb schrieb ich schnell einen Zettel. Den legte ich auf den Küchentisch, schnappte meinen Rucksack und lief zur U- Bahn- Station. Dort setzte ich mich auf die Bank, beobachtete Tauben und wartete auf meine Bahn. Endlich hörte ich das vertraute Quietschen, als die U- Bahn stehen blieb. Ich stieg ein, suchte mir einen Platz am Fenster und starrte auf die Tunnelwand. Ich hatte einen Entschluss getroffen. Ich würde in die Bibliothek gehen und dort nach so etwas suchen. Ich hoffte auf jeden Fall, dass ich nicht der einzige war, der ein Tier gesehen hatte, dass ihm nicht aus dem Kopf ging.
,,Nächste Haltestelle: Stadtbibliothek", riss mich eine elektronische Frauenstimme aus meinen Gedanken. Schnell schnappte ich meinen Rucksack, der die ganze Zeit auf dem Platz neben mir geruht hatte und stieg aus. Dann fuhr ich mit der Rolltreppe nach oben und machte mich auf den Weg in die Bücherei.

Als ich vor den ganzen Regalen stand, fiel mir auf, dass ich an eine Sache nicht gedacht hatte: wo sollte ich suchen? Und nach was? Seufzend arbeitete ich mich durch die Sachbücher, wo ich aber nichts fand. Dann schaute ich bei ,,Verbindungen" vorbei, wo aber nur Liebesgeschichten waren, sie ich alle übersprang.
Zum Schluss versuchte ich mein Glück bei den Sagen und Märchen. Der Haufen der Bücher auf dem Tisch vor mir nahm immer weiter ab, doch nirgends konnte ich so etwas wie meinen Fall entdecken. Schließlich lagen nur noch drei Bücher auf dem Tisch: ein dickes Grünes, ein Rotes, das aussah, wie ein Handbuch und ein dünnes, Goldenes.
Zuerst entschied ich mich für das dünne Goldene. Fehlanzeige.
Frustriert stellte ich das Buch zurück in den Schrank und griff nach dem Grünen, als mir plötzlich eine Hand auf die Schulter tippte und ich von einer Parfürmwolke umgeben wurde.
Eine Frauenstimme säuselte: ,,Junger Herr, die Bibliothek schließt jetzt. Willst du die Bücher mitnehmen?"
Ich schaute auf eine schlacksige, blonde Frau mit süffisantem Lächeln und sehr vielen Armbändern an ihren Handgelenken. Sie schien Mitte zwanzig zu sein, erschien aber irgendwie auch älter. Ich nickte.
,,Dann komm bitte mit runter."
Ich folgte der Frau die Treppen nach unten, wo sie die Bücher entgegennahm, sie auf eine Liste eintrug und mir wieder überreichte. Ich nahm sie dankend entgegen und stopfte sie in meinen Rucksack. Dann verließ ich die Bücherei und trat auf die Straße. Es war angenehm warm dort und der Himmel über der Stadt war in ein wunderschönes aquarinblau übergegangen. Ich wünschte, ich hätte mir etwas zu Essen oder wenigstens ein bisschen Geld mitgenommen, denn mein Magen fühlte sich an wie ein leeres Loch und ein Toast am Morgen machte nicht über den ganzen Tag satt. Ich seufzte, dann machte ich mich auf den Weg zur U- Bahn.

Beim Abendessen schaute mir meine ganze Familie fasziniert zu, wie ich ein Brot nach dem anderen verschlang und mich schließlich zufrieden in meinen Stuhl zurück sinken ließ.
Meine Mutter räusperte sich, dann begann sie zu reden: ,,Lukas, ist alles in Ordnung mit dir? Wieso verbringst du den ganzen Tag in der Bücherei und kommst dann Abends mit Heißhunger nach Hause und das Samstags? Hast du nicht einmal gesagt, Bücher seien langweilig?"
,,Äähh...", machte ich. ,,Schon. Aber jetzt bin ich müde. Gute Nacht", redete ich mich heraus, schnappte meinen Rucksack und verschwand durch den Flur in mein Zimmer. Dort zog ich mir schnell meinen Schlafanzug an, setzte mich dann auf mein Bett und knipste das Licht an. Zuerst zog ich das dicke grüne Buch aus meinem Rucksack und schlug das Inhaltsverzeichnis auf.
,,Griechische Sagen, Märchen, Legenden aus aller Welt", murmelte ich vor mich an, als mein Finger plötzlich bei einer Überschrift aus ,Legenden aus aller Welt' hängen blieb.
Seelentiere, stand dort. Seite 485.
Mit zitternden Fingern schlug ich die Seite auf.

Seelentiere

Darf mein einer aus Indonesien kommenden Sage glauben, so gab es dort Menschen, die eine enge Bindung mit einem bestimmten Tier hatten. So hieß es, dass wenn ein magisches Ritual vollzogen werden würde, der Mensch die Eigenschaften des Tieres erhalten würde und über Gedanken mit dem Tier kommunizieren könne. So erzählt uns diese Legende:
Ein Mann, Asmo sein Name, spürte sich schon die ganze Zeit zur Nacht in den Wald gezogen, nachdem er dort einen Uhu gesehen hatte...

,,Ja! Ich hab's gefunden!", jubelte ich, als plötzlich die Tür aufging und meine Schwester im Türrahmen stand. ,,Was hast du gefunden?", fragte sie.
,,Äh...", machte ich wieder und schob das Buch unauffällig unter meine Bettdecke. Alles was ich jetzt gerade nicht brauchen konnte war eine neugierige sechzehnjährige.
,,Mein Handy, ich hatte es verlegt", sagte ich schnell und zog wie zum Beweis mein Handy unter meinem Bett hervor.
,,Wieso ist dein Handy unter deinem Bett?", fragte Lena schnippisch.  
,,Weil...", begann ich, seufzte dann aber nur und knallte die Tür vor der Nase meiner Schwester zu. Draußen hörte ich sie noch ein bisschen vor sich hin schimpfen, dann ging sie auf ihr Zimmer. Ich widmete mich wieder der Geschichte, doch schien der Rest nur wirres Zeug zu sein und von dem Ritual war nie die Rede. Wenigstens wusste ich jetzt, wonach ich suchen musste: Seelentiere.

SeelentiereWhere stories live. Discover now