Seelentanz

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Fetzen angespannt gesprochener Worte geisterten durch den Raum, als die ersten ihren Fuß über die knarrende Schwelle setzten und sich zaghaft dem Tisch näherten. Er glich einer Lichtinsel inmitten eines schwarzen Meeres. Von Ehrfurcht und Stauen, Angst, Bewunderung und Misstrauen erfüllt, ließen sie sich reihum nieder, leise wispernd und tuschelnd. Die Augen huschten neugierig umher. Sechs Gäste waren es an der Zahl. Darunter zwei Ehepaare, die sich nebeneinander eingefunden hatten. Eine Frau spielte nervös mit dem goldenen Ring an ihrem Finger, bis ihr Partner sie mit einem strengen Blick zur Ruhe brachte. Wie zufällig streiften Odettes Blicke teuren Schmuck und Kleider der neuesten Mode, wanderten kritisch weiter zum eigenen Spiegelbild, das sich ihr bleich und mit dunklen Schatten unter den Augen auf staubigem Glas zeigte.
Zwischen Schaudern und freudiger Erwartung schwankend, verebbte schließlich das Murmeln und Flüstern der Anwesenden, bis die Spannung förmlich greifbar war.

„Guten Abend." Sanft gehaucht verklangen die einleitenden Worte hinein in vollkommene Stille. Madame Roux. Geschmeidig wie eine Katze war sie aus den Schatten an den Tisch getreten und ragte groß und schlank über den Sitzenden auf. Sie war jünger, als von vielen angenommen. Das schwarze Haar betonte die bleich gepuderte Haut und die vollen Lippen verliehen ihr etwas Puppenhaftes. Wer allerdings die Geschichten kannte, die man sich über Odette Roux erzählte, begegnete ihr stets mit einer gewissen Vorsicht. Ihr Einfluss war groß, wenige erhielten tiefere und persönlichere Einblicke in die Tragödien der feinen Gesellschaft.

„Die Seelen unserer Liebsten ziehen dahin und wir sind außerstande, ihnen zu folgen. Wir verbleiben in Trauer, bedrückender Endgültigkeit und Ungewissheit. So viel noch unausgesprochen, so viel Reue. Wir verzehren uns nach einem Wiedersehen, nach einer Botschaft, nach Sicherheit und einem ruhenden Gewissen. Doch niemand gibt uns, was wir so schmerzlich begehren. Denn die Toten kehren nicht wieder."

Dunkel und voll war ihre Stimme an diesem Abend. Mit sichtlichem Genuss und dem vollen Wissen um ihren Einfluss beschwor sie die Bilder vergangener Verluste herauf und stieß an frische Wunden. Gebannt hingen sie ihr an den Lippen. Da war Sensationslust, vermischt mit einer Portion verzweifelter Hoffnung. Was man sich nicht alles über dieses Metier erzählte. Nun, Odette würde ihnen geben, wonach ihnen der Sinn stand. Als Siebte und Letzte der Runde nahm sie ihren Platz ein und schloss damit den Kreis. Lauernd suchte sie den Blickkontakt eines jeden Einzelnen, um sich der Aufmerksamkeit gewiss zu sein und legte dabei sinnend einen Finger an die Lippen.

„Lasst uns die Séance beginnen!"

Zwölf blanke Augen, die mit aller Konzentration auf ihr Medium gerichtet waren. Odette kostete diese Momente im Mittelpunkt des Geschehens in vollen Zügen aus. Dieser Tisch war ihre Bühne und das Publikum selbst schrieb das Stück. Doch wie entsetzlich schreckhaft sie doch alle waren! Immer wieder fuhr jemand unerwartet zusammen, die Augen wollten nicht von der Finsternis jenseits ihres kleinen Kreises lassen. Hatte sich da nicht eben ein schemenhafter Spieler am Flügel niedergelassen? Klopften knöcherne Finger gegen das kalte Glas? Es war der Regen, es waren die eigenen Schatten an der Wand.

„Ich sprach von Klarheit und eindeutigen Botschaften. Doch die ruhelosen Seelen sind schwer zu fassen. Wie also gegenseitiges Verständnis schaffen? Es sind die einfachsten Zeichen, derer wir uns bedienen können. Lasst uns gemeinsam den Kontakt herstellen und eine klare Mitteilung erbitten. Das Läuten dieser Glocke soll unser Zeichen für ein Wohlwollen der Geister sein."
Verzerrt widerspiegelte das unscheinbare Glöckchen die aufmerksamen Gesichter.
„Doch wie trügerisch manches Mal unsere Sinne sein können. Man hört von ihnen, den schwarzen Schafen unter den Medien. Betrüger. Scharlatane. Ich möchte die Glocke gerne mit einem Glas verdecken. Nennt mir ein irdisches Wesen, das ihr nun noch einen Ton entlocken kann, ohne das Glas zu heben." Der Herr gegenüber, er war ohne Begleitung gekommen, hatte sich langsam zurückgelehnt, als wolle er das Szenario mit einigem Abstand betrachten. Die buschigen Augenbrauen waren fest zusammengezogen, die Arme locker vor der Brust verschränkt. Und aus seinen Augen sprach ein reger Verstand, den Mund umspielte ein spöttisches Lächeln.

Die mit den Toten tanzt #Ideenzauberaward2019 Where stories live. Discover now