*10. Kapitel*

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Ich fühlte mich, als könnte ich fliegen, was wahrscheinlich auch der Fall war, trotzdem fühlte es sich so irreal an.
Meinen ersten Flug hatte ich mir immer in einem Flugzeug vorgestellt, nicht in einem Lichtstrahl.
Plötzlich sank ich nach unten.
Panisch schaute ich nach unten.
Der Boden kam schnell näher und ich schloss die Augen und bereitete mich auf einen Aufprall vor.
Doch dieser kam nicht.
Stattdessen wurde ich langsam abgebremst, landete aber dennoch auf dem Bauch.
Blinzelnd öffnete ich meine Augen und drehte mich auf den Rücken.
Der Lichtstrahl war weg, über mir war jetzt nur ein blauer Himmel, über den vereinzelte Wolken zogen.
Keuchend setzte ich mich auf und schaute mich um.
Ich saß auf einem Sandplatz, um mich herum eine Steinmauer, die einen genauen Kreis bildete.
Irgendwie fühlte ich mich an ein altes Amphitheater erinnert.
Plötzlich tippte mir eine Hand auf die Schulter.
Ich wollte gerade reflexartig nach dem Besitzer dieser Hand schlagen, doch diese blockte meinen Angriff ab und zog mich auf die Füße.
Ich stand einem Mädchen gegenüber, das nicht viel älter als ich schien.
Es hatte hüftlange, schwarze Haare und auf ihrer Schulter saß ein Rabe.
Sie lächelte.
,,Willkommen in Aryon. Ich bin Lina. Ich bin schon länger hier und meine Aufgabe ist es, Neuankömmlinge zu empfangen."
Mit einem Blick auf Taavi fügte sie hinzu: ,,Polarwohnort."
,,Was?", fragte ich perplex.
,,Kommt mit."
Immer noch verwirrt folgte ich Lina aus dem Amphitheater ähnlichen Dings heraus und nach rechts.
Den Weg danach hatte ich nur verschwommen wahrgenommen.
Ich war hungrig und müde und somit nicht so wirklich empfänglich für die Außenwelt.
Das änderte sich aber schlagartig, als wir plötzlich vor einer Ansammlung kleiner Hütten standen.
Sie waren nicht ordentlich, eher wild durcheinander gewürfelt, ich fand sie aber trotzdem wunderschön.
Lina lief zielstrebig durch die Gassen und kam schließlich an einer Hütte an, die ziemlich am Rand stand.
,,Dein zukünftiges Zuhause. Essen gibt es in einer Stunde. Richte dich schön ein."
Dann schenkte sie mir noch ein Lächeln und verschwand wieder.
Plötzlich fiel mir auf, was sie gerade gesagt hatte.
Dein zukünftiges Zuhause...
Erschrocken fragte ich mich, was das wohl bedeuten würde.
Auf einmal hörte ich eine Stimme in meinem Kopf.
Gehen wir jetzt rein oder nicht?
Erschrocken zuckte ich zusammen und schaute zu Taavi hinunter.
,,Taavi? Hast du gerade gedacht: ,Gehen wir jetzt rein oder nicht?'?", fragte ich ihn.
Der Polarfuchs sah mich erstaunt an, dann nickte er.
Plötzlich fiel mir wieder ein, was Emilia erzählt hatte: nach dem Ritual konnte man sich über Gedanken mit seinem Seelentier verständigen.
,,Wie cool ist das denn?", rief ich laut aus und hatte die Sorge über den Satz von Lina schon fast wieder vergessen.
Also? Gehen wir rein?, fragte Taavi noch mal.
Ich nickte und drückte die Tür auf.
Vor mir öffnete sich ein schlicht gestaltetes Zimmer.
Rechts von der Tür stand ein Tisch mit Stuhl unter einem Fenster, links von ihr ein Sofa.
Neben dem Sofa ging eine Tür nach links und neben dem Schreibtisch führte eine Tür ein paar Meter weiter nach rechts.
Ich schloss die Tür hinter uns und entschied mich dafür, die Tür rechts zuerst zu öffnen. Dort standen ein Bett, ein Regal und ein Schrank und auf dem Boden lag eine sehr gemütlich aussehende Decke mit ein paar Kissen.
Ich deutete darauf.
,,Das ist bestimmt für dich, Taavi."
Der Polarfuchs schaute mich mit einem ironischen Ausdruck in den Augen an.
Echt? Ich dachte, ich müsste jetzt auf dem Sofa schlafen.
Ich musste grinsen.
Dann öffnete ich den Schrank. Zum Glück lagen dort einige Jeans und T- Shirts.
Ich hatte immer noch die Kleider an, mit denen ich aufgebrochen war.
Schnell zog ich mir eine dunkelblaue Jeans und ein schwarzes Hemd aus dem Schrank und lief zur anderen Tür, die neben dem Sofa.
Wie erwartet war dahinter ein Badezimmer mit Dusche, Toilette und Waschbecken.
Schnell schlüpfte ich in die Dusche und genoss das warme Wasser, das über mich drüber floss.
Hier war wirklich schon für alles gesorgt.
Shampoo und Duschgel standen in der Dusche bereit.
Auch Handtücher konnte man in einem kleinen Schrank daneben finden.
Fünf Minuten vor sieben Uhr machte ich mich auf dem Weg zum Essen. 
Beinahe hätte ich vergessen, auf die Uhr zu schauen, doch Taavi hatte mich freundlicherweise darauf hingewiesen, dass er in unserem Schlafzimmer eine Uhr gesehen hatte.
Nun liefen wir den Weg zurück, den wir auch gekommen waren.
Leider hatte ich keine Ahnung, wo das Essen war.
Glücklicherweise kam gerade, als ich total planlos in der Gegend um den Platz, wo wir von dem Lichtstrahl ausgespuckt worden sind, herum stand ein Junge vorbei, der vielleicht drei Jahre älter als ich war in Begleitung eines Luchses vorbei.
,,Entschuldigung...", fing ich an, ,,wo kann man hier was zum Essen finden?"
,,Einfach dem Weg so lange folgen, bis du an ein großes Gebäude kommst."
Dann lief er in die andere Richtung davon.
Ein wenig perplex schaute ich ihm hinterher, dann folgte ich seinen Anweisungen, bis wir tatsächlich an einem großen, wunderschönen Gebäude angelangten.
Es war weiß mit blauem Dach und erinnerte so ein bisschen an Häuser in Griechenland, war aber genauso gewaltig und prachtvoll wie ein Palast.
Es hatte vier Stockwerke.
Langsam lief ich die Mamortreppe zum Eingang hoch und öffnete die gewaltige, verzierte Tür.
Dahinter war eine große Eingangshalle mit ebenfalls Mamorboden.
Links führte eine Treppe in die oberen Stockwerke und von überall drängten sich Leute mit ihren Seelentieren um mich herum und drängten sich in einen Gang.
Man hörte Mäuse quieken, Vögel zwitschern und hin und wieder auch mal ein Miauen oder Bellen.
Plötzlich stand ein Mädchen vor mir.
Emilia.
Sie fiel mir um den Hals und drückte mich fest an sich.
,,Du lebst!", rief sie aus und ich merkte, wie sie zitterte.
Ich lächelte und schlang meine Arme auch um ihren Körper.
,,Natürlich", lachte ich. ,,Ich sterbe doch nicht einfach und lass dich allein! Was hast du denn gedacht?"
Emilia wollte mich immer noch nicht loslassen und meinte: ,,Naja, ich weiß nicht... Du bist alleine schon nicht so wirklich überlebensfähig..."
Gespielt beleidigt ließ ich sie los und sie lockerte auch endlich ihre Umarmung.
,,Tja, wie du siehst, lebe ich noch und du musst dich weiter mit mir abgeben!"
Sie musste lachen.
Mir fiel auf, wie unglaublich niedlich sie aussah, wenn sie lachte und  wie sehr ich sie vermisst hatte.
Sie nahm meine Hand und zog mich in den Gang hinein, in den alle Seelengefährten stürmten.
,,Komm, du siehst hungrig aus", stellte sie fest. 
,,Wo ist Jaro?", fragte ich.
,,Ach, der ist schon vor gegangen. Er hatte echt Hunger...", meinte Emilia.
Glücklich folgte ich Emilia und setzte mich zu ihr, Jaro und Taavi an den Tisch. 

SeelentiereWhere stories live. Discover now