2 - Könige ohne Sonne

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Cress schlug ihre Beine übereinander und musterte Hades über den großen Tisch hinweg.
Ketten klirrten im schummrigen Licht der Feuerschalen, die die weißen Marmorsäulen des Platzes flankierten.
Götter hatte sie sich deutlich beeindruckender vorgestellt.

Hades war um die fünfzig, unsagbar alt für einen Farblosen.
Oder zumindest für einen Farblosen an der Oberfläche.
Er war ein Mann, der sowohl dem Leid, als auch den Freuden des Lebens nur wohlwollend ins Gesicht lachte.
Die Schnallen an seinem Mantel, der silberne Ring an seiner linken Hand und das ergraute Haar an den Schläfen, das sich kräuselte wie Silberdraht, erinnerte daran, dass er sich nicht nur nach dem Gott der Toten, sondern auch nach dem der Edelmetalle benannt hatte.

Sie würde nicht als erste den Blick abwenden.

Seine Frau, musterte Cress mit dem Blick einer Löwenmutter, die ihre Jungen beschützen wollte.

Fünf Jungen. Vier davon blond. Einer mit schwarzem Haar. Alle mit roten Umhängen. Sie standen in den Schatten zwischen den Säulen, sodass die Diebin ihre Gesichtszüge nur erahnen konnte. Eine Taktik, die sie verunsichern sollte.

„Und was genau", sie ließ ihren Blick über die versammelten Farblosen tanzen, „wollt ihr jetzt von uns?"

Die Gesellschaft schien kollektiv den Atem anzuhalten.

Hades hatte die Fingerspitzen aneinandergelegt und musterte seine widerspenstige Gefangene über den langen Tisch hinweg.
Er hatte jemand anderen hinter dem Namen erwartet, der in lichtlosen Nächten durch die Gassen des farblosen Bezirks echote. Schattenvogel. Nachtelster.

Cress wusste, dass sie jung war.
Dass ihre Begabung unerhört war. Und auch, dass dieser selbsternannte König der Unterwelt wahrscheinlich seinen Söhnen, die immer noch bewegungslos zwischen den Säulen ausharrten wie griechische Statuen, die Geschichte von der Vogeljagd und dem Sarg der Hohen erzählt hatte.

Sie hatte ihre Stiefel auf den Tisch geschwungen und die Hände über ihrem Bauch gefaltet, als wäre sie vollkommen entspannt. Dabei schrie jede Faser ihres Körpers danach, Julian zu suchen. Sich zu vergewissern, dass es ihm gut ging. Noch immer schmerzten ihre Arme, ihr Rücken, ihre Schultern von den Stunden, die sie mitten in der Luft gehangen war. Ihr linker Ringfinger und ihr rechter kleiner Finger waren nicht mehr zu retten gewesen.
Eine Diebin ohne Diebesfinger.

Aber anscheinend war ihr Ruf ihr vorausgeeilt und sie musste sich gar nicht beweisen, denn die Farblosen schienen ihr gegenüber einen gewissen Respekt zu empfinden.
Um nicht zu sagen eine bittere Hochachtung.

„Schattenvogel", begann Hades und seine Worte klingelten viel zu lange in ihrem immer noch geschädigten Gehör nach, „Wir sind nicht hier, um Euch zu verurteilen."

„Das ist schön. Denn bevor ihr mich wegen irgendetwas verurteilt, Eure Herrlichkeit, wäre der erste logische Schritt, die Rote Mutter hinzurichten. Sonst würdet ihr ja keine Gerechtigkeit walten lassen, sondern Willkür."

Nana Shkarah, Naes Mutter und das Oberhaupt der Assassinengilde von Salz und Kupfer, ihres Zeichens gefährlichste Killerin des farblosen Bezirks, legte eine ihrer knorrigen Hände auf die polierte Tischplatte.

„Schön, dich widerzusehen, Cress."

„Ebenfalls, Nana."

Stille legte sich über die Versammlung. Die Rüstungen der Söhne funkelten im Licht der Feuerschalen, während Hades sich vorbeugte.

Cress bekam schon jetzt Kopfweh, obwohl man noch kaum mit ihr gesprochen hatte.
Sie war schon oft zusammengeflickt worden, hatte schon viel eingesteckt. Aber diese Unterhaltung gepaart mit den Schmerzen in ihren Trommelfellen, Muskeln und Knochen war nervenzerreißend anstrengend. Als hätte man sie Faser um Ader auseinandergebaut, und sie mehr schlecht als recht wieder zusammengefügt.

Smokehands (Skythief pt. 2)Where stories live. Discover now